An der Spitze des Politikbetriebes gilt die eiserne Regel vom Überleben der Starken. Krankheit ist verpönt – obwohl gerade in dieser Berufsgruppe Stress, Hektik, wenig Bewegung, ungesunde Ernährung alles andere als gesundheitsfördernd sind. „Bloß nicht krank werden. Das nützt nur der Konkurrenz“, ist die Maxime.
Doch Christine Haderthauer (CSU) pfiff jetzt darauf, als sie nur haarscharf einem Schlaganfall entkam. Die Chefin von Horst Seehofers Staatskanzlei zeigte der Konkurrenz (auch in den eigenen Reihen), wie man im Moment der Schwäche Stärke zeigt: Tagelang hatte sie ein Rauschen im rechten Ohr und Kopfschmerzen verbissen ignoriert. Als man eine Stirnhöhlenentzündung vermutete, musste sie ins Krankenhaus – und hatte Glück: eine verengte Halsschlagader hätte zum Schlaganfall führen können – wie bei SPD-Finanzminister Hans Eichel, Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) oder Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD).
Haderthauer überließ die Deutungshoheit über ihren Gesundheitszustand nicht der Presse. Als erste Meldungen in Umlauf kamen, meldete sie auf ihrer eigenen Seite im sozialen Netzwerk Facebook (und ihre Erleichterung war hörbar): „Ich habe einen Riesenschutzengel gehabt.“
Zum politischen Mantra gehörte aber das Ignorieren des Risikos ihrer Berufsgruppe: „Was mir passiert ist, hat nichts mit Stress oder Überarbeitung zu tun, so etwas kann jedem passieren“, schrieb sie. „Muss jetzt eine Zeit lang vernünftig sein, bis alles wieder im Lot ist. Danach bin ich wieder wie neu, sagen die Ärzte.“
Das Schicksal ihres Chefs hätte ihr zur Warnung dienen können: Horst Seehofer verdrängte 2002 zu lange die Signale seines Körpers. Er war ständig erkältet, beim Treppensteigen und Reden wurde die Luft knapp. Er machte weiter, über Monate. „Ich habe immer gedacht, die Politik ist mir wichtiger“, gestand er später.
Dann kam der Absturz: Fünf Wochen lag Seehofer mit Herzmuskelentzündung in der Klinik, drei Monate musste er zur Reha. Später erzählte er nachdenklich von der Grenzerfahrung – ehe er sich erneut in den politischen Kampf stürzte. Im Februar 2009 kam der zweite Warnschuss: Die Grippe plagte ihn, aber die Abwesenheit beim Politischen Aschermittwoch in Passau schien undenkbar. Seehofer kam – und wäre während der Rede fast zusammengebrochen.
Was im Großen gilt, gilt ebenso im Kleinen. Als 2005 in Würzburg Siemens VDO sein Werk nach Tschechien verlegen wollte, kämpfte Landrat Waldemar Zorn (CSU) in vorderster Reihe gegen die Pläne. Als 1500 Menschen eine Protestkette um das Werk legten, eilte der Landrat herbei und reihte sich, bleich und erschöpft, aber solidarisch ein – kaum einer wusste, dass Zorn da direkt von der Chemotherapie kam.
Mit dem Tabu gehen Politiker unterschiedlich um, Frauen oft souveräner als Männer: Barbara Stamm (CSU) weiß, was ein langjähriger Politikbeobachter aus München meinte, als er schrieb: „Krankheit gilt in der Gemeinschaft der Haie als Schwäche – wer blutet, wird gefressen.“ Stamm hätte ihre Krebserkrankung 2008 nicht von sich aus öffentlich gemacht. Sie bat Fraktion und Presse um Vertraulichkeit.
Doch Parteifreunde verrieten es an eine Boulevardzeitung – um ihrer Kandidatur als Landtagspräsidentin zu schaden. Stamm überstand das sowie die Krankheit und erntete viel Zuspruch: „Das möchte ich weitergeben“, sagte sie später. Die Spitzenpolitikerin geht mit dem Thema vorbildlich um – ob als Schirmherrin für Aktionen gegen Krebs oder in öffentlichen Diskussionen, in denen sie Betroffenen Mut macht.
Aber viele Politiker fürchten Krankheit als Karrierekiller. Wenn sich Willy Brandt (SPD) mit schweren Depressionen einschloss, hatte er offiziell „eine schwere Erkältung“. Die Kieler Ministerpräsidentin Heide Simonis (SPD) schwieg vier Jahre über ihren Brustkrebs. Samstags wurde sie operiert, montags ehrte sie schon wieder Mitbürger. Helmut Kohl (CDU) verbiss sich 1989 vor dem CDU-Parteitag „wahnsinnige Schmerzen“ einer Prostata-Erkrankung – und verschob den OP-Termin. So überstand er die Rebellion von Lothar Späth und Heiner Geißler.
Gregor Gysi gab – bevor er 2004 wegen einer Gefäßerweiterung operiert werden musste – ein Interview in seinem Hausblatt „Berliner Kurier“. Auch CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach trat mit der Diagnose „unheilbar“ die Flucht nach vorne an: Eine Prostata-Operation ließ er 2010 in Hamburg vornehmen, wo ihn keiner kennt. Doch als die Strahlentherapie begann, war ihm klar, dass er nicht ständig im Wartezimmer herumsitzen kann, ohne dass sich das herumspricht. „Bevor er für halb tot erklärt wird, sagt er lieber selbst, wie es um ihn steht“, heißt es in seiner Biografie mit dem Titel „Jetzt erst recht“.
Für Christine Haderthauer scheint sich der offene Umgang mit der Krankheit zu lohnen. Die ehrgeizige, aber oft etwas spröde wirkende Absolventin der Universität Würzburg erntet viel Zuspruch und Sympathie. Hunderte von Genesungswünschen zieren ihre Facebook-Seite. Und eilig vermeldete die Staatskanzlei: Der Ministerpräsident habe Haderthauer bereits am Krankenbett besucht – das ist bare politische Münze im Rennen um die Seehofer-Nachfolge mit Markus Söder und Ilse Aigner.