„Unsere Patienten sind alle Weltmeister im Abnehmen“, wissen Dr. Christian Jurowich und Dr. Andreas Thalheimer. Alle haben mehrere Diäten hinter sich. Alle haben abgenommen. Zehn Kilo, auch mal 20 oder 30. Und alle haben wieder zugelegt. Zehn Kilo, auch 20 oder 30. Und mehr. Deswegen kommen sie ja zu Jurowich, dem Leiter des Würzburger Adipositaszentrums, und seinem Stellvertreter Thalheimer. Ihre Patienten sind nicht ein bisschen zu dick. Es sind keine Menschen, die zehn oder 15 Kilo zu viel auf den Rippen haben und einfach nicht die Finger lassen (oder lassen wollen) von Schokoriegel, Schweinshaxe und literweise Cola. Es geht um Menschen, die 50, 60, 80 Kilo zu viel haben, kranke, verzweifelte Menschen.
Studien sagen: Übergewicht und seine Behandlung kosten in Deutschland jährlich mindestens zehn Milliarden Euro, nicht nur im Gesundheitswesen, sondern der ganzen Volkswirtschaft. Ab einem Body-Mass-Index (lesen Sie dazu die graue Infobox) von über 30 wird's gefährlich: Bei so stark Übergewichtigen nimmt mit jedem Pfund das Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu (an denen sterben hierzulande an die 400 000 Menschen jedes Jahr).
Fettleibigkeit gilt als Risikofaktor für Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes Typ 2, Herz- und Leberverfettung, Bluthochdruck, Schlaganfall, Arterienverkalkung, Krebs, Gicht, erhöhte Blutfette, Arthrosen, Rücken-, Knie-, Hüftschäden, Schlafapnoe-Syndrom. Die Horrorliste ließe sich fast beliebig verlängern.
Fehlgeleitetes Sättigungsgefühl
Der Volksmund sagt: Dicke sind gemütlich und oft lustig. „Das genaue Gegenteil ist der Fall“, sagen Jurowich und Thalheimer. Studien belegten, dass „extrem Übergewichtige sich aus Schamgefühl häufig zurückziehen, sozial isoliert sind, das kann bis hin zur Depression gehen. Adipositas ist mit der sozialen Situation vergesellschaftet“, so die Fachleute. Die genauen Gründe, warum manche Menschen ungebremst täglich kiloweise Lebensmittel in sich hineinstopfen, kennt die Medizin noch nicht. Die Krankheit Fettsucht kann durch eine Funktionsstörung bestimmter Hormondrüsen verursacht werden.
Mediziner aber gehen davon aus, dass allenfalls zehn Prozent der ganz dicken Menschen deshalb fettleibig sind. Bei 90 Prozent liege es an falscher Ernährung, Fresslust, seelischen oder genetischen Problemen. Ein Hauptproblem bei Adipösen: ihr „fehlgeleitetes oder nicht vorhandenes Hunger- beziehungsweise Sättigungsgefühl“.
Im Adipositaszentrum am Zentrum Operative Medizin (ZOM) des Würzburger Universitätsklinikums wird interdisziplinär gearbeitet. Das ist eine der Voraussetzungen dafür, dass das Zentrum, das an die von Professor Christoph-Thomas Germer geleitete Klinik und Poliklinik für Allgemein-, Viszeral-, Gefäß- und Kinderchirurgie angedockt ist, das „erste zertifizierte Adipositaszentrum in Bayern“ ist, wie Germer betont. Bei der Behandlung des krankhaften Übergewichts beteiligt sind Chirurgen, Fachleute der Inneren Medizin wie Gastroenterologen und Endokrinologen sowie Psychologen und Ernährungsmediziner.
„Bei einem BMI von 40 bis 45 ist die Lebenserwartung um acht bis zehn Jahre verkürzt“, erklären Jurowich und Thalheimer. Ein 1,80 Meter großer Mensch mit 130 Kilo hat etwa BMI 40. Die beiden Chirurgen operieren im Schnitt Menschen mit einem BMI von über 51. Im vergangenen Jahr waren es 115 Patienten, durchschnittlich knapp unter 40 Jahre alt, die überwiegende Mehrheit aufgrund ihres Übergewichts arbeitsunfähig.
