Als Physikprofessor Alfred Forchel vor 15 Jahren mit seinem Team am Würzburger Mikrostrukturlabor Materialien herstellte, die Kollegen aus Breslau mit speziellen Verfahren untersuchen wollten – da hätte er nie gedacht, dass er im Jahr 2014, als Unipräsident, ein Hilfsprogramm für Universitäten in Lemberg starten würde. Spontan, schnell und ziemlich einmalig ist die Aktion: Ab diesem Wintersemester bieten Dozenten der Uni Würzburg an zwei Hochschulen in Lemberg in einem „Zertifikationsstudiengang“ Seminare und Kurse für ukrainische Studenten an. Um, wie Forchel sagt, in einem zerrütteten Land „den Besten in der politisch und wirtschaftlich schlechten Situation Chancen zu eröffnen, sich weiterzuentwickeln“. Und, nicht ganz uneigennützig, um die sehr Guten nach Deutschland, nach Würzburg zu holen.
Die Vorgeschichte: Seit vielen Jahren arbeitet Nanophysiker Alfred Forchel mit Jan Misiewicz aus Breslau (Wroclaw) zusammen. Materialien für die Nanotechnologie – beide sind Experten auf diesem Gebiet, in ihren Labors klärten sie gemeinsam etliche komplexe optoelektronische Eigenschaften in Halbleitern auf. Im Jahr 2010 erhielten die beiden von der Deutschen Forschungsgemeinschaft DFG den Kopernikus-Preis für deutsch-polnische Zusammenarbeit.
Irgendwann ging die Zusammenarbeit der beiden Physiker über die Wissenschaft hinaus. Vor drei Jahren, bei einem seiner Besuche in Breslau, traf Alfred Forchel den Rektor der Polytechnischen Universität Lemberg (Lviv). Man tauschte sich aus, verstand sich, Rektor Professor Yuriy Bobalo lud seinen Amtskollegen ein. Die politischen Turbulenzen machten die Planung schwierig, eine Reise im Winter kam wegen der dramatischen Nachrichten vom Maidan nicht zustande. Im April wollte der Würzburger Präsident nicht mehr länger warten – und reiste.
„Erschüttert“ sei er gewesen, erzählt Forchel, als er von den Gastgebern durch die Labors der Lviv Polytechnic National University geführt wurde und die Ausstattung sah. „Geräte, die selbst in der DDR entsorgt worden wären – damit kann keine wettbewerbsfähige Forschung betrieben werden“, sagt der Physiker. Forchel und sein Lemberger Amtskollege unterzeichneten ein Memorandum, dokumentierten den Willen zur Zusammenarbeit. Beim Mittagessen danach sagte der Vizepräsident der TU Lemberg für Forchel den entscheidenden Satz: „Wir brauchen keine Absichtserklärungen mehr, wir brauchen konkrete Maßnahmen.“
Konkretes. Wirkliche Hilfe. Die völlig veralteten Labors und Gerätschaften vor Augen, blieb dieser Satz beim Würzburger Unipräsidenten hängen. „Willenserklärungen gibt es viele. Das heißt leider oft nicht, dass sie mit Leben erfüllt sind.“ Forchels Idee: gemeinsame Studiengänge. Das Problem: „Für ukrainische Studenten sind die Lebenshaltungskosten in Deutschland nicht finanzierbar.“ Zurück in Würzburg warb er bei für eine gelebte Uni-Partnerschaft, organisierte eine Reise mit Professorenkollegen aus Natur-, Wirtschafts- und Geisteswissenschaften sowie der Medizin zu einem Workshop nach Lemberg. „Alle, die dabei waren sagen: Den Lembergern muss man helfen.“
Werben um die klügsten Köpfe
Bei zwei weiteren Besuchen in der Ukraine entwickelten die Würzburger Professoren mit ihren Kollegen das Modellprojekt: ein „Zertifikatsstudiengang“, begleitend oder aufgesetzt für Masterstudenten. In Deutschland gibt es vergleichbare Studiengänge als Weiterbildungsangebote, bilateral sind sie neu. Was das konkret heißt: In diesem Semester, das in Lemberg schon begonnen hat, werden Würzburger Mathematik- und Informatik-Dozenten um Professor Alexander Wolf dort Blockkurse anbieten. Unterrichtet wird auf Englisch, die Studenten besuchen begleitend Deutschkurse oder weisen Sprachkenntnisse nach. 50 Studenten von Polytechnischer Universität, 50 Studenten der Ivan Franko National University nutzen das Angebot bereits.
„Es ist ein erster Ansatz“, sagt Forchel über das Programm. Mit dem erworbenen Zertifikat soll es für die Lemberger Nachwuchswissenschaftler einfacher sein, in Deutschland einen Promotions- oder Praktikumsplatz zu finden. Das Engagement in der Ukraine ist nicht uneigennützig: Forchel geht es um Internationalisierung – und um die klügsten Köpfe: „Wir wollen die sehr Guten finden – und nach Deutschland holen.“
Es geht ihm aber auch um direkte Hilfe: Bei Brose, Wittenstein und anderen Unternehmen der Region wirbt Forchel seit jenem Mittagessen in Lemberg für Unterstützung. Computer, Laptops, ausrangierte Mikroskope, Forschungsgeräte – die zwei Unis und die Medizinische Hochschule in Lemberg können alles brauchen, was die Infrastruktur verbessert. Eine erste Lieferung von Brose mit Computern in die Ukraine sei unterwegs. Die Firma Wittenstein habe ebenfalls Unterstützung zugesagt „Wir hoffen, dass wir in diesem Jahr über 100 Rechner organisieren können“, sagt Forchel. Wie die Partnerschaft weitergelebt werden soll? In den nächsten Tagen erwartet die Würzburger Uni dreimal Besuch aus Lemberg: Delegationen von Polytechnischer, klassischer und medizinischer Universität kommen. „Der Austausch unter Kollegen geht weiter.“