Mit ihrer Formel „Zwei minus X“ meinte Bayerns Wirtschaftsministerin Ilse Aigner, dass sich eine, vielleicht sogar beide „Stromautobahnen“ durch Bayern verhindern lassen. Vorausgesetzt der Bund gewährt – wie von Ministerpräsident Horst Seehofer gefordert – genügend Mittel für Bau und Unterhalt neuer Gaskraftwerke. Die Nachricht vom Energiekonzern E.ON von letzter Woche, dass er sein modernes Gastkraftwerk Irsching (bei Ingolstadt) mangels Rendite vom Netz nehmen wird, traf die empörten bayerischen Politiker deshalb sehr.
Getroffen haben dürfte diese Nachricht auch das Schweinfurter Rathaus, das Tage zuvor im Stadtrat eine Hürde zum Bau eines Reserve-Gaskraftwerk im Maintal aus dem Weg geräumt hatte. Entschieden wurde darüber in nichtöffentlicher Sitzung, obwohl es laut der Stadt dazu „nichts Grundsätzliches mehr (zu) beraten“ gegeben habe. Die SPD hatte zuvor beantragt, das Thema öffentlich zu diskutieren, war beim Stimmen-Patt von 21:21 damit aber knapp gescheitert. Hinter verschlossenen Türen wurde die Verwaltung dann beauftragt, den Bebauungsplan S 5 Maintal zu ändern.
Der Stadtrat hatte im Oktober 2013 ein 6,2 Hektar großes Areal südlich der Brüsselstraße dem Investor PQ Energy fünf Jahre zum Bau eines gasbetriebenen Reservekraftwerks reserviert. Einen „Ankaufsrechtvertrag“ schlossen beide Parteien 2014 notariell. Ab 2015 erhält die Stadt eine Optionsgebühr, falls das Ankaufsrecht nicht ausgeübt wird. Diese soll pro Jahr der Nichtnutzung ansteigen und – falls doch nicht gebaut wird – am Ende einen sechsstelligen Betrag ausmachen.
Im Stadtrat ging es nun darum, PQ Energy zusätzlich zu den reservierten 6,2 Hektar weitere 1,6 Hektar zuzusichern, damit das Kraftwerk sein Lärmkontingent einhalten kann. Mit dem derzeitigen Bebauungsplan wäre dessen Bau nicht möglich. Das größere Lärmkontingent hat wiederum Auswirkungen auf verbleibende Grundstücke, die – weil sie lärmbezogen etwa zur Nachtzeit nicht oder nur eingeschränkt genutzt werden können – an Wert verlieren und statt für Industriebe möglicherweise nur für Gewerbe genutzt werden könnten. Die in der Bevölkerung diskutierte Frage, ob die Entscheidung der Firma Schaeffler, ihr Logistikzentrum in Kitzingen statt in Schweinfurt anzusiedeln, damit in Zusammenhang steht, hatte das Rathaus verneint. Die Lärmkontingente hätten für die Realisierung beider Vorhaben ausgereicht, so die Verwaltung. Nach Bekanntwerden der Pläne standen Vertreter von PQ-Energy auf einer Umweltkonferenz in der FH Umweltverbänden, Professoren und Studierenden Rede und Antwort zur Frage, ob ein solches Gasreservekraftwerk in dieser Größe benötigt wird und ob es unbedingt am Standort Schweinfurt sein muss. Dabei standen auch die Emissionen im Blickpunkt. Bei geschätzten 500 Volllaststunden im Jahr entstünden 200 000 Tonnen CO2, hieß es. Und: Insgesamt wurde die angestrebte Leistung von 1000 Megawatt (MW) – fünf Turbinenblöcke mit Schloten von vermutlich 70 statt vorher 58 Metern Höhe – für zu viel gehalten.
Kritiker vertraten die Meinung, dass zur Versorgung des gesamten nordbayerischen Raums ein Reservekraftwerk mit maximal 200 MW ausreiche. Die beantragten 1000 MW verdeutlichten aber, dass diese Anlage die Stromversorgung für den ganzen Süden Bayerns absichern solle, die Emissionen aber nur Schweinfurt und sein Umland träfen.
Warum, fragen sich viele, machen sich Remelé und seine Mehrheit so für ein Gigawatt-Kraftwerk stark? Um das Maintal zu füllen? Möglich. Wegen der Arbeitsplätze? Sicher nicht. Etwa 20 Schichtarbeiter sollen nötig sein – verschwindend wenige auf fast acht Hektar Fläche. Die Zahl widerspricht auch einem alten Maintalbeschluss. Bleiben die Einnahmen: Das Gelände erbrächte einmalig einen Millionenbetrag in mittlerer einstelliger Höhe, die zu erwartende Gewerbesteuer pro Jahr wäre sechsstellig, also überschaubar.
Im Oktober 2013 stimmte eine große Mehrheit für die Ansiedlung des Kraftwerks im Maintal. Im Stadtrat Ende Februar 2015 ging es schon deutlich knapper zu. Auch das Patt beim SPD-Antrag auf Öffentlichkeit zeigt, dass die Skepsis bezüglich des Vorhabens, das vielleicht nie umgesetzt wird, wächst. Zum einen lassen Bundeskanzlerin Merkel und Wirtschaftsminister Gabriel wenig Neigung erkennen, Gaskraftwerke zu fördern, weil (die umstrittenen) Stromtrassen deutlich billiger sind. Zum Zweiten könnten Widerstände in der Industrie aufkommen, sich von dem teuren fossilen Brennstoff Gas abhängig zu machen, dessen zuverlässige Bereitstellung aufgrund der politischen Lage gefährdet ist. Verlässlich wäre etwa die Unterstützung durch das Gemeinschaftskraftwerk, das auch Strom produziert.
Die Änderung des Bebauungsplans Maintal muss nun vom Stadtrat beschlossen werden. Spätestens dann müssen OB Remelé und die Verwaltung den Bürgern öffentlich die Notwendigkeit und Größenordnung des Vorhabens begründen.