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UNTERFRANKEN
Wenn Essen Bauchweh macht
Gluten, Laktose, Fruktose Immer mehr Menschen glauben, dass sie an einer Nahrungsmittelunverträglichkeit leiden.
Laktoseintoleranz: Milchzucker kann im Dünndarm nicht gespalten werden.
Foto: Thinkstock | Laktoseintoleranz: Milchzucker kann im Dünndarm nicht gespalten werden.
Claudia Kneifel
 |  aktualisiert: 26.04.2023 22:43 Uhr

Der Trend hat die Kindergärten erreicht: Die dreijährige Mia darf keine Milch trinken, Ben soll keine Nüsse essen und bei Emma wärmen die Erzieherinnen mittags ganz spezielle Mahlzeiten auf. Der Grund: Nahrungsmittelunverträglichkeiten. Ob diese Art der Allergien zunehmen, darüber streiten selbst Mediziner. „Es gibt keine guten, verlässlichen Zahlen aus Studien, dass immer mehr Menschen an Nahrungsmittelunverträglichkeiten leiden, und biologisch ist es auch nicht nachvollziehbar“, sagt Dr. Christoph Thöringer, Gastroenterologe im Klinikum rechts der Isar der TU in München. Es gebe jedoch ein gesteigertes Bewusstsein für Ernährung und ihre Effekte auf die Verdauung. „Daher gibt es einen Trend zu mehr Abklärung und Testung von Nahrungsmittelintoleranzen und somit auch viele Patienten, die daran leiden“, erklärt der Mediziner.

Blähungen, Durchfall, Verstopfung: Umfragen zufolge geben in Deutschland 30 Prozent der Befragten an, an einer Lebensmittelunverträglichkeit zu leiden. Am häufigsten werden Laktose- und Fruktoseintoleranz oder Gluten-Sensitivität genannt. Diese Unverträglichkeiten sind keine echten Allergien, bei denen das Immunsystem beteiligt ist, sondern es handelt sich meist um Verdauungsstörungen, erläutert Annegret Hager, Ökotrophologin beim Verbraucherservice Bayern in Würzburg. Sie bietet seit vier Jahren Vorträge, Einzelberatungen und Kochkurse zu diesem Thema an.

Zöliakie ist eine lebenslange immunologische Erkrankung des Dünndarms, an der in Deutschland laut der Deutschen Zöliakie-Gesellschaft 0,5 bis ein Prozent der Bevölkerung leiden. Das heißt, sie vertragen das Klebereiweiß Gluten nicht, das in unseren heimischen Getreidesorten Weizen, Dinkel, Gerste, Roggen und in geringen Mengen auch im Hafer enthalten ist. „Sie müssen daher auf herkömmliches Brot, Müsli, Kuchen oder Pizza verzichten“, informiert Annegret Hager. Eine immunologische Reaktion auf das Gluten führt dazu, dass sich der Darm chronisch entzündet und dessen Schleimhaut beeinträchtigt ist. Eine gesicherte Diagnose kann nur durch Bluttests und eine Dünndarmbiopsie gestellt werden. Für Zöliakiepatienten ist der lebenslange absolute Verzicht auf Gluten unbedingt notwendig.

Daneben gibt es immer mehr Menschen, die sich als Gluten-Sensitive oder Weizen-Sensitive einstufen. „Wenn diese Menschen Weizen weglassen, geht es ihnen oft besser“, sagt Hager. Forschungen deuten darauf hin, dass die als natürliche Insektenabwehrstoffe bekannten alpha-Amylase-Trypsin-Inhibitoren (ATI) eine Hauptrolle im Entstehungsprozess der Weizensensitivität spielen. Sie kommen in allen glutenhaltigen Getreidearten vor, verstärkt im Hochleistungsweizen. Es ist in diesem Fall nicht unbedingt notwendig, auf jede Art von Getreide zu verzichten. „Bei Dinkel oder Hafer haben viele Menschen kaum Probleme.“

Der Verzicht auf Gluten ist populär. Vorreiter sind die Amerikaner. Prominente wie die Sängerin Lady Gaga oder die Schauspielerin Gwyneth Paltrow haben Gluten längst von ihren Tellern verbannt. Die Schauspielerin Miley Cyrus twitterte unlängst „Gluten ist Mist“ und empfahl allen Followern, darauf zu verzichten. Die Industrie hat längst reagiert und bietet immer mehr glutenfreie Waren an. Ganz neu ist der Trend nicht: Beim Vollkorn-Spezialisten Pema in Weißenstadt (Lkr. Wunsiedel) wird seit 1985 glutenfreies Vollkornbrot aus Reis, Mais und Hirse gebacken. „Die Entwicklung dieses Produktes ist außerordentlich positiv“, erläutert Pema-Geschäftsführer Franz H. Leupoldt. „Die Zahl der Zöliakie-Betroffenen nimmt ständig zu, was an den modernen, hochgezüchteten Weizensorten liegt, die extrem mehr Gluten enthalten als dies bei den alten Weizensorten vor 50 Jahren der Fall war“, so Leupoldt.