Die drei möglichen Verfahren
Übergewicht kann mit verschiedensten Methoden behandelt werden – „eine Operation sollte niemals an erster Stelle stehen“, sagen Jurowich und Thalheimer. Sie greifen zum Skalpell, wenn alle anderen Methoden ausgeschöpft und keine Linderung gebracht haben.
Eine der Voraussetzungen ist ein BMI von über 40 oder von 35 mit Begleiterkrankungen wie Diabetes und Bluthochdruck. Die Chirurgen unterscheiden vor allem drei Verfahren:
• Restriktives Verfahren: Der Magen wird operativ verkleinert. Damit wird die Menge der Nahrung begrenzt, die aufgenommen werden kann. Ziel: Das Sättigungsgefühl soll sich schneller einstellen und länger anhalten. Beispiel des Verfahrens: das Magenband, bei dem ein Silikonband von außen um den oberen Teil des Magens gelegt wird.
• Malabsorptives Verfahren: Von Malabsorption sprechen Mediziner, wenn die Fläche reduziert wird, über die der Körper Nährstoffe aufnehmen kann. Das passiert etwa dadurch, dass der Weg verändert wird, den Nahrung und Verdauungssäfte nehmen. Beispiel: Der Dünndarm wird verkürzt.
• Kombiniertes Verfahren: Sowohl Magen als auch Resorptionsfläche im Darm werden verkleinert. Beispiel: Magenbypass, die häufigste Operation im Würzburger Adipositaszentrum.
„Welches Verfahren zum Einsatz kommt, hängt immer auch von der Vorgeschichte, den Essgewohnheiten und anderen Faktoren des Patienten ab“, erklären Jurowich und Thalheimer.
Weitere Informationen gibt es im Adipositaszentrum der Uniklinik, Tel. (09 31) 2 01- 3 13 02, Internet: www.adipositaszentrum-wuerzburg.de
Wie Sie Ihren Body-Mass-Index (BMI) ermitteln und was er aussagt
Der BMI gilt als Standard für die Beurteilung des Gewichts. Er beschreibt das Verhältnis von Körpergewicht zu Körperlänge und gibt einen empfehlenswerten Rahmen an. So errechnet sich der BMI: Körpergewicht geteilt durch Körpergröße zum Quadrat. Beispiel: Sie wiegen 70 Kilo und sind 1,75 Meter groß, dann ist Ihr BMI 22,9 kg/m² – weil: 70 kg : (1,75 m)² = 22,9 kg/m². Das bedeutet der BMI (für Erwachsene zwischen 20 und 65 Jahren): • Unter 18,5: Untergewicht • 18,5 bis 24,9: Normalgewicht • 25 bis 29,9: Übergewicht • 30 bis 34,9: Adipositas (Fettleibigkeit) Grad I • 35 bis 39,9: Adipositas Grad II • ab 40: Adipositas Grad III
Wichtig ist auch die Fettverteilung: Das Risiko für Stoffwechsel-Komplikationen steigt erheblich bei einem Taillenumfang von über 88 Zentimetern bei Frauen und über 102 Zentimetern bei Männern (im Fachjargon: abdominelle Adipositas). Der Jo-Jo-Effekt Wohl jeder, der schon einmal durch eine Diät ein paar Kilo abgenommen hat, kennt den Jo-Jo-Effekt: Man darbt, verliert Gewicht, isst dann wieder normal und bringt wenig später noch mehr Gewicht auf die Waage als vor der Diät. Dahinter steckt ein simpler Mechanismus: Durch die kurzfristige Diät verliert der Körper vor allem Wasser und Muskelmasse – das Fettdepot bleibt gleich groß. Wenn Muskelmasse verloren geht, braucht der Mensch weniger Kalorien, weil er weniger verbrennen kann. Isst man dann also wieder wie vor der Diät, als man noch mehr Muskelmasse hatte, führt man dem Körper zu viele Kalorien zu. Folge: Man legt Gewicht zu.