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WÜRZBURG
Wenn die Glasharfe überirdisch singt
Von unserem Redaktionsmitglied Ralph Heringlehner
 |  aktualisiert: 16.12.2020 12:09 Uhr

Rrrrrums! Wie ein Gewitter aus heiterem Himmel donnern Paukenschläge durch die Augustinerkirche, laut und bedrohlich. Die Zuhörer im am Samstagabend voll besetzten Würzburger Gotteshaus zucken erschrocken zusammen.

Die Heiden feiern ein wüstes Bacchanal. Immer lauter, immer wilder gehen die Stimmen des Chors durcheinander, das Götzenfest steigert sich zum ekstatischen Höhepunkt. Es sind plastische, auch drastische Szenen, die sich bei der Aufführung der Kirchenoper „Augustinus" abspielen – und sie spielen sich nahezu ausschließlich musikalisch ab. Die Darsteller tragen außer einigen wenigen Gesten nichts bei zum Geschehen.

Dennoch: Die von dem Münchner Wilfried Hiller (Musik) und dem Würzburger Pädagogik-Professor Winfried Böhm (Text) geschriebene Oper erzielt eine Wirkung, wie sie selbst mit großem szenischem Aufwand nicht größer sein könnte.

Der 65-jährige Komponist arbeitet mit ungewöhnlichen Instrumenten (Celesta, Buckelgong, Zimbeln . . . ) und ungewöhnlichen Klangfarben. Es rasselt, es mahlt, es dröhnt, es schwirrt. Dabei sind die Instrumente und die – durchwegs fantastischen Spieler – für Hiller nur eine Art von Medium. Die Musik scheint direkt in der Seele der Zuhörer stattzufinden.

„Augustinus“ spielt auch mit dem Raum. Hiller verteilt die Instrumente in der Kirche: Schlagwerk an allen Ecken, Chor hinten auf der Empore, Solisten vor dem Altar (die Koordination der bis zu 30 Meter voneinander entfernten Gruppen hat Dirigent Christian Kabitz voll im Griff); Geigerin Akiko wandert einmal spielend durch die Kirche.

All das trägt dazu bei, das Denken des Augustinus in einer Sprache jenseits der Worte zu vermitteln – der Kirchenvater selbst kommt als Figur nicht vor. Rein wie die Stimme einer Heiligen steigt der Sopran der Würzburgerin Regina Klepper in die Höhe, Glasharfen-Klänge schweben überirdisch-unfassbar unter dem hohen Gewölbe: Das Kirchenschiff scheint bei der Todesvision der Monnica – Mutter des Augustinus – wie elektrisiert. Am Ende der Szene ist das Durchatmen im Publikum zu hören; viele haben offensichtlich atemlos im wörtlichen Sinne gelauscht.

Klar und sicher, selbst bei kruden Intervallen, bringt Sylvia Kloke als Augustinus-Geliebte Stella eine Spitzenleistung. Auch die Stimme des 13-jährigen Dominik Manz (Augustinus-Sohn Adeodatus) kann sich hören lassen: In dessen „Juchhe, juchhe, wir fahren zur See“ findet Hillers moderne, expressive und effektsichere Tonsprache zur simplen Melodik des Kinderliedes. Bachchor Würzburg und Cäcilienchor Frankfurt (Leitung Regine Geisler) meistern den Spagat zwischen schwieriger Harmonik und scheinbar ungeordnetem Geschrei problemlos.

„Augustinus“, diese erstaunliche Symbiose aus Text und Musik, Ekstase und Meditation, endet wortlos: Die Singphoniker, ein Männersextett, das die musikalische Aktion über weite Strecken trägt, lassen ein Gotteslob in Gebärdensprache auslaufen.

Eine geschlagene Minute verrinnt, bis die Spannung im Publikum sich löst und der Beifall losbrandet – für eine Aufführung, die man wohl bereits jetzt als Konzertereignis des Jahres in der Region feiern darf.

Der Artikel wurde ursprünglich am 29. Mai 2006 veröffentlicht.

 
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