ASCHAFFENBURG
War Chefarzt Betrüger oder Opfer einer Intrige?
Offenbar verfügt Professor Alexander Teichmann über die seltene Gabe, an zwei Orten gleichzeitig sein zu können: Zwischen 2003 und 2007 soll der Leiter der Gynäkologie am Aschaffenburger Klinikum bei 44 Patienten Chefarzt-Behandlung abgerechnet haben. Zur gleichen Zeit war er – wie die Kripo ermittelte – auf dem Flug nach Belgrad, in Budapest, Ghana, auf Kreuzfahrt oder als Gutachter auf dem Weg zu Gerichtsterminen.
Dies brachte den Frauenarzt nach einem jahrelangen Ermittlungsverfahren voller Merkwürdigkeiten auf die Anklagebank. Vor der großen Strafkammer des Landgerichts Aschaffenburg soll bis Dezember über Schuld oder Unschuld entschieden werden. In einer einstündigen Verteidigungsrede hat der 61-Jährige zu Prozessbeginn betont, er halte seine Vorgehensweise für einwandfrei.
Im Kern verteidigt er sich damit, dass die Patienten über seine Abwesenheit informiert wurden und einverstanden waren, dass in Vertretung einer seiner Oberärzte operierte. Er sieht sich in Einklang mit der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) und der Rechtsprechung, die sagt: Ein Chefarzt „kann sich durch vorher benannte Vertreter vertreten lassen“ und dennoch Rechnungen stellen. „Das mache ich heute noch wie damals, auch gerade jetzt, während ich hier bin,“ erklärte er vor Gericht. Dabei stützt er sich auf die Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) und Richtlinien der deutschen Krankenhausgesellschaft.
Die Aschaffenburger Klinik schließe mit einem so genannten Vertreterzettel über den gewöhnlichen Vertrag für Privatpatienten hinaus eine Individualvereinbarung darüber ab, dass ein Oberarzt statt dem Chefarzt behandeln darf. Dies habe Teichmann 2002 in einer Dienstanweisung eingeführt. Er argumentiert mit Paragraf 4 der GOÄ. Die Staatsanwaltschaft ist der Auffassung, dass nach Paragraf 5 ein niedrigerer Gebührensatz fällig gewesen wäre.
Was sich nach blutleerer Paragrafenreiterei anhört, ist in Wahrheit spannend. Nicht nur, dass sich im Falle einer Verurteilung – wie Teichmann betont – „Staatsanwaltschaften überall mit Klinik-Ärzten befassen“ müssten. Tatsächlich besteht die Möglichkeit, dass Teichmann Opfer einer Intrige wurde. Losgetreten wurde der Fall laut Teichmanns Darstellung von einem Oberarzt, den er auf Empfehlung seines Vorgängers kalt gestellt hatte. Der Oberarzt, der nach diversen Vorfällen versetzt worden war, nachdem er mit einer Art Kinnhaken einen anderen Arzt der Klinik niedergestreckt habe, sei nun zu einer Art Rachefeldzug ausgerückt. Er besorgte sich über eine Kollegin alle Krankenakten seines Chefs und sammelte Indizien für ein angebliches Fehlverhalten, erzählte Teichmann jetzt vor Gericht.
Dies habe ihm die Kollegin, die zunächst mitgemacht habe, aber dann Skrupel bekam, an Weihnachten 2007 gestanden. Sie warnte Teichmann vor einer bevorstehenden Durchsuchung. Der Oberarzt soll aus Rache Gerüchte über das Liebesleben des Chefs in Umlauf gebracht haben, was er bestreitet. Seltsam ist aber, dass später auf einem Durchsuchungsbeschluss gegen Teichmann ausgerechnet die Adresse jener Person angegeben war, mit der ihm ein Verhältnis angedichtet wurde - obwohl Teichmann betont, er habe nie einen anderen Wohnsitz in Aschaffenburg gehabt als den bei seiner Frau in Großostheim.
Doch damit nicht genug. Dr. H. soll auch Krankenversicherungen gegenüber heimlich den Verdacht genährt haben, es habe ärztliche Kunstfehler bis zum Tod einer Patientin gegeben. Offiziell ist von einer anonymen Anzeige die Rede. Die Versicherungen schalteten die Staatsanwaltschaft ein. Auf Anzeigen der Bayerischen Beamtenkrankenkasse und des Debeka Krankenversicherungsvereins durchsuchten am 10. Januar 2008 im Auftrag der Staatsanwaltschaft 50 Polizisten die Krankenhäuser und Klinikverwaltungen in Aschaffenburg, Alzenau, Karlstadt und Marktheidenfeld. 6000 Patientenakten wurden beschlagnahmt.
Doch von den ursprünglichen Vorwürfen blieb zunächst nichts übrig: Eine über 90-jährige Patientin, die Teichmann wegen eines Krebsleidens operiert hatte, starb an einem Herzinfarkt. Ein Gutachten bescheinigte: Kein fehlerhaftes Verhalten. Einer Frau soll er eine Brust abgenommen haben, ohne dass dies notwendig war. Doch die Frau hatte noch beide Brüste. Als falsch stellte sich auch heraus, dass er Organentfernungen berechnet hatte, obwohl die Organe im Körper der Patientinnen verblieben waren.
