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UFFENHEIM
Volksmusik sucht junges Volk
Wiedergeburt: Gesang, Musik und Tanz wie in alten Zeiten erleben in Franken einen Aufschwung – vor allem bei älteren Semestern.
Urig fränkisch: Die Spräublöaser aus der Südwest-Rhön machen Volksmusik Hausmacher Art und animieren ausdrücklich zum Mitmachen.
Foto: Gerhard Schaar | Urig fränkisch: Die Spräublöaser aus der Südwest-Rhön machen Volksmusik Hausmacher Art und animieren ausdrücklich zum Mitmachen.
Tilmann Toepfer
Tilman Toepfer
 |  aktualisiert: 26.04.2023 22:13 Uhr

„Das Wandern ist des Müllers Lust“ Die Volksmusik hat im kulturellen Leben Frankens wieder an Bedeutung gewonnen – begrifflich allemal. Volksmusikfeste gehören zum Alltag, im Juni fand in Mönchsondheim (Lkr. Kitzingen) der elfte Unterfränkische Volksmusiktag statt. Die von den drei fränkischen Bezirken getragene Forschungsstelle für Fränkische Volksmusik (FFV) im mittelfränkischen Uffenheim liefert seit 1981 wertvolle Grundlagen für die Wiedergeburt, auch die Arbeitsgemeinschaft Fränkische Volksmusik (Arge) hilft mit Noten und CDs beim Musizieren, Singen und Tanzen. „Kein schöner Land in dieser Zeit“ Wirtshaussingen erlebt seit Jahren einen regelrechten Boom.

Das entspricht dem Lebensgefühl heutiger Menschen, heißt es in einem Text aus Uffenheim. Sicher entspringt das Gefühl auch dem Wunsch, die „gute alte Zeit in unserer Freizeit aufleben zu lassen“, schreibt Heidi Christ von der FFV. „Im Wald und auf der Heide“ Wird wirklich wieder mehr musiziert, gesungen und getanzt vom fränkischen Volk als früher? Mehr als in den 1950er und 1960er Jahren vielleicht, sagen Experten. Mehr als vor 80, 100, 150 Jahren sicher nicht. „Schwarzbraun ist die Haselnuss“ Historisch betrachtet ist „die Volksmusik“ als Gattung ohnehin eine Spätgeburt. Begrifflich existiert sie seit den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, erläutert Armin Griebel, Leiter der Forschungsstelle in Uffenheim. Mit völkischen Konzepten verbunden wurde „die Volksmusik“ damals von NS-Ideologen als eine aus dem Deutschtum erwachsene Musik der sogenannten „entarteten Musik“ gegenübergestellt.

„Die Gedanken sind frei“

Nach 1945 wurde der Volksmusik-Begriff samt dem ideologischen Beiwerk wie „echt“ einfach weiterverwendet. Das mögen deutsche Jugendliche in den 60er und 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts gespürt haben. Viele von ihnen brachten Volksmusik mit den Ewiggestrigen beziehungsweise der NS-Ideologie in Verbindung – und öffneten Ohren wie Herzen schnell und weit für Jazz, Rock und Pop. „Wohlan, die Luft geht frisch und rein“ Lässt man den Gedanken an das „Völkische“ hinter sich, erschließt sich ein ganz anderer Kosmos – jener der beim Volk seit Jahrhunderten populären Gebrauchsmusik. Traditionelle Musik also, die man von Kindesbeinen an beinahe nebenher auswendig lernte und die jederzeit abrufbar war. Sie wurde folglich häufig schriftlos überliefert und war für die Regionalkulturen prägend. Musik, die zu keiner Zeit vom Volkstanz zu trennen war.

