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WÜRZBURG/MÜNCHEN
Von wegen Studium: G8-Schüler machen lieber Auszeit
Durch verkürzte Schulzeit schneller zum Uni-Abschluss: So wurde die Einführung des G8 in Bayern begründet. Doch da machen die jungen Abiturienten nicht mit.
Abitur und dann? Der G8-Abschluss lässt viele junge Menschen unentschlossen zurück. Beliebt ist dann eine Work-and-Travel-Auszeit (arbeiten und reisen).
Foto: Thinkstock | Abitur und dann? Der G8-Abschluss lässt viele junge Menschen unentschlossen zurück. Beliebt ist dann eine Work-and-Travel-Auszeit (arbeiten und reisen).
Von unserem Redaktionsmitglied Gisela Rauch
 |  aktualisiert: 10.05.2023 10:58 Uhr

Abiturienten mit G-8-Abi entscheiden sich öfter als G9-Gymnasiasten dafür, nach ihrem Schulabschluss nicht gleich zu studieren. Dies bestätigen der Studienberater der Fachhochschule Würzburg-Schweinfurt, Elmar Kemmer, und der Leiter der Studienberatung der Uni Würzburg, Hendrik Beierstettel.

Nach Angaben von Beierstettel, der gemeinsam mit fünf Kollegen zum Wintersemester zwischen 1500 und 2000 Abiturienten aus der Region beraten hat, sagen „mindestens ein Drittel“ seiner Klienten, dass sie, statt gleich zu studieren, sich lieber eine Auszeit nehmen wollten, sich selbst finden wollten.

Auch FH-Studienberater Kemmer hat den Eindruck, dass die G8-Abiturienten dazu neigen, eine Berufs- oder Studienentscheidung hinauszuzögern. „Das ist neu; das habe ich bei den G9ern nicht so häufig gesehen.“

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Mit Überraschung hat Beierstettel zur Kenntnis genommen, dass viele Abiturienten während des Beratungsgesprächs Bedauern darüber ausgedrückt haben, dass Bundeswehr oder Zivildienst nicht mehr verpflichtend sind. In der Wahrnehmung der jungen Leute stehe der 2011 abgeschaffte verpflichtende Wehr- oder Zivildienst offenbar für eine Zeit, die frei sei von Entscheidungsdruck; eine Zeit, in der man neue Erfahrungen machen könne, sich fürs Leben aber nicht festlegen müsse.


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„Die G8-Generation scheint den Wunsch zu haben, sich selbst ohne Druck entdecken zu können“, so Beierstettel. Weshalb seinen Worten zufolge bei den G8-Abiturienten Reiseangebote von Anbietern, die „Work and Travel“ (Arbeit und Reise) verbinden, extrem beliebt sind.

Auch das Freiwillige Soziale Jahr kommt nach den Worten des Studienberaters gut an. „Die jungen Leute besuchen die Studienberatung, um abzuklären, dass sie keine Nachteile haben, wenn sie nicht gleich studieren und entscheiden sich dann erleichtert dafür, sich erstmal im Ausland oder in der Arbeitswelt umzuschauen.“

Nach Beierstettels Einschätzung sind die G8-Abiturienten auch unsicherer als die früheren G9-Jahrgänge, was die Studienfachwahl betrifft. Der Studienberater sagt, er habe jetzt mehr Abiturienten, die so gar nicht wüssten, in welche Richtung sie gehen sollten und die schwankten zwischen so unterschiedlichen Fächern wie Veterinärmedizin, Musik und Geographie. „Manchmal habe ich den Eindruck, die jungen Leute hoffen auf jemanden, der ihnen die Entscheidung abnimmt“.

Eva Stumpf, die als Psychologin an der Uni Würzburg Abiturienten und Studienanfängern „Orientierungsberatung“ anbietet, führt die Unsicherheit und den hohen Beratungsbedarf der G8-Abiturienten nicht nur darauf zurück, dass die Abiturienten jünger und unreifer seien.

