Till Ernstson durchstreifte ein Feld, wie schon so oft. Doch diesmal sah ihn der Landwirt und fragte skeptisch, was er denn da bitte schön mache. Er suche den Acker nach tausend Jahre alten Scherben und Steinen ab, antwortete ihm Till Ernstson wahrheitsgemäß. Da belehrte ihn der Mann: Das könne er bleiben lassen, denn im Höchberger Rathaus befinde sich bereits eine Vitrine mit solchen Fundstücken. Till Ernstson war verdutzt und wurde neugierig.
Er erkundigte sich in der Gemeindeverwaltung, ging ins Rathaus. Und tatsächlich: Gleich im Eingangsbereich, auf der rechten Seite, hing ein flacher Glaskasten mit – Steinchen. Unauffällig, verstaubt und verschlafen. So unscheinbar, dass zwar im Rathaus jeder von dieser mittlerweile etwa 30 Jahre alten kleinen Dauerausstellung wusste, aber niemand sich erinnern konnte, wer sich um diese je gekümmert hätte.
Ernstson nahm sich vor und bekam die Erlaubnis, den Schaukasten aufzupäppeln. Und was dabei herausgekommen ist, kann sich sehen lassen. Die entstaubte und ergänzte neue Mini-Ausstellung beleuchtet nun würdiger ein Stück Geschichte über die ersten Höchberger.
Till Ernstson ist 32 Jahre jung. Ihn als Hobby-Archäologen zu bezeichnen, wäre zu tief gestapelt. Seit 16 Jahren schon arbeitet er mit seinem Vater zusammen: Professor Dr. Dr. habil. Kord Ernstson, renommierter Geophysiker und Geologe, der auch an der Würzburger Uni unterrichtet. Till ist dagegen Autodidakt, hat sich sein Wissen über Erdmessungen und Ausgrabungen selbst erarbeitet.
Ein Vorteil war sicherlich, dass sein Vater ihn auf wissenschaftliche Reisen rund um den Globus oft mitgenommen hat. Mutter Ingrid Ernstson ist pensionierte Lehrerin unter anderem für Biologie. Die Nähe zur Erde ist Till also durchaus in die Wiege gelegt worden.
Früher lebte die Familie noch in der Würzburger Leistenstraße, Till durchstreifte in seiner Freizeit mit Freunden die Festungsanlage, kroch in Schießscharten. Unterm Weihnachtsbaum oder zwischen Geburtstagsgeschenken lag auch schon mal eine im Weckglas eingelegte Schlange oder ein ausgestopftes Kleintier. Keine getöteten Lebewesen, das betont Ernstson, sondern verendete Kreaturen. In seinen Flur hat er gar ein totes Pferd und eine Kuh stehen. Es sind wie ein Puzzle wieder zusammen gesetzte Skelette, die der Wissenschaftler am Straßenrand in der spanischen Einöde gefunden, gekonnt auseinander genommen, im Auto nach Deutschland transportiert und im Höchberger Familienhaus wieder aufgebaut hat. Dazu erklärt Ernston, dass es in Spanien üblich sei, verstorbenes Vieh nicht zu entsorgen, sondern in Wald und Flur der Natur zu überlassen.
Till Ernstson wohnt mit seinen Eltern im Höchberger Altort. Sein Reich ist unterm Dach, ein kleines Museum, in dem der junge Ernstson nur zufällig zu leben scheint. Die Steinstufen des Flurs sind mit nachgebildeten Keramiktöpfen und Werkzeugen alter Zeiten, ausgestopften Tieren und Skeletten geschmückt. Wo andere Menschen neuzeitlichen Dekokruscht in Regalen drapieren, stehen und liegen bei Till Ernstson kleine Kostbarkeiten und Nachbildungen aus der Ära zwischen Stein- und Jetztzeit, zwischen Feuer- und Legostein.
Fein säuberlich nummeriert ist auch der noch so kleinste Fund, über tausend Jahre alte Steinbeile, die für das nichtgeschulte Auge wie glatte Kiesel aussehen. Wenn man sich aber so ein Gebilde genau anguckt, sieht man die bewusst abgeschliffene Spitze, die Nutzspuren aus längst vergangenen Zeiten. Und zu finden sind sie oft direkt vor der Tür.
Erst im vergangenen Jahr entdeckte Till Ernstson in der Gegend des Neuen Friedhofs wieder Steinbeile, eine verzierte Tonscherbe sowie den Griff eines Krugs. Geschätztes Alter: Über 7000 Jahre. In einer Kiesgrube im Rheinland stieß Till Ernstson sogar auf einen geriffelten Riesenstein – es war der Backenzahn eines Mammuts. Um Ochsenfurt fand er ein weibliches Skelett mit einer Hundezahnkette, seine Schlussfolgerung: Handwerkerin aus der Jungsteinzeit (etwa 2500 vor Christus), im Höchberger Steinbruch stieß er auf über 200 Millionen Jahre alte Fossilien.
Einen seiner schönsten Funde hatte er ebenfalls im Würzburger Kreis: Ein von einem Keramikgefäß abgebrochener, aber sehr gut erhaltener Widder- oder Stierkopf. Die Augen, zwei Schlitze in dem Kopf wirken wie kleine Fenster in eine andere Zeit. Unbeirrt schauen sie schon seit mindestens 7300 Jahre geradeaus.
Er habe bei seinen Streifzügen bestimmt über hundert unbekannte Fundstellen entdeckt, sagt Till Ernstson. Ehrenamtlich arbeitet er im Landesamt für Denkmalpflege. Er freut sich über die unscheinbarsten Zeugen einer zurück liegenden Zeit. Diese Freude möchte er mit der kleinen Vitrine im Rathaus teilen.
Kontakt: Til Ernstson würde sich freuen, wenn Menschen ihn anrufen und ihm erzählen, dass sie etwas gefunden haben (Tel. 0931-8 52 85).