„Lustig, ihr Brüder“

Noch gar nicht so lange ist es her, da waren fränkische Wirtshäuser für breite Schichten der Bevölkerung – nicht selten der einzige – Hort froher Geselligkeit und gemütlicher Bräuche. Dort wurde gemeinschaftlich und spontan gesungen. Bei Festen und Tanzveranstaltungen aller Art spielte die dörfliche Blas- oder Streichmusik: Schottisch, Rheinländer-Polka und Mazurka.

Für Franken typische Tänze waren der Drei-Schritt-Dreher und in manchen Regionen der „Zwiefache“. Im Kirchweihzeremoniell bestimmter Orte werden die genannten Tänze heute noch ganz selbstverständlich getanzt. Ansonsten haben „Volkstänzer“ die Pflege der Tanztraditionen übernommen, erläutert Armin Griebel. „Horch, was kommt von draußen rein“ Im Wirtshaus sangen übrigens meist nur Männer – Stammtisch- oder Kartbrüder. Was nicht heißt – dass das Liederrepertoire von Frauen geringeren Umfang hatte.

Tonbandaufnahmen von Armin Griebel und Franz Josef Schramm, Volksmusikberater für Mittel- und Unterfranken beim Bayerischen Landesverein für Heimatpflege, belegen das Gegenteil. Die 1911 im Rhöner Dorf Premich geborene Anna Arnold sang den beiden Experten in den 90er Jahren nicht weniger als 130 Lieder vor – auswendig. Neue Erkenntnisse für die Forschungsstelle in Uffenheim. Die besitzt eines der größten Notenarchive für historische Gebrauchsmusik in Bayern.

„Der Mond ist aufgegangen“

Heutzutage ist spontanes Singen im Wirtshaus selten geworden. Die Wirtshaussingbewegung, die es auch im Fränkischen seit vielen Jahren gibt, unterscheidet sich von den Wirtshaussingereien früherer Zeit erheblich. Sie ist ritualisiert, institutionalisiert: Es gibt feste Termine und veröffentlichte Einladungen, und Liederhefte muss man in der Regel nicht mitbringen. Dass das Singen bestens organisiert ist, beeinträchtigt den Spaß daran nicht, betont Arge-Vorsitzender Reinhard Hüßner. Und die Nachfrage nach dem Liederbüchlein des Bezirks Unterfranken ist ungebrochen, freut sich Birgit Speckle, beim Bezirk in der Kulturarbeit und Heimatpflege emsig tätig. Absolute Renner sind die „Wirtshauslieder“, zwei Taschenliederbücher, die Arge Volksmusik und Forschungsstelle herausgegeben haben: rund 30 000 Exemplare davon sind unters Volk gebracht.

„Es klappert die Mühle am rauschenden Bach“

Man dürfe das nicht so eng sehen mit der Volksmusik, mahnt Reinhard Hüßner. Nach Ansicht des Arge-Vorsitzenden kommt es nicht aufs Auswendig-Singen an und auch nicht darauf, ob in Dialekt oder Hochdeutsch gesungen wird. Volksmusik sei „überhaupt nichts Statisches“, ergänzt Birgit Speckle. Man müsse immer wieder etwas Neues ausprobieren und die ganze Bandbreite der Musik fördern, auch Jazz, Rock und Pop. Beim Cross-over verschiedener Stile könne man voneinander lernen, sagt Speckle, und erwähnt die erfolgreichen Gruppen „La Brass Banda“ und „Kofelgschroa“.

„Lass doch der Jugend ihren Lauf“

Volksmusik hat also ähnlich viele Facetten wie Anhänger. Dass „Buwe und Mädli“ in fränkischen Gefilden wieder mehr (vorwiegend bajuwarische) Tracht tragen als beispielsweise vor einem Jahrzehnt, ist noch kein Hinweis auf ihre Hinwendung zur Volksmusik. Es gibt, hinter vorgehaltener Hand wird das eingeräumt, in der Szene die Tendenz zur Vergreisung. Wobei die Experten von der Arge betonen, das läge daran, dass Rentner und Ruheständler einfach mehr Zeit haben, wenn wieder mal Wirtshaussingen terminiert ist oder ein Volksmusikfest. Reinhard Hüßner, der auch das Kirchburgmuseum in Mönchsondheim leitet, räumt aber ein, die Arge sei von der Mitgliederstruktur „schon ein wenig traditionell“.