Weizen mache uns dick und krank, behauptet der amerikanische Präventivmediziner William Davis. Sein Buch „Wheat Belly“ stand monatelang auf der Bestsellerliste der New York Times. Seit 2013 liegt die deutsche Übersetzung vor: „Weizenwampe. Warum Weizen dick und krank macht.“ Davis sieht im Weizen die Wurzel aller Zivilisationsübel wie Fettleibigkeit, Diabetes, Herzkreislauf- oder Krebsleiden. Für Zöliakiebetroffene ist die glutenfreie Ernährung die einzig wirkungsvolle Therapie gegen ihre Dünndarmerkrankung.

„Bei Unverträglichkeiten spielt Ernährung eine große Rolle“, erklärt Ernährungsexpertin Hager, denn es gehe vor allem um die Mengen. Wer zum Beispiel laktoseintolerant ist, verträgt den Milchzucker Laktose nicht, der etwa in Milch, Frischkäse oder Sahne enthalten ist. Die Betroffenen können das Enzym Laktase, das die Laktose spaltet, nicht oder nicht ausreichend bilden. In Deutschland sind im erwachsenen Alter bis zu 25 Prozent der Bevölkerung laktoseintolerant. „Im Seniorenalter steigert sich das noch deutlich.“ Die Betroffenen vertragen normale Milch, Frischkäse und Sahne eher schlecht, aber die meisten festen Käsesorten dürfen sie essen, da diese kaum Laktose enthalten. „Ganz selten verträgt jemand gar keine Laktose. Die meisten können eine gewisse kleine Menge über den Tag verteilt essen“, erklärt die Ernährungsexpertin.

Laktoseintoleranz gilt nicht als Krankheit: In Südamerika und Afrika sind über 60 Prozent der Bewohner natürlicherweise laktoseintolerant. In Alaska, Südostasien und China sind es sogar bis zu 98 Prozent. Wer laktoseintolerant ist, leidet in den meisten Fällen fast unmittelbar nach dem Genuss von Milchprodukten unter starken Verdauungsbeschwerden: Magen- und Bauchkrämpfe, extreme Blähungen und Durchfallattacken gehören zur typischen Symptomatik.

Auch der Markt der laktosefreien Produkte boomt. In den vergangenen Jahren haben sich die Verkaufszahlen dieser Lebensmittel verdoppelt. Im Jahr 2012 legte der Absatz um weitere 20 Prozent zu. Die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) hat herausgefunden, dass rund 80 Prozent der Käufer von laktosefreien Produkten gar keine Milchzuckerunverträglichkeit haben. Es scheint ein Lifestyle-Trend zu sein. „Frei von Laktose“ klingt gesund. Also greifen die Menschen zu und haben das Gefühl, mit laktosefreien Produkten ihrem Körper etwas Gutes zu tun. Dass diese Produkte im Vergleich zu klassischen Milchprodukten deutlich teurer sind, scheint für sie eher zweitrangig zu sein.

Dass Kinder keine Laktose vertragen, komme laut Annegret Hager selten vor. „Milchzucker ist auch für die Darmgesundheit von Vorteil.“ Ein Kind muss keine Milch trinken, aber es sollte Milchprodukte zu sich nehmen, empfiehlt die Ernährungsberaterin. Vor allem das in der Milch enthaltene Kalzium ist wichtig für den Aufbau von Knochen und Zähnen. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfiehlt daher für Kinder eher fettarme Milchprodukte, um überflüssige Kalorien einzusparen.

Auch Fruktose ist für viele Menschen ein Problem. „Das Süßen mit Fruktose kommt aus den USA.“ Aus Mais wird dort sehr günstig Fruktosesirup gewonnen und damit viele Fertigprodukte und Getränke gesüßt. „Auf diese Mengen ist unsere Verdauung nicht eingerichtet, denn Fruktose wird nicht so schnell vom Körper aufgenommen“, erklärt Hager. Häufig komme Fruktose in Wellness-Getränken vor, aber auch in Obst, Säften, Honig, Fruchtjoghurt oder Müsliriegeln. Dennoch sei es wichtig, nicht generell auf Obst und Gemüse zu verzichten. Sie liefern Vitamine, Mineralstoffe und sekundäre Pflanzenstoffe.