Stumpf sagt, im Zuge der Bologna-Reform habe sich die Zahl der an der Uni Würzburg angebotenen Studiengänge etwa verdreifacht; das mache die Entscheidung natürlich schwieriger. Beierstettel glaubt, dass die steigende Nachfrage der Jung-Abiturienten nach Beratung auch darauf zurückzuführen ist, dass ihnen „externe Berater“ wie Eltern und Lehrer bei der Auswahl der Studienfächer immer weniger helfen können. „Mit neuen Studiengängen kennt sich die Elterngeneration nicht aus; sie trauen sich Ratschläge nicht mehr zu.“

Dass der von unterfränkischen Studienberatern beobachtete Trend zur Verschiebung des Studienbeginns bei G8-Abiturienten für ganz Bayern gilt, ist wahrscheinlich, aber nicht belegbar. Das Bayerische Wissenschaftsministerium hat über die Studierwilligkeit der ersten zwei bayerischen G8-Jahrgänge keine Erkenntnisse. Hochschulstatistiken des Ministeriums erfassten weder Herkunftsbundesland noch das Alter noch die absolvierte Schulform der Erstsemester – wie sich Bayerns G8-Absolventen in der Masse verhielten, sei also aus Ministeriumsdaten nicht ablesbar, sagt Sprecherin Susanne Raab.

Bestätigt sich allerdings auch in anderen Regionen Bayerns die These, dass G8-Abiturienten mehr als G9-Abiturienten nach ihrem Turbolernen eine lange Verschnaufpause brauchen, würde sich das Motiv für die Einführung des achtjährigen Gymnasiums in Bayern selbst ad absurdum führen.

Als das achtjährige Gymnasium 2004 in Bayern eingeführt wurde, präsentierten es nämlich Edmund Stoiber, der damalige Ministerpräsident, und Monika Hohlmeier, seine damalige Kultusministerin, als eine Art Schnellstraße zum Beruf. Stoiber, auf dessen Geheiß G8 in Bayern begann, führte als Hauptargument fürs verkürzte Gymnasium die kürzere Gymnasialschulzeit in anderen europäischen Ländern und das vergleichsweise niedrige Alter der Hochschulabsolventen aus Nachbarländern an.

G8-Absolventen, sagte Stoiber damals, würden durch eine kürzere Schulzeit und auch durchs kürzere Studium endlich mit Hochschulabsolventen anderer Länder auf dem internationalen Markt konkurrieren können. Auch würden G8-Absolventen dem Arbeitsmarkt früher zur Verfügung stehen.

Doch da scheinen eben nicht alle Abiturienten mitspielen zu wollen.

 


Orientierungstests:

Abiturienten, die sich unschlüssig darüber sind, was sie studieren sollen, können im Internet allgemeine Tests zur Studienorientierung machen. Die Hochschulrektorenkonferenz empfiehlt dafür den kostenlosen Orientierungstest der baden-württembergischen Hochschulen, der auf www.was-studiere-ich.de zu finden ist. Der Test erfragt Interessens-, aber auch Begabungsprofile. Studieninteressierte, die ihn machen möchten, sollten sich dafür rund zwei Stunden Zeit reservieren.

Weitere von der Hochschulkonferenz empfohlene Tests:

www.studienwahl-nrw.de

BORAKEL SelfAssessment - Verbund Norddeutscher Universitäten. Studienberatung:

Uni Würzburg, Telefonservice Tel. (09 31) 31 83 183, Mo-Fr 9-15 Uhr; Sekretariat Fr. Wenz Tel. (09 31) 31 82 914 persönlich: Ottostraße 16 (Dachgeschoss), 97070 Würzburg, offene Sprechstunde Mo-Fr 8-12 Uhr, zus. Mi 14-16 Uhr

Fachhochschule Würzburg-Schweinfurt

Tel. (09 31) 35 11 - 61 80 Text: Grr

 
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