Doch Ermittlungen gingen weiter, auch gegen Teichmanns Frau, die ein Restaurant betreibt, auch beim Finanzamt - alles ohne Ergebnis, wie Teichmann betont. Er kann auf einen makellosen beruflichen Lebenslauf verweisen: In 38 Dienstjahren habe seine Haftpflichtversicherung nie etwas zahlen müssen. Er kritisiert, dass entlastende Fakten nicht in die Akten aufgenommen worden seien. Er sprach von einer „Vernichtungskampagne“ der Staatsanwaltschaft, was die zurückweist. Seine Strafanzeigen gegen den Staatsanwalt und zwei Kripobeamte wurden eingestellt, die Ermittlungen gegen den Chefarzt nicht.
Das Kesseltreiben ging weiter. Man befragte Mitarbeiter, ob es Hinweise gebe, dass er die Klinik betrogen habe. Einen siebenstelligen Betrag, den er in den Jahren bis 2007 zu viel entrichtet habe, habe man nicht entdeckt, aber 132 Euro in einem Kuvert, spottete Teichmann. Mit Unterlagen, die sein Anwalt eigentlich zu seiner Entlastung zur Verfügung gestellt hatte, wurde ein Bewegungsprotokoll des Professors erstellt. Man wertete über 13 000 Rechnungen des Frauenarztes aus. Am Ende blieben zunächst etwas über 100, dann 55, von denen noch einmal elf vor Prozessbeginn gestrichen wurden.
2010 hätte er das Verfahren gegen Zahlung von 250 000 Euro still beenden können, wäre aber vorbestraft gewesen. Er hat das abgelehnt, weiß auch den Krankenhausträger auf seiner Seite: Bis heute wurde der Chefarzt nicht von der Klinik suspendiert. Er betont, er habe auch die Gerichte nicht über die Zeit getäuscht, die er zur Anreise für die Erstattung von Gutachten gebraucht hätte. Er habe lediglich Anfahrtszeiten zusammengezogen, wenn er Zwischenaufenthalte eingelegt hätte, um lästige Nachfragen der Verwaltung zu vermeiden.
Teichmann sagte am Ende seiner temperamentvollen Rede, wenn die Anklage mit 44 Rechnungen und einem Schaden von 70.000 Euro stimme, hätte das für ihn nach allen Abzügen gerade mal 250 Euro an Mehreinnahmen pro Jahr bedeutet, "das ist doch nahezu absurd". Er kündigte an, im Prozess auch die 44 Fälle klären zu können. Er will einen Freispruch.
Dies brachte den Frauenarzt nach einem jahrelangen Ermittlungsverfahren voller Merkwürdigkeiten auf die Anklagebank. Vor der großen Strafkammer des Landgerichts Aschaffenburg soll bis Dezember über Schuld oder Unschuld entschieden werden. In einer einstündigen Verteidigungsrede hat der 61-Jährige zu Prozessbeginn betont, er halte seine Vorgehensweise für einwandfrei.
Im Kern verteidigt er sich damit, dass die Patienten über seine Abwesenheit informiert wurden und einverstanden waren, dass in Vertretung einer seiner Oberärzte operierte. Er sieht sich in Einklang mit der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) und der Rechtsprechung, die sagt: Ein Chefarzt „kann sich durch vorher benannte Vertreter vertreten lassen“ und dennoch Rechnungen stellen. „Das mache ich heute noch wie damals, auch gerade jetzt, während ich hier bin,“ erklärte er vor Gericht. Dabei stützt er sich auf die Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) und Richtlinien der deutschen Krankenhausgesellschaft.
Die Aschaffenburger Klinik schließe mit einem so genannten Vertreterzettel über den gewöhnlichen Vertrag für Privatpatienten hinaus eine Individualvereinbarung darüber ab, dass ein Oberarzt statt dem Chefarzt behandeln darf. Dies habe Teichmann 2002 in einer Dienstanweisung eingeführt. Er argumentiert mit Paragraf 4 der GOÄ. Die Staatsanwaltschaft ist der Auffassung, dass nach Paragraf 5 ein niedrigerer Gebührensatz fällig gewesen wäre.
Was sich nach blutleerer Paragrafenreiterei anhört, ist in Wahrheit spannend. Nicht nur, dass sich im Falle einer Verurteilung – wie Teichmann betont – „Staatsanwaltschaften überall mit Klinik-Ärzten befassen“ müssten. Tatsächlich besteht die Möglichkeit, dass Teichmann Opfer einer Intrige wurde. Losgetreten wurde der Fall laut Teichmanns Darstellung von einem Oberarzt, den er auf Empfehlung seines Vorgängers kalt gestellt hatte. Der Oberarzt, der nach diversen Vorfällen versetzt worden war, nachdem er mit einer Art Kinnhaken einen anderen Arzt der Klinik niedergestreckt habe, sei nun zu einer Art Rachefeldzug ausgerückt. Er besorgte sich über eine Kollegin alle Krankenakten seines Chefs und sammelte Indizien für ein angebliches Fehlverhalten, erzählte Teichmann jetzt vor Gericht.
