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Gesundheit:
Wenn das Herz plötzlich still steht
Sekundentod: Ins Licht der Öffentlichkeit geraten solche Fälle vor allem dann, wenn es junge, kräftige Profi-Sportler erwischt. Ein Trugschluss. Denn gerade im Breitensport wird die Gefahr häufig unterschätzt.
Von unserem Mitarbeiter Stephan Rinke
 |  aktualisiert: 27.04.2023 05:08 Uhr

Als Richard Fosbury bei den Olympischen Spielen 1968 in Mexiko mit seiner eigenen und bis dahin unbekannten Flop-Technik Gold im Hochsprung holte, setzte er eine grundlegende Umwälzung seiner Sportart in Gang. Noch bekannter wurde der belgische Profi-Fußballer Jean-Marc Bosmann, der 1995 mit dem nach ihm benannten Urteil des Europäischen Gerichtshofs die Ablösemodalitäten in seiner Sportart revolutionierte. Grundlegende Veränderungen hat im deutschen Fußball auch Axel Jüptner hervorgerufen – wobei es sich bei seiner Geschichte um die eines tragischen Todes handelt.

Ines Jüptner hatte gerade ihren Mann am 23. April 1998 nach dem Training vom Ernst-Abbe-Sportfeld seines damaligen Arbeitgebers 1. FC Carl Zeiss Jena abgeholt. Der 28-jährige Fußballprofi hatte nur leicht trainiert, da seine Nase gebrochen war. Als seine Frau losfahren wollte, sah Jüptner einen Mannschaftskollegen und wollte ihm etwas sagen. Doch er kam nicht mehr dazu, die Scheibe herunterzulassen – sondern sackte bewusstlos auf dem Beifahrersitz zusammen. Zwei Tage später, einen Tag vor seinem 29. Geburtstag, erklärten ihn die Ärzte der Herzklinik Bad Oeynhausen, in der er zuletzt behandelt wurde, für tot. Die Diagnose: kardiogener Schock, besser bekannt als plötzlicher Herztod.

Mehr als 100 000 Menschen erleiden jährlich allein in Deutschland einen plötzlichen Herztod, davon einige Hundert während des Sports. Fast immer ist dabei laut der Deutschen Herzstiftung ein Kammerflimmern oder eine andere schnelle Herzrhythmusstörung schuld. Der Herzmuskel stellt daraufhin seine Arbeit ein, der Kreislauf bricht zusammen und der Betroffene wird durch die fehlende Durchblutung im Gehirn ohnmächtig. Das Tückische daran: oft kündigt sich das Herzversagen nicht durch erkennbare Symptome an. Gerade, wenn es junge, durchtrainierte Sportler erwischt, schaut die Welt entsetzt hin. Es ist das Gefühl der Hilflosigkeit, das dem plötzlichen Herztod seinen Schrecken verleiht. Wie kann es bei einem Profi-Sportler, der über eine ideale medizinische Betreuung verfügt, zu einem Herzstillstand kommen?

„Die Ursachen für einen plötzlichen Herztod können vielfältig sein“, erklärt Prof. Dr. Hans-Hermann Dickhuth von der Medizinischen Universitätsklinik in Freiburg. Prinzipiell könne man zwischen alten und jungen Betroffenen unterscheiden: „In der Gruppe der unter 35-Jährigen handelt es sich meist um angeborene, genetisch bedingte Erkrankungen, wie beispielsweise Verdickungen der Herzmuskeln oder Anomalien bei den Herzkranzgefäßen. Hinzu kommen Herzmuskelentzündungen, die auf nicht-auskurierte Infekte zurückgehen.“ Genau in diese Gruppe fiel der damals noch für den Fußball-Zweitligisten Hannover 96 spielende Gerald Asamoah, den Dickhuth bereits 1998 untersuchte. Aufgrund einer Verdickung der Herzwände, die neben den Herzmuskelentzündungen zu den häufigsten Todesursachen zählt, riet man dem 22-jährigen Fußballer davon ab, seine Karriere fortzusetzen. „Paradoxerweise nimmt das Risiko des plötzlichen Herztodes bei Athleten mit verdickten Herzwänden mit dem Alter ab. Dennoch ist Asamoah noch heute gefährdet“, erklärt Dickhut. Der mittlerweile für die SpVgg Greuther Fürth aktive Fußballer nahm das Risiko in Kauf und setzte seine Karriere fort. Seitdem befindet sich immer ein Defibrillator am Spielfeldrand, wenn Asamoah auf dem Rasen steht.

