
Hanne Huntemann (66) war viele Jahre ZDF-Redakteurin für die Reihe „37 Grad“. Seit 2011 arbeitet sie als freie Journalistin. Zusammen mit Angela Joschko hat sie das Buch „Liebe auf den späten Blick – Partnersuche 60+“ veröffentlicht. Das Buch erzählt von Männern und Frauen zwischen 60 und 80, die noch einmal die Liebe suchen. Die Autorin schreibt darin auch ganz offen über ihre eigene Partnersuche im Internet. In Würzburg hat sie bei der Ausstellung „Alter. Körper. Sinnlichkeit“ in der Akademie Frankenwarte aus ihrem Buch vorgelesen.
Hanne Huntemann: Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie viele Abende ich vor dem Rechner gesessen, mir die jeweiligen Dating-Portale angeschaut und überlegt habe: Soll ich das wirklich machen? Aber ich hatte ja das wunderbare Vorbild meiner 80-jährigen Freundin, die übers Netz ihre große Liebe kennenlernte. Sie hat mir Mut gemacht. Und nur mit ihr habe ich darüber gesprochen. Mit allen anderen Freundinnen wäre es mir total peinlich gewesen. Dann ging es los mit meinen nächtlichen Männer-Chats. Mein Gott war das eine aufregende Zeit.
Huntemann: Man sollte sich Zeit nehmen bei der Suche nach dem richtigen Portal und gut auswählen. Es gibt verschiedene Dating-Portale, die sich grundlegend unterscheiden: Singlebörsen, die eher Jüngere ansprechen, die flirten wollen und nicht unbedingt eine feste Partnerschaft suchen. Die andere Kategorie sind Online-Partnervermittlungen, die ältere User im Blick haben, die eine feste Beziehung suchen. Solche Angebote sind entsprechend teurer, aber sie bieten auch einiges. Stiftung Warentest hat 2011 die gängigsten Portale untersucht. Die Ergebnisse können kostenlos im Netz runtergeladen werden.
Huntemann: Beim Ausfüllen des Profils sollte man sich große Mühe geben und sich selbst und die eigenen Wünsche und Bedürfnisse möglichst treffend beschreiben. Vielleicht können gute Freundinnen oder Freunde bei der Formulierung helfen. Am besten ist es, wenn dies mit Humor und Leichtigkeit gelingt und dem Leser möglichst ein Lächeln auf die Lippen zaubert. Denn schließlich geht es ja um etwas sehr Wichtiges, um die Suche nach einem Partner für den Rest des Lebens.
Huntemann: Warten Sie nicht darauf, bis ein Mann Sie anschreibt. Haben Sie Mut, wagen Sie es und schreiben alle Männer an, deren Profil Ihnen gefällt. Und haben Sie keine Angst vor Absagen. Im Netz haben Sie die Chance, Hunderten von potenziellen Lebenspartnern zu begegnen. Sie suchen ja nur eine oder einen. Also gehören Absagen von beiden Seiten einfach dazu. Wichtig dabei ist nur, dass die Höflichkeit nicht auf der Strecke bleibt.
Huntemann: Na ja, vielleicht ist dieses Schummeln in manchen Fällen sogar hilfreich und deshalb auch verzeihlich. Also ich habe mich auch einige Jahre jünger gemacht, denn ich wollte mit meinen damals 63 Jahren keinen 70-jährigen oder noch älteren Mann. Ich war durch meinen Beruf als TV-Journalistin in Kopf und Herz, aber auch rein äußerlich jung geblieben. Da es ganz offensichtlich so ist – wie mir auch die Psychologen der verschiedenen Online-Partnervermittlungen bestätigt haben –, dass gerade Männer dazu neigen, sich nach viel jüngeren Frauen umzusehen, konnte ich so die Chance erhöhen, wenigstens einen gleichaltrigen Mann zu treffen. Wichtig ist bei dieser „kleinen“ Schummelei, dass eigene Wahrnehmung und Realität sich einigermaßen decken. Sonst wird’s natürlich peinlich bis unangenehm.
Huntemann: Meine Co-Autorin Angela Joschko und ich haben uns bei den ersten Gesprächen mit glücklich gefundenen Paaren gewundert, dass wir immer wieder die Formulierung gehört haben: Eine solche Nähe wie in dieser neuen Partnerschaft hatte ich noch nie. Das hat mir übrigens auch meine 80-jährige Freundin gesagt, nachdem sie ihren 85-jährigen Liebsten gefunden hat. Zu Anfang dachten wir noch, das seien Ausnahmen, bis wir begriffen haben, nein, im Alter scheint die Chance, sich mit Haut und Haaren einzulassen, viel größer zu sein.
