Ein junger Würzburger stürzte am 8. Juli 1913 ab und starb. Für den Flugzeugkonstrukteur Leo Lendner war am Galgenberg extra eine Halle errichtet worden.
Im unteren Frauenland, versteckt zwischen Erthal- und Zeppelinstraße, liegt die Lendnerstraße, die an den Würzburger Flugpionier Leo Lendner erinnert. Sein Name ist eng mit der Entwicklung des Hublands zum Eldorado der Würzburger Flugbegeisterten verbunden.
Lendner wurde am 19. Dezember 1890 in der Ebracher Gasse als Sohn eines Oberkellners geboren, der im „Huttenschen Garten“ arbeitete. Nach der Volksschule studierte der Technikbegeisterte an der Würzburger Maschinenbauschule, die er mit der Note 1 absolvierte.
1909 ging Lendner nach Berlin, um in einer Werkzeugfabrik zu arbeiten. „Durch die Nähe des damaligen deutschen Luftfahrtzentrums Johannisthal wurde wahrscheinlich sein schon vorher vorhandenes Interesse an der Fliegerei richtig entfacht“, schrieb Otto Weber 1983 in der Main-Post. Gemeinsam mit Heinz Gräf, dem Vorsitzenden des Würzburger Flugsport-Clubs, brachte Weber im Jahr 1990 eine reichbebilderte Broschüre über „Luftfahrt in Würzburg“ heraus, aus der viele Informationen auf dieser Seite stammen.
Schon bald war Lendner mehr auf dem Flugplatz Johannisthal zu finden als in der Fabrik. Er begann, Flugzeugentwürfe zu zeichnen, die er mangels Geld nicht verwirklichen konnte; wahrscheinlich erhielt er auch Flugunterricht. Zum Pilotenzeugnis brachte er es nie. Der Flugschein war in jenen wilden Anfangsjahren allerdings nicht unbedingt Voraussetzung für fliegerische Betätigung.
Die verängstigten Eltern in Würzburg wollten Leo durch lange Briefe von seinem gefährlichen Tun abbringen – ohne Erfolg.
Ein erster Durchbruch kam, als der blutjunge Lendner seine Vorstellungen in Berlin in einem Vortrag einigen Luftfahrtgrößen vorstellen durfte. Unter den Zuhörern war der berühmte Zeppelin-Konkurrent August von Parseval, dem in Würzburg ums Eck von der Lendnerstraße ebenfalls eine Straße gewidmet ist. Lendner beeindruckte sein Publikum mit seinen kühnen Visionen, so dass er zur Verwirklichung seiner Projekte 3000 Mark erhielt – damals eine enorme Summe.
Dieser Erfolg besänftige auch seinen Vater, der ihm nun jede denkbare Unterstützung zukommen ließ. In einer Halle des Johannisthaler Flugplatzes baute Lendner mit dem erhaltenen Geld ein erstes Motorflugzeug, überführte es per Bahn nach Würzburg und stellte es 1910 in der Ludwigshalle, dem ehemaligen Bahnhof (heute Mainfranken Theater) aus. Die Öffentlichkeit zeigte jedoch kaum Interesse.
Ein zeitgenössisches Foto zeigt Lendner in seiner Maschine in der Ludwigshalle. Das Flugzeug, eine originelle Konstruktion mit 25-PS-Motor, verfügte über zwei Propeller, einen vorn und einen hinten. Der gerade mal 19-Jährige blickt selbstbewusst in die Kamera; seine rechte Hand hält ein Rad für das Höhenruder, die Füße stehen auf den Pedalen für das Seitenruder. Vor ihm sind außerdem ein Hebel zur Schwenkung des vorderen Propellers, der Gashebel, die Zündverstellung und der sogenannte „Kurzschlussknopf“ zum Abstellen des Motors zu erkennen.
Mochten die Würzburger zunächst kaum beeindruckt sein, so fand Lendner anderswo Beachtung. Der „Berliner Börsen-Courier“ schrieb am 11. März 1910: „Die leichteste Flugmaschine der Welt ist, wie uns aus Luftschifferkreisen geschrieben wird, von dem Flugtechniker Lendner in Würzburg gebaut worden. Die ganze Maschine wiegt nämlich nur 65 Kilo, ist also sehr leicht von einem einzigen Mann zu transportieren.“
Flugzeuge waren damals einfache Konstruktionen aus Holz und Stahlrohr, mit Stoff bespannt und durch Spanndrähte ausgesteift. Propeller wurden kunstvoll aus Schichtleimholz gefertigt.
Als Würzburgs Flugfeld diente in jenen Jahren der Exerzierplatz am Galgenberg. Mit Erlaubnis der Militärverwaltung baute der Stadtrat und Sägewerksbesitzer Georg Rockenmeyer dort 1913 eine kleine Halle für die Flieger. Sie diente vor allem Lendner fortan als Werkstatt.