Bei der Gruppe der über 35-Jährigen sind die Ursachen des plötzlichen Herztodes in der Regel andere, wie Dickhut erklärt: „Bei älteren Betroffenen stellt das größte Risiko die Arterienverkalkung dar, also Verstopfungen der Herzkranzgefäße und andere arteriosklerotische Erkrankungen.“ Oft sei die Diagnose eines potenziell fatalen Herzleidens schwierig, da sich viele der Ursachen im Voraus nicht zweifelsfrei erkennen ließen. Hinzu kommen Randerscheinungen wie etwa die, dass dunkelhäutige Menschen öfter verdickte Herzwände aufweisen – ohne dass diese zwangsläufig ein Problem darstellen müssen. Gerade deshalb kann es auch immer wieder bei Profi-Sportlern zum plötzlichen Herztod kommen.

Erst vor wenigen Monaten wurde der norwegische Schwimm-Weltmeister Alexander Dale Oen tot unter der Dusche im Höhentrainingslager im amerikanischen Arizona aufgefunden. Er wurde nur 26 Jahre alt. Im gleichen Alter verstarb der deutsche 800-Meter-Läufer René Herms, der im Januar 2009 tot in seiner Wohnung gefunden wurde. Ihm wurde eine virusbedingte Herzmuskelentzündung durch einen nicht auskurierten Infekt zum Verhängnis. Der deutsche Handballer Sebastian Faißt stürzte im März 2009 bei einem U-21-Länderspiel gegen die Schweiz ohne Fremdeinwirkung zu Boden. Die sofortigen Wiederbelebungsversuche der Ärzte blieben erfolglos, eine Stunde nach seinem Zusammenbruch ist Faißt tot – Diagnose: Herzstillstand. Erst vor wenigen Wochen verstarb im Juli der belgische Radprofi Rob Goris im Alter von 30 Jahren an einem Herzinfarkt.

„Das Problem ist“, erläutert Dickhuth, „dass im Leistungssport ein großer Druck herrscht – von den Medien, den Trainern oder von den Athleten selbst. Viele hören dann nicht auf ihren Körper und gönnen sich nicht die nötigen Ruhepausen.“ Bestätigt wird diese Einschätzung von Prof. Dr. Kay Brune (Erlangen) in einer medizinischen Abhandlung von 2009. Demnach nähmen viel zu viele Profi- als auch Amateursportler schon vor dem Wettkampf präventiv Schmerzmittel ein, was in zu hohen Dosen zu Organschäden bis hin zum Tod führen kann.

Doch die Schlussfolgerung, Sport sei schädlich, wäre ein gefährlicher Trugschluss, denn regelmäßige körperliche Betätigung sei laut Brune nach wie vor „der beste Schutz vor Übergewicht, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes und Alzheimer.“ Auch die Gefahr des plötzlichen Herztodes lasse sich durch die richtige sportliche Betätigung minimieren, wie die Deutsche Herzstiftung auf ihrer Homepage empfiehlt. Wichtig sei dabei aber, ein paar Grundregeln zu beachten. So sollte man sich regelmäßig vom Arzt durchchecken lassen (vor allem vor der Ausübung einer Betätigung nach längerer Pause), man sollte übertriebenen Ehrgeiz vermeiden, man sollte sich über familiäre Belastungen im Klaren sein, man sollte auf seinen Körper hören und vor allem sollte man Infekte ordentlich auskurieren, bevor man sich wieder sportlich bestätigt. Neben Unsportlichkeit und Krankheiten zählen Übergewicht, Rauchen und Bluthochdruck zu den wichtigsten Risikofaktoren.

Doch auch wenn man einen Herzstillstand erleidet, ist ein Überleben realistisch – solange einem schnell und richtig geholfen wird. „Am wichtigsten ist es, so schnell wie möglich den Kreislauf durch die Herzmassage wieder in Gang zu bringen und natürlich den Notarzt zu verständigen. Dann kann die Überlebenswahrscheinlichkeit bei 70 Prozent liegen“, erklärt Dickhut. Allerdings, so der Sportmediziner, hingen die Chancen für eine erfolgreiche Reanimierung von den Ursachen ab. „Die 70 Prozent beziehen sich auf alterstypische Faktoren, nicht auf angeborene Herzdefekte. Bei letzteren sind die Überlebenswahrscheinlichkeiten sehr viel geringer.“

