Vor fünf Jahren wurde am Krankenhaus St. Josefein Ethikkomitee gegründet. Diesen Geburtstag begeht die Klinik mit einer Vortragsreihe. Als letzter Referent kommt am 9. Juni Privatdozent Dr. Arne Manzeschke. Der Theologe ist Leiter der Fachstelle für Ethik und Anthropologie am Institut Technik-Theologie-Naturwissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität München und Träger des ersten Ethikpreises der Deutschen Wirtschaftsgilde für Forschungen zu Auswirkungen der Fallpauschalen im deutschen Krankenhaussektor.
Arne Manzeschke: Zwischen Wirtschaftlichkeit und Gewinnorientierung besteht ein Unterschied. Krankenhäuser müssen wirtschaftlich arbeiten, sie müssen auch Tarifsteigerungen, Renovierungen und Neuinvestitionen finanzieren, dafür brauchen sie mehr als ein „schwarze Null“. Aber es ist fraglich, ob sie Kapitalgeber mit Dividenden bedienen müssen. Dann nämlich werden Kostenersparnis und Effizienz zum vorrangigen Maßstab. So lässt sich allerdings kein Krankenhaus nachhaltig, menschenorientiert und qualitativ hochwertig entwickeln. Wenn Menschlichkeit an erster Stelle stehen soll – wie es fast alle Leitbilder vollmundig verkünden –, dann sind Strukturen so zu gestalten, dass sie nicht nur ökonomisch sind, sondern auch den Menschen dienen.
Manzeschke: Um es pointiert zu sagen: Für sterbenskranke Kinder finden Sie immer private Spender. Bei sterbenskranken alten Menschen fließt das Geld schon nicht mehr ganz so reichlich. Aber wir dürfen nicht vergessen: Die ungeheuer wichtige Arbeit der Hospize in Deutschland ist im Wesentlichen über Spenden und Ehrenamt erbracht worden. Sehr viel schwieriger ist es, Geld für Diagnostik und Therapie bei seltenen Krankheiten aufzutreiben. Dass die gute Betreuung von Schwerstkranken und Sterbenden eine Aufgabe der ganzen Gesellschaft und nicht nur privater Vereine ist, wurde durch den Gesetzgeber dadurch verdeutlicht, dass eine flächendeckende Palliativversorgung angestrebt wird. Hier ist sicher noch viel zu tun, aber wir dürfen ebenso wenig verkennen, dass sich in den letzten 20 Jahren sehr viel zum Positiven verändert hat.
Manzeschke: Die Pflege im stationären Bereich, also nicht nur im Krankenhaus, sondern auch in den Pflege- und Altenheimen, leidet seit vielen Jahren an Unterbesetzung und Geringschätzung. Der Pflegeberuf findet gesellschaftlich nicht gerade eine hohe Wertschätzung – entsprechend ist auch die Entlohnung eher schlecht. Das zusammen genommen trägt nicht gerade zu einem hohen Selbstwertgefühl und einer entsprechenden Anerkennung in der Gesellschaft bei. Zum Teil müsste sich die Pflege selbst stark machen, zum anderen Teil wird sich aber auch unsere Gesellschaft nicht länger vor der Frage drücken können, was ihr eine gute Pflege eigentlich wert ist.
Manzeschke: Es gibt nach meiner Beobachtung immer Ärzte, die ihre Aufgabe auch im Bereich des Seelsorglichen sehen – auch wenn sie das vielleicht anders nennen. Sie betrachten den Patienten nicht nur als einen kranken Körper, sondern als ein Gebilde aus Geist, Körper, Seele. Und dieser Mensch will und muss in allen Dimensionen wahr- und ernst genommen werden. Diese Form der Wahrnehmung und Kommunikation wird in den Fallpauschalen im Krankenhaus und in den Gebührenordnungen der niedergelassenen Ärzte aber schlecht bis gar nicht vergütet. Und je mehr der Kostendruck im Gesundheitswesen steigt, desto schwieriger wird es für Ärztinnen und Ärzte, dieser ganzheitlichen Zuwendung zum Patienten nachzukommen. Wer das dennoch tut, macht es zumeist aus unbezahltem Idealismus oder kann es durch lukrative Behandlungen querfinanzieren. Beides sind ökonomisch betrachtet keine wirklich guten Geschäftsmodelle. Sozialethisch betrachtet verlieren wir als Gesellschaft das Vertrauen in die Profession der Ärzte, dass sie zunächst einmal im Sinne des Patienten handeln und nicht eigeninteressiert ihrem Gewinninteresse folgen. Das könnte sich als ein dramatischer Verlust erweisen, der das Vertrauen in Funktionalität und den Zusammenhalt der Gesellschaft insgesamt erschüttert.
Manzeschke: Die von den Kirchen betriebene und bezahlte Klinikseelsorge ist eine gesellschaftliche Errungenschaft, die man nicht gering schätzen sollte. Sie ist mittendrin in den medizinischen und pflegerischen Abläufen - und ist doch nicht eingeordnet in das hierarchische System des Krankenhauses. Das verschafft ihr – und damit den besuchten Patienten und Angehörigen – ein wichtiges Maß an Freiheit gegenüber dieser Hierarchie und ihren Notwendigkeiten und an Distanz zu den notwendigen, aber zum Teil auch sehr beunruhigenden Abläufen im Krankenhaus. Das kommt den umsorgten Menschen zugute und unterbricht ihre Sorgen und Ängste, die mit der Krankheit einhergehen. Die Klinikseelsorge, die allen Menschen gilt, kann durch Gespräche, Gebete, Rituale oder auch stilles Dasein Solidarität vermitteln, Einsamkeit aufbrechen oder auch Lebensfragen und Ängste zur Sprache bringen, die im sonstigen Klinikalltag zu kurz kommen.
Vortrag am 9. Juni, 18 Uhr Krankenhaus St. Josef, Cafeteria: Arne Manzeschke: „Ethik muss man sich leisten können oder: Muss man sich Ethik leisten können?“ Ab 17 Uhr stehen Mitarbeiter des Klinischen Ethikkomitees für Fragen zur Verfügung.