Wer unter Unwohlsein und Blähungen leidet, findet in den Medien, allen voran im Internet oft die langersehnte Erklärung. Manche Mediziner sprechen in solchen Fällen schon vom „Morbus Google“. Doch Ärzte sind sich einig: Beim Verdacht auf eine vorliegende Nahrungsmittelunverträglichkeit ist eine fundierte Diagnostik unentbehrlich. „Die Medizin hat in den letzten Jahren sehr gute Tests entwickelt, zum Beispiel Bluttests oder H2-Atemtests, mit welchen das Vorliegen von Nahrungsmittelunverträglichkeiten mit großer Sicherheit festgestellt werden kann“, erklärt der Gastroenterologe Christoph Thöringer. Nur eine sorgfältige Diagnosestellung ermöglicht die Einleitung einer sinnvollen Therapie.

Lebensmittelunverträglichkeiten

Laktoseintoleranz

Blähungen, Krämpfe und Durchfall nach dem Genuss von Milch und Milchprodukten? Schuld ist manchmal die Laktose, auch Milchzucker genannt. Wichtig: Die Diagnose vom Arzt! Erst dann sind laktosefreie Lebensmittel sinnvoll.

• Milchprodukte enthalten unterschiedlich viel Laktose. • Hartkäse und Butter sind nahezu laktosefrei. • Die Menge an Laktose, die vertragen wird, ist unterschiedlich. Die Zutatenliste gibt Aufschluss: Laktose hat viele Namen: Milchzucker, Milchpulver, Molke, Molkenpulver, Trockenmilch.

Fruktosemalabsorption

Fruktose bedeutet Fruchtzucker, steckt in Obst, in Säften, Honig und Süßem und kann Blähungen, Krämpfe und Durchfall auslösen. Wichtig: Die Diagnose vom Arzt! Dann die persönliche Toleranzgrenze von Fruchtzucker ermitteln. • Nicht auf Obst und Gemüse verzichten. Sie liefern wichtige Vitamine und Mineralstoffe.

• Viele Lebensmittel werden mit Fruchtzucker angereichert, z.B. Müsliriegel, Ketchup, Limo.

• Auch Zuckeraustauschstoffe wie Sorbit können problematisch sein. Die Zutatenliste verrät: Fruktose, Fruchtzucker, Maissirup, Glucose-Fruktose-Sirup, Fruchtsüße.

Gluten-Sensitivität

Gluten ist in fast allen Getreidesorten, wie Weizen, Roggen und Dinkel enthalten. Es kann zu heftigen Magen-Darm-Beschwerden führen. Wichtig: Der Arzt muss die Immunerkrankung Zöliakie ausschließen.

• Nur wenn die Beschwerden bei glutenfreier Ernährung verschwinden, machen glutenfreie Lebensmittel Sinn.

• Glutenfrei sind: Reis, Hirse, Mais, Buchweizen, Quinoa, Amaranth.

• Die Logos glutenfrei und glutenarm helfen beim Einkauf.

• Glutenhaltige Inhaltsstoffe müssen in der Zutatenliste aufgeführt werden.

Informationen oder eine persönliche Beratung zum Thema Lebensmittelunverträglichkeiten erhalten Sie beim Verbraucherservice Bayern. Am Mittwoch, 3. Dezember, hält Annegret Hager ab 15.30 Uhr einen Vortrag über „Laktose, Fruktose, Gluten“. Ort: Matthias-Ehrenfried-Haus, Bahnhofstraße 4-6, 97070 Würzburg, Tel. (09 31) 30 50 80, www.verbraucherservice-bayern.de

Deutsche Zöliakie-Gesellschaft e.V. (DZG)

Kupferstr. 36, 70565 Stuttgart

Tel. (07 11) 45 99 81 – 0

E-Mail: info@dzg-online.de

Selbsthilfegruppe Zöli-Kids

Carmen Heine (Karlstadt) Tel. (01 76) 93 23 88 58 oder Silke Lobenhofer (Würzburg) Tel. (01 76) 22 85 85 42.

Ohne Gluten: Viele Bäckereien bieten bereits glutenfreies Brot an.
Foto: Peter Endig, dpa | Ohne Gluten: Viele Bäckereien bieten bereits glutenfreies Brot an.
 
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