Huntemann: Befreien muss man sich von engen Vorstellungen, dass die zukünftige Liebe genau die gleichen Qualitäten haben muss wie zum Beispiel der verstorbene oder der geschiedene Partner, dass er oder sie die gleichen Hobbys pflegen soll, in der Nähe wohnen und soundso aussehen muss, die gleichen Vermögensverhältnisse hat und noch dazu kerngesund ist. Wer solch starre Forderungen hat, sollte es lieber lassen. Denn das wird nichts. Bei unseren Recherchen haben Angela Joschko und ich festgestellt, dass die Gesprächspartner, die eine tiefe innere Bereitschaft hatten, sich auf einen anderen Menschen einzulassen, ihm wirklich nahezukommen, und bei der Suche mit Toleranz und Humor rangingen, meist tolle Erfolge hatten. Während die verbissene Suche sicherlich wenig Chancen hat.
Huntemann: Aber klar, auch ich habe mit Erstaunen nochmals diese „jungen“ Gefühle des Herzflatterns, der Schmetterlinge im Bauch, der wunderbaren Leichtigkeit erlebt. Das war absolut nicht anders als mit 17, 30 oder 40 – und absolut aufregend. Und allein das war es schon wert, sich auf die Suche zu begeben. Wenn man jünger ist, kann man sich das gar nicht vorstellen, dass so etwas im Alter noch passieren kann.
Huntemann: Sexualität wird im Alter – wie auch in jüngeren Jahren – ganz unterschiedlich erlebt und gelebt. Natürlich spielt im späteren Alter auch die schwindende Potenz bei Männern eine Rolle. Allerdings nicht bei allen, wie wir erfahren haben. Aber zur Sexualität gehört ja auch Zärtlichkeit, körperliche Nähe, Berührung und vieles mehr. Und das war für alle auch ein ganz wichtiger Motor, um noch einmal auf Partnersuche zu gehen.
Huntemann: Ich bin keine Sexualwissenschaftlerin, aber ich denke, dass die heute älter werdende Generation eher darüber spricht und ihre Bedürfnisse dahingehend benennt. Denn wer heute 60 und älter ist, so wie auch ich, hat den gesellschaftlichen Aufbruch der 68er miterlebt. Das hat den Lebensstil, die Ansprüche an Partnerschaft, Liebe und Sexualität geprägt. Und diese Bedürfnisse ändern sich ja nicht, nur weil man älter wird. In den Gesprächen mit uns waren alle sehr offen und direkt und haben sich zu ihren sexuellen Bedürfnissen ohne falsche Scham bekannt.
Huntemann: Was den Umgang miteinander betrifft, so habe ich immer wieder gehört, dass die Paare darüber berichten, milder und gnädiger mit dem Partner umzugehen als in jüngeren Jahren. Denn im Alter weiß man, was wirklich wichtig ist, und kann die Nähe und Zuneigung des Gegenübers eher schätzen. Und warum das Leben mit Problemen belasten? Man hat ja schließlich keine Zeit mehr zu verlieren.
Huntemann: Die Recherchen zu unserem Buch beinhalten keine Langzeitbeobachtung. Deshalb kann ich keine qualitativ umfassende Aussage dazu machen. Dennoch haben wir festgestellt, es gibt das schmerzliche Thema der begrenzten Zeit, wenn man sich erst im Alter kennenlernt. Dazu kommen natürlich auch die allmählich zunehmenden körperlichen Einschränkungen. So hat mir meine 80-jährige Freundin erzählt, dass sie und ihr 85-jähriger Partner manchmal auch sehr traurig darüber sind zu wissen, dass sie keine Zukunft mehr haben.
Huntemann: Wie könnten Happy Ends für eine Masse von Menschen realistisch sein? Unser Buch versucht der Frage nachzugehen, mit welchen Sehnsüchten, Hoffnungen und Methoden sich ältere Menschen auf die Suche nach der Liebe begeben. Was sie dabei erleben und wie Liebe im Alter gelingen kann. Insgesamt haben wir mehr Liebespaare vorgestellt, die sich gesucht und gefunden haben. Und Sie können mir glauben, ich habe bei den ersten beiden „glücklichen“ Paaren gedacht, das ist ja zu schön, um wahr zu sein. Und je länger ich mich damit beschäftigt habe, konnte ich feststellen, es gibt unzählige Menschen jenseits der 60, die ihre Liebe tatsächlich noch gefunden haben. Denn das Bedürfnis nach Liebe hört nie auf – egal wie alt man ist. Und es ist nie zu spät.
Huntemann: Ja, sehr sogar. Jetzt sind wir bereits zwei Jahre zusammen und ich kann sagen, die Beziehung wird immer inniger und beglückender. In wenigen Wochen werden wir eine gemeinsame Wohnung beziehen.