Journalisten haben zu berichten, was ist. Sie sind ein Spiegel der Gesellschaft. Gleichzeitig schauen sie kritisch hin, ordnen ein, setzen Akzente. Und wo der Beruf dann noch Berufung ist, wo persönliches Herzblut ins tägliche Schaffen fließt – da werden Journalisten zur Marke.
Eine solche Marke verlässt nach über 40 Jahren unsere Würzburger Lokalredaktion Richtung Ruhestand: Richard Wust hat an diesem Freitag seinen letzten Arbeitstag. Der 62-Jährige hat in seiner langen Zeit bei Volksblatt und Main-Post journalistische Leitplanken gesetzt.
Den Menschen zugewandt und nicht weniger der Natur. (Hinter-)fragend und zweifelnd. Zuhörend und mit klarer eigener Position. Sensibel und doch kantig. So haben die Kollegen Richard Wust erlebt – und ebenso viele Würzburger, mit denen er als Redakteur und ab 1996 als Volksblatt-Redaktionsleiter bei vielfältigsten Themen zu tun hatte.
Sein breites Interesse am Stadtleben und sein sicherer journalistischer Instinkt haben ihn ausgezeichnet und ihm großen Respekt eingetragen. Weil er kein Blatt vor den Mund nahm, waren Wusts Kommentare durchaus „gefürchtet“. Gleichzeitig sah er das Besondere im Alltag, schnappte das Menschliche auf. Er war Geburtshelfer für die Volksblatt-Kolumne „Eckstein“. Er prägte und pflegte diesen Charakterkopf bis zuletzt. Mit Richard Wust verlässt an diesem Freitag auch der „Eckstein“ das Volksblatt.
Der Beruf des Journalisten befindet sich durch die Digitalisierung im beschleunigten Wandel. Online gewinnt gegenüber Print weiter an Bedeutung. Doch Veränderungen gehörten seit jeher dazu. Richard Wust hat noch die „Bleizeit“ erlebt und eigenhändig Überschriften im Winkelhaken aus dem Setzkasten gebaut.
Wie er zu dem Beruf gekommen ist? Eher Zufall. Von Kindheit an von der Natur begeistert und damals verklärt von der Literatur des volkstümelnden Literaten Hermann Löns, wollte Wust eigentlich Förster werden. Das passte dem Vater ebenso wenig wie die Ausbildung zum Redakteur. Er hatte sich einen soliden Beamten vorgestellt. Gestärkt durch beste Noten als Klassenbester im Schulfach Deutsch an der Realschule, ging der aufmüpfige Sohn seinen eigenen Weg.
Nach einem Praktikum im Fotolabor und -geschäft startet Richard Wust seine journalistische Laufbahn im November 1970 mit dem Volontariat bei der Windsheimer Zeitung, die zu den Nürnberger Nachrichten gehört. Seine Bundeswehrzeit verschlägt ihn im Anschluss nach Veitshöchheim, wo er in der Pressestelle im Divisionsstab der 12.Panzerdivision mit seiner Journalisten-Ausbildung gern gesehen ist.
An den Nachmittagen fährt er aus der Kaserne gesammelte Pressemitteilungen der Bundeswehr nach Würzburg zu Volksblatt und Main-Post. Kontakte, die nicht ohne Folgen bleiben: Noch in seiner Wehrdienstzeit engagiert ihn das damals eigenständige Volksblatt im August 1973 als Aushilfsredakteur für den Seitenumbruch.
Im April 1974 folgt die erste Festanstellung: Wust wird stellvertretender Chef vom Dienst (CvD) beim Volksblatt. In dieser Zeit verlegt die Main-Post ihre Druckerei von der Plattnerstraße zum Heuchelhof, später folgt die Volksblatt-Druckerei aus dem Echterhaus in der Juliuspromenade. 15-Stunden-Tage sind die Regel, der CvD hat alle Andrucke zu kontrollieren und abzusegnen. Dass oft erst nachts um drei Schluss war – kein Thema. Aber gern und viel gearbeitet hat Richard Wust schon immer, bis zum letzten Tag in der Redaktion, oft zu Lasten der Familie. Er hat zwei Söhne und inzwischen vier Enkelkinder.