Dies habe ihm die Kollegin, die zunächst mitgemacht habe, aber dann Skrupel bekam, an Weihnachten 2007 gestanden. Sie warnte Teichmann vor einer bevorstehenden Durchsuchung. Der Oberarzt soll aus Rache Gerüchte über das Liebesleben des Chefs in Umlauf gebracht haben, was er bestreitet. Seltsam ist aber, dass später auf einem Durchsuchungsbeschluss gegen Teichmann ausgerechnet die Adresse jener Person angegeben war, mit der ihm ein Verhältnis angedichtet wurde - obwohl Teichmann betont, er habe nie einen anderen Wohnsitz in Aschaffenburg gehabt als den bei seiner Frau in Großostheim.
Doch damit nicht genug. Dr. H. soll auch Krankenversicherungen gegenüber heimlich den Verdacht genährt haben, es habe ärztliche Kunstfehler bis zum Tod einer Patientin gegeben. Offiziell ist von einer anonymen Anzeige die Rede. Die Versicherungen schalteten die Staatsanwaltschaft ein. Auf Anzeigen der Bayerischen Beamtenkrankenkasse und des Debeka Krankenversicherungsvereins durchsuchten am 10. Januar 2008 im Auftrag der Staatsanwaltschaft 50 Polizisten die Krankenhäuser und Klinikverwaltungen in Aschaffenburg, Alzenau, Karlstadt und Marktheidenfeld. 6000 Patientenakten wurden beschlagnahmt.
Doch von den ursprünglichen Vorwürfen blieb zunächst nichts übrig: Eine über 90-jährige Patientin, die Teichmann wegen eines Krebsleidens operiert hatte, starb an einem Herzinfarkt. Ein Gutachten bescheinigte: Kein fehlerhaftes Verhalten. Einer Frau soll er eine Brust abgenommen haben, ohne dass dies notwendig war. Doch die Frau hatte noch beide Brüste. Als falsch stellte sich auch heraus, dass er Organentfernungen berechnet hatte, obwohl die Organe im Körper der Patientinnen verblieben waren.
Doch Ermittlungen gingen weiter, auch gegen Teichmanns Frau, die ein Restaurant betreibt, auch beim Finanzamt - alles ohne Ergebnis, wie Teichmann betont. Er kann auf einen makellosen beruflichen Lebenslauf verweisen: In 38 Dienstjahren habe seine Haftpflichtversicherung nie etwas zahlen müssen. Er kritisiert, dass entlastende Fakten nicht in die Akten aufgenommen worden seien. Er sprach von einer „Vernichtungskampagne“ der Staatsanwaltschaft, was die zurückweist. Seine Strafanzeigen gegen den Staatsanwalt und zwei Kripobeamte wurden eingestellt, die Ermittlungen gegen den Chefarzt nicht.
Das Kesseltreiben ging weiter. Man befragte Mitarbeiter, ob es Hinweise gebe, dass er die Klinik betrogen habe. Einen siebenstelligen Betrag, den er in den Jahren bis 2007 zu viel entrichtet habe, habe man nicht entdeckt, aber 132 Euro in einem Kuvert, spottete Teichmann. Mit Unterlagen, die sein Anwalt eigentlich zu seiner Entlastung zur Verfügung gestellt hatte, wurde ein Bewegungsprotokoll des Professors erstellt. Man wertete über 13 000 Rechnungen des Frauenarztes aus. Am Ende blieben zunächst etwas über 100, dann 55, von denen noch einmal elf vor Prozessbeginn gestrichen wurden.
2010 hätte er das Verfahren gegen Zahlung von 250 000 Euro still beenden können, wäre aber vorbestraft gewesen. Er hat das abgelehnt, weiß auch den Krankenhausträger auf seiner Seite: Bis heute wurde der Chefarzt nicht von der Klinik suspendiert. Er betont, er habe auch die Gerichte nicht über die Zeit getäuscht, die er zur Anreise für die Erstattung von Gutachten gebraucht hätte. Er habe lediglich Anfahrtszeiten zusammengezogen, wenn er Zwischenaufenthalte eingelegt hätte, um lästige Nachfragen der Verwaltung zu vermeiden.
Teichmann sagte am Ende seiner temperamentvollen Rede, wenn die Anklage mit 44 Rechnungen und einem Schaden von 70.000 Euro stimme, hätte das für ihn nach allen Abzügen gerade mal 250 Euro an Mehreinnahmen pro Jahr bedeutet, "das ist doch nahezu absurd". Er kündigte an, im Prozess auch die 44 Fälle klären zu können. Er will einen Freispruch.
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