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KÜRNACH
Staubige Reise in die Vergangenheit
Abmontiert: Eduard Joneitis rückte während der Aufräumaktion im Gasthof Stern in Kürnach den alten Zapfhähnen zu Leibe.
Foto: Guido Chuleck | Abmontiert: Eduard Joneitis rückte während der Aufräumaktion im Gasthof Stern in Kürnach den alten Zapfhähnen zu Leibe.
Guido Chuleck
 |  aktualisiert: 16.12.2020 12:05 Uhr

Energisch schlägt Thomas Eberth mit dem Vorschlaghammer die Zulaufrohre einer Heizung zu Klump. Es staubt kräftig, doch davon lässt sich der Bürgermeister der Gemeinde Kürnach nicht beeindrucken. In einer orangefarbenen Schutzjacke und bekleidet mit Arbeitsklamotten bietet er einen eher ungewohnten Anblick, und auch sein Stellvertreter Edgar Kamm sieht in seinem Blaumann und vorbereitet mit einer Schutzbrille gewöhnungsbedürftig aus. Und Benedikt Öchsner sieht man eher im Anzug am Ratstisch, denn mit dickem roten Pulli, Arbeitshose und Pudelmütze und einem Schraubenzieher in der Hand, mit dem er Sitzbänken zu Leibe rückt.

Arbeitstrupps von Freiwilligen

Die drei Ratsmitglieder zerlegen hier nicht ihren Ratssaal oder das Büro des Bürgermeisters. Vielmehr sind sie Teil eines Arbeitstrupps aus Freiwilligen, die den Gasthof Stern im Herzen des Altortes entrümpeln. Es ist die Vorbereitung für die seit Monaten geplante Revitalisierung des historischen Gasthofes, dem die Brauerei Distelhäuser neues Leben einhauchen will.

Drei Tage lang schuften unterschiedlich viele Kürnacher, überwiegend männlichen Geschlechts, und greifen wie Edgar Kamm zur Flex, um die Überreste eines in die Decke eingelassenen Metallhakens zu entfernen. Ziel ist es, das gesamte noch vorhandene Mobiliar abzubauen, und dafür setzten die ein Dutzend Männer reichlich Muskel- und auch Gehirnschmalz ein. Denn nicht alles, was ausgeräumt wird, landet im Lager des Bauhofes, sondern soll als Sitzbank in einem Kleingarten oder als nostalgisches Element im neuen Gasthof ein zweites Leben leben.

„Mir macht es ganz einfach Spaß, und ich leiste noch etwas für das Gemeinwohl“, sagt Öchsner (32), der seinen Schichtdienst bei der Polizei so gelegt hat, dass er mit anpacken kann. Außerdem sei das ein „toller Ausgleich zum Job, und handwerkliche Arbeit liegt mir sowieso“. Gemeinsam mit dem pensionierten Berufskraftfahrer Willi Stahl (74) rückt er der Sitzbank zu Leibe, die im Nebenraum an drei Wänden durchgehend an die Wand montiert war.

Wirklich leer war der Gasthof, seit ihn die Gemeinde vor gut zwei Jahren gekauft hatte, nie, sagt der Bürgermeister. „Es gab dort Führungen, Schafkopfabende, Partys mit Musik von der guten alten Schallplatte, wir haben bei der Fußball-Weltmeisterschaft per Beamer die Spiele gezeigt, und die Jugend feierte dort Fasching“, berichtet er. Umso erstaunlicher ist, dass gerade die Jugend die gut gefüllte kleine Bar im Schankraum unangetastet gelassen hat und bei dessen Anblick Eduard Joneitis die Augenbrauen hochzieht.

Literweise hochprozentige Alkoholika, vom Apfelkorn über Weinbrand bis hin zur Wodka-Cola-Mischung und Schnaps, die meisten ungeöffnet. „Mal einen Schluck zu nehmen hat sich die Jugend nicht getraut“, sagt Eberth grinsend. Die anwesenden Arbeiter übrigens auch nicht, zumal noch eine Dose Reinigungsmittel in der Hausbar steht. Im Unterschrank der Zapfanlage kommen Spülbürsten ans Tageslicht, direkt neben einer asbach-uralten Möbelpolitur.

Friedelinde Söhnlein, die Vorsitzende des Vereins Kürnacher Geschichte(n), besucht die Arbeiter und inspiziert einen Teil der Fundsachen. Eine alte Kaffeemaschine, seinerzeit als die modernste überhaupt angeschafft, ist nicht mehr zu gebrauchen, und auch der Kohleofen in der Küche, auf dem einst gekocht worden war, ist ein Fall für die Entsorgung. Eine kleine Pappschachtel mit mehreren Dutzend Schlüsseln erregt kurz ihr Interesse, „doch Türen, wo die Schlüssel passen, werden wir hier wohl nicht mehr finden“, ist sie sicher.

Ein gewaltiger Fleischwolf

Da im Gasthof auch geschlachtet worden war, steht in der Metzgerei noch ein Cutter, ein überdimensionaler und gefühlte zehn Tonnen schwerer Fleischwolf. Die Elektrik funktioniert nicht mehr, aber rauswuchten wird das keiner der Männer, weil sich alle miteinander einen Bruch heben würden. Der Cutter ist auch das Einzige, was nach drei Tagen Knochenarbeit noch im alten Gasthof steht, die Arbeitstrupps haben ganze Arbeit geleistet. Zum Schluss wird gekehrt, und in Kürze laufen die Vorbereitungsarbeiten für den Innenausbau, damit der Gasthof Stern in Kürnach zu neuem Leben erweckt werden kann.

Mehr Informationen zum Konzept für den Gasthof Stern finden Sie in der morgigen Ausgabe der Main-Post.

Fundstücke: Während der dreitägigen Aufräumaktion im Gasthof Stern in Kürnach fand sich so einiges; zB Bürgermeister Thomas Eberth eine alte Flasche Möbelpolitur;
Foto: Guido Chuleck | Fundstücke: Während der dreitägigen Aufräumaktion im Gasthof Stern in Kürnach fand sich so einiges; zB Bürgermeister Thomas Eberth eine alte Flasche Möbelpolitur;
Fundstücke: Während der dreitägigen Aufräumaktion im Gasthof Stern in Kürnach fand sich so einige; zB. Friedelinde Söhnlein eine Schachtel mit reichlich alten Schlüsseln.
Foto: Guido Chuleck | Fundstücke: Während der dreitägigen Aufräumaktion im Gasthof Stern in Kürnach fand sich so einige; zB. Friedelinde Söhnlein eine Schachtel mit reichlich alten Schlüsseln.
Fundstücke: Während der dreitägigen Aufräumaktion im Gasthof Stern in Kürnach fand sich so einiges,; Walter Szaule (links) und Edgar Kamm mit alten Gerätschaften.
Foto: Guido Chuleck | Fundstücke: Während der dreitägigen Aufräumaktion im Gasthof Stern in Kürnach fand sich so einiges,; Walter Szaule (links) und Edgar Kamm mit alten Gerätschaften.
 
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