Nach fünf Jahren wechselt er 1979 in die Würzburger Redaktion des Volksblatts, wird Stellvertreter von Lokalchef Klaus M. Höynck. Seit elf Jahren ist da Oberbürgermeister Klaus Zeitler (SPD) schon im Amt. Richard Wust sollte neben ihm noch vier weitere OBs im Rathaus erleben – über einen ehemaligen (Helmuth Zimmerer) schreibt er zur Beisetzung am Hauptfriedhof. Die Kommunalpolitik war Wusts Steckenpferd, er hat sie kritisch begleitet und sich über Meinungsbeiträge eingemischt. Die Kontakte zu den Handelnden waren damals intensiver als heute: „Die Kommunikation hat sich allgemein verändert.“
Wust verfolgt den Streit um die ICE-Trasse durch den Steinberg, die jahrzehntelangen Debatten um das Mainfranken Theater, die A 3-Ausbauplanung und natürlich: die Kommunalwahlen mit all ihrer Spannung und Emotion. Für den Vollblut-Journalisten sind sie Momente der Kür. Zumal über lange Zeit – bis zur Jahrtausendwende – noch hartnäckig ein Konkurrenzkampf zwischen Volksblatt und Main-Post geführt wird. „Das war kein Krieg“, erinnert er sich. „Aber ein sportlicher Wettstreit um die besten und schnellsten Geschichten. Das war spannend“, erzählt er in der Rückschau. Und freut sich heute noch fast diebisch, doch etliche Male die Nase vorn gehabt zu haben. Etwa mit der frühen Einführung einer Jugendseite im Volksblatt.
Ein absolutes Highlight für den bekennenden Naturfreund Wust (seit drei Jahrzehnten im Bund Naturschutz) ist persönlich und als Journalist der erste und einzige Deutsche Umwelttag vom 6. bis 8. Juni 1986 in Würzburg, wenige Wochen nach der Tschernobyl-Katastrophe: „Das war wohl das einzige Mal, wo ich drei Tage so gut wie Tag und Nacht durchgearbeitet habe.“ Später dokumentiert er die Veranstaltung im Auftrag der deutschen Umweltverbände als Buch – und wird dafür von der Stadt mit der Lindahl-Medaille ausgezeichnet.
Einen sprichwörtlich langen Atem zeigt der Tennisspieler und vor allem Langstreckenläufer Richard Wust auch als Sportler: 45 Marathons hat er bis dato bestritten. Dass es seit 2001 einen eigenen Stadtmarathon in Würzburg gibt, ist auch sein Verdienst: Als die Premiere wegen einer Finanzlücke zu scheitern droht, holt er wichtige Leute, u.a. Bürgermeister Adolf Bauer zusammen. So gelingt es, die nötigen Sponsoren aufzutreiben. Einen echten Nervenkitzel gönnt er sich im Sommer 1993: Im Tandem-Sprung stürzt er sich mit Turn-Weltmeister Eberhard Gienger aus 3000 Metern in die Tiefe – und schreibt hinterher über das „Glücksgefühl“.
Richard Wust hat noch die Schreibmaschine gehackt, einen verkorksten Vorspann herausgerissen und zerknüllt in den Papierkorb gefeuert. Er kennt noch die Klebezeitung, die Metteure mit ihren Skalpellen zusammenbauten. Er erinnert sich an die Würzburger Zwei-Medien-Landschaft (Main-Post/Volksblatt) und sieht die Vielfalt von Medien und Kanälen heute. Da ist vieles unpersönlicher geworden. Zwar will er Veränderungen nicht per se beklagen. „Aber nach dem Sinn von Veränderungen sollte man schon fragen dürfen“, meint Wust in typisch philosophischer Manier.
Der Abgang nach über 40 Jahren fällt dem Kollegen schwer. „Weil man in dieser Zeit sehr viele nette Menschen in der Stadt kennengelernt hat.“ So manche Mittagspause, die er mit Buch oder Zeitung auf einer Bank in der Sonne geplant hatte, fiel ins Wasser: Auf dem Weg dahin wurde er in drei oder vier Zufallsgespräche verwickelt. Die wird er vermissen. Denn: „Neugierig bin ich schließlich immer noch.“