Dr. Peter Rost, Vorsitzender des Bayerischen Sportärzteverbandes im Bezirk Unterfranken, schwört bei der Erstbehandlung vor allem auf sogenannte automatisierte externe Defibrillatoren (AED), die in jedem Vereinsheim zu finden sein sollten und leicht und sicher von jedem bedient werden können. Denn oft, so Rost, werde die Gefahr bei den Amateuren unterschätzt: „Gerade im Breitensport wächst das Risiko mit dem Alter. Jeder Sportler über 35 sollte sich vorher auf seine Sporttauglichkeit untersuchen lassen und ein Belastungs-EKG machen.“ Falls es zu einem Kammerflimmern oder zu einem Kreislaufstillstand kommen sollte, könnten eben jene AEDs lebensrettende Dienste leisten. Durch die Abgabe von Stromstößen kann häufig die regelmäßige Herzaktivität wiederhergestellt werden. Der große Vorteil dabei: „Die Geräte können von jedem Laien bedient werden, man kann gar nichts falsch machen. Die Maschine gibt genaue Anweisungen, was zu tun ist und prüft eigenständig den Herzrhythmus. Nur wenn ein Kammerflimmern vorliegt, kann auch ein Stromstoß abgegeben werden“, sagt Rost.

Denn egal, ob Profi oder Amateur – die schnelle Hilfe kann Leben retten, so wie bei Fußball-Profi Fabrice Muamba, der im März 2012 im Alter von 23 Jahren in England einen plötzlichen Herzstillstand überlebte. Sein belgischer Kollege Anthony Van Loo spielt sogar mit einem eingepflanzten Defibrillator, der ihm nachweislich bereits das Leben gerettet hat. Dem 26-jährigen Mittelfeldspieler Jürgen Gjasula vom MSV Duisburg wurde in diesem Jahr womöglich das Leben gerettet, als sein Mannschaftsarzt eine Herzmuskelentzündung als Folge einer schweren Virus-Infektion diagnostiziert hatte und ihm eine Zwangspause von mindestens drei Monaten verordnete.

So viel Glück hatte Axel Jüptner nicht. Tatsächlich ist es ihm zu verdanken, dass Menschen wie Gjasula heutzutage eine erkennbare Herzerkrankung nicht mehr mit dem Leben bezahlen müssen. Etwa zwölf Monate nach seinem Tod setzte die Vereinigung der Vertragsfußballspieler (VdV) 1999 eine „Weisung Jüptner“ im Deutschen Fußballbund (DFB) durch: Seitdem sind jährliche fachärztliche Untersuchungen mit großem Blutbild, Ruhe- und Belastungs-EKG und Ultraschall-Kontrolle für alle deutschen Fußball-Profis Pflicht. Ähnliche Verordnungen gelten für alle Kader-Sportler. Genau das war Jüptners ungewollter Beitrag, der die Gesundheitsvorsorge revolutionierte und ihn in die Geschichte eingehen ließ. Auf einen solchen Status hätte er sicherlich gerne verzichtet. Jüptner, so viel ist heute klar, wäre noch am Leben, wenn die heutigen medizinischen Standards schon damals vorgeschrieben gewesen wären. Klar ist allerdings auch, dass in Zukunft erneut Sportler unerwartet am plötzlichen Herztod sterben werden – und genau das verleiht ihm seinen Schrecken.

Tipps für den Alltag, um bewusster und gesünder zu leben

Herz-Kreislauf-Erkrankungen zählen zu den häufigsten Leiden unserer modernen Gesellschaft. Normaler Alterungsprozess und erbliche Veranlagung spielen sicher eine Rolle, doch entscheidend für eine Krankheitsentstehung ist meist der persönliche Lebensstil. Sogenannte Risikofaktoren gilt es zu verringern oder zu verhindern. Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) gibt Tipps für den Alltag, um bewusster und damit gesünder zu leben:

 

• Hören Sie auf zu rauchen

• Bauen Sie Übergewicht ab

• Bluthochdruck unbedingt behandeln

• Zu hohe Cholesterinwerte senken

• Achten Sie auf gesunde und bewusste Ernährung

• Vermeiden Sie psychischen Stress, plötzliche

Anstrengungen und plötzliche starke Temperaturwechsel

• Gestalten Sie ihr Leben so, dass Sie das für Sie angemessene Gleichgewicht von Spannung und Entspannung halten

• Regelmäßige körperliche Bewegung tut gut, besonders Ausdauersport. Am besten in einem geeigneten Verein.

• In der Nachbehandlung von Herz-Kreislauf- Erkrankungen ist Gesundheitssport heute eine Selbstverständlichkeit, Koronar- oder Herzgruppen sind die richtigen Anlaufstellen. • Bei Vorerkrankung unbedingt vorher ärztlich untersuchen lassen. FOTO: Thinkstock

ONLINE-TIPP

Der Bayerische Landessportverband (BLSV) gibt in Zusammenarbeit mit der Herz-LAG Bayern auf einer Internetseite einen Überblick über Koronar- oder Herzgruppen in Ihrer Nähe: www.herzgruppen-lag-bayern.de

 
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