Seine erste Maschine mit dem ungewöhnlichen Zweischraubenantrieb ging schon bei Rollversuchen auf dem Exerzierplatz zu Bruch. Auch Lendners zweitem Versuch war kein Glück beschieden. Erst seine dritte Maschine, die im April 1912 fertig wurde, war flugtüchtig. Am 24. Mai 1912 flog er vor Zuschauern mit seinem Apparat, der das Aussehen einer Libelle hatte, in 30 Metern Höhe mit etwa 80 Stundenkilometern. Dabei passierte ein Unfall: Ein aus Gerbrunn kommender Fuhrmann lenkte sein Milchgespann in den Graben, während er der Maschine nachblickte.
Inzwischen war Lendner in Würzburg bekannt und beliebt: Als eines seiner Flugzeuge in einem Baum hängen blieb, wurde ein Wohltätigkeitskonzert veranstaltet, um ihm die Anschaffung eines neuen Motors zu ermöglichen.
Lendner pflegte enge Kontakte mit französischen Piloten. Bei einem Besuch in Paris lernte er 1913 den erst 19-jährigen Albert Sénard kennen, einen Weinhändlersohn aus Bordeaux und hervorragenden Flieger. Er lud ihn ein, nach Würzburg zu kommen und mit ihm zu arbeiten.
Für den Kilianstag, den 8. Juli 1913, kündigte Lendner einen Flug mit Sénard über die Kilianimesse an, die damals noch auf dem Sanderrasen stattfand.
Benutzt wurde dafür ein französischer Renneindecker mit einem starken Sechszylindermotor. Das Flugzeug war wohl per Bahn von Paris nach Würzburg überführt worden und im Schuppen am Galgenberg nur montiert oder allenfalls konstruktiv etwas verändert worden.
Bei einem Probeflug mit dem Franzosen am Steuer brach am 6. Juli 1913 in der Nähe des Zollhäuschens am Letzten Hieb die rechte Tragfläche. In aller Eile wurde sie repariert, indem man den gebrochenen Holm mit Draht umwickelte. Diese etwas notdürftige Reparatur war höchstwahrscheinlich die Ursache für das verhängnisvolle Geschehen am 8. Juli.
An jenem Tag starteten die beiden Flieger bei herrlichstem Sommerwetter abends um 20 Uhr. Wieder saß Albert Sénard am Steuer. In ungefähr 100 Metern Höhe überflogen sie den Sanderrasen. Als sie mit bereits abgestelltem Motor, der damals üblichen Landeweise, auf den Galgenberg zuhielten, versperrten Neugierige die Landebahn.
Als Sénard die Maschine in die Kurve ziehen wollte, brach die rechte Tragfläche nach oben weg und das Flugzeug stürzte auf einen Kleeacker, etwa 50 bis 70 Meter von der Flughalle entfernt. Sénard fiel aus der Maschine und war sofort tot, während Lendner im Sanitätsauto starb. Unter den vielen Zuschauern dieses letzten Fluges hatte sich auch Lendners Vater befunden.
Bei der Beerdigung Lendners musste die Polizei wegen des Massenandrangs den Friedhof absperren. Senards Leiche wurde nach Bordeaux überführt. Ein Denkmal für den Vorläufer der heutigen Würzburger Sportflieger steht seit 1986 am Sanderrasen.
Gelegentlich zeigten vor dem Ersten Weltkrieg auch auswärtige Flieger in Würzburg ihre Künste. Trotz schlechten Wetters herrschte beispielsweise bei den „Pfingstflugtagen 1912“ großer Andrang auf dem Galgenberg. Die Darbietungen der renommierten Profipiloten Theodor Schauenburg und Hermann Schiedeck aus Berlin beeindruckten die Zuschauer.
Ein Journalist schrieb begeistert über den Aufstieg Schiedecks: „Höher und höher schraubte sich der Riesenvogel weit ausholend in die Luft und erreichte dabei eine Höhe von 900 bis 1000 Metern. Kein Rattern des Motors, kein Surren des Propellers drang mehr aus dieser Höhe an das Ohr des entzückten Erdenpilgers und mancher hegte wohl nur den einen Wunsch, den tapferen Piloten auf seiner herrlichen Fahrt begleiten zu dürfen.“
Dies war durchaus möglich, zum stolzen Preis von hundert Mark.
Geschichte des Hublands
Was bisher geschah:
Am Hubland stand bis zum 18. Jahrhundert ein steinerner Galgen, woran der Straßenname „Am Galgenberg“ erinnert. 1830 wurde am Galgenberg ein Exerzierplatz für die in Würzburg stationierten Truppen eröffnet. 1884 kaufte die Militärverwaltung weitere Grundstücke und erweiterte das Übungsgelände. Ein 1833 hinter den Zielscheiben errichteter Wall („Kugelfang“), der die Gefährdung der Umgebung durch abprallende Kugeln verhindern sollte, wurde 1872 wieder entfernt.
Nächste Folge:
Im Jahr 1913 benutzten die Flugzeuge des neu aufgestellten königlich bayerischen Fliegerbataillons aus Schleißheim den Galgenberg für Starts und Landungen. Ein hier ursprünglich geplanter fester Flugplatz wurde dann jedoch in Kitzingen errichtet. Während des Ersten Weltkriegs waren Kriegsgefangene auf dem Galgenberg untergebracht.