Und die Jugend insgesamt sei „zu wenig nah dran an der Musik“. In der Schule werde zu wenig gesungen und musiziert, klagt er, viele Lehrerinnen und Lehrer könnten kein Musikinstrument spielen, auch in den Elternhäusern werde auf dem Gebiet viel versäumt. „Frischauf, zur lieben Rhön hinauf“ Ein weit verbreitetes Bedürfnis zum Singen stellt auch der Leiter der Forschungsstelle für Fränkische Volksmusik fest. Nach der Zukunft der Volksmusik gefragt, äußert sich Armin Griebel vorsichtig.

Der Erfolg des Wirtshaussingens sei nur ein Aspekt, zu diesen und anderen Volksmusikveranstaltungen komme ein „Nischenpublikum“. Griebel wünscht sich neue Konzepte, um die Jugend stärker an die Musik heranzuführen und auch er plädiert für eine bessere musische Erziehung an den Schulen. „Gott mit dir, du Land der Bayern“

Was Volksmusik ist und wer sie fördert

Volksmusik bezeichnet zum einen die traditionelle, häufig schriftlos überlieferte Musik, die oft für Regionalkulturen charakteristisch ist. Im allgemeinen Sprachgebrauch umfasst Volksmusik ferner volkstümliche Schlager, also moderne Unterhaltungsmusik mit Elementen der traditionellen Volksmusik.

Der Begriff kam erst in den 20er und 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts auf. Auch der Begriff Volkstanz stammt als Abgrenzung zum Gesellschaftstanz aus dem 20. Jahrhundert. Hingegen verdankt das Volkslied seinen Namen in Deutschland Johann Gottfried Herder (1744-1803), der 1773 vor dem Hintergrund eines sich entwickelnden Nationalbewusstseins erst schottische, dann deutsche Lieder als Volkslieder bezeichnete.

Die Forschungsstelle für fränkische Volksmusik (FFV) wurde 1981 als Einrichtung der drei fränkischen Bezirke gegründet und ist seit Ende des Jahres 2000 in der „Alten Post“ in Uffenheim beheimatet. Aufgabe der FFV ist es, materielle und immaterielle Zeugnisse populären Musizierens, Singens und Tanzens in Franken zu sammeln und zu archivieren. Die Fachbibliothek mit rund 6000 Bänden und mehr als 2500 Liederbüchern wird laufend erweitert, ebenso die Sammlung von Tonträgern und Videos. www.volksmusik-forschung.de

Die Arbeitsgemeinschaft Fränkische Volksmusik Regierungsbezirk Unterfranken e. V. (Arge) unterstützt beim Musizieren, Singen und Tanzen mit fränkischer Volksmusik mit Noten und Tonträgern. Außerdem veröffentlich sie im Terminkalender, wo es fränkische Volksmusik und Volkstanz zum Erleben und Mitmachen gibt. www.volksmusik-unterfranken.de

Das Referat Kulturarbeit und Heimatpflege des Bezirks Unterfranken sieht seine Aufgabe nicht in der Pflege eines abstrakten Heimatbegriffs, sondern in der Hilfe für Menschen, die das kulturelle Erbe ihrer Heimat bewahren und weitergeben oder erst richtig kennenlernen wollen. www.bezirk-unterfranken.de/heimatpflege

Ein Liederbüchlein mit den schönsten und populärsten Liedern hat der Bezirk Unterfranken herausgegeben. Es wurde in Zusammenarbeit mit dem Referat Kulturarbeit und Heimatpflege des Bezirks und der Forschungsstelle für Fränkische Volksmusik in Uffenheim erstellt.

 
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