Im Juni 1924 wird am Galgenberg eine Fliegerschule eröffnet. Ein Jahr später stirbt ihr Direktor Heinrich Nopitsch bei einem spektakulären Flugmanöver mit seinem 25-PS-„Kolibri“.
Das Wetter in Würzburg ist kühl und böig am 16. August 1925. Der 35-jährige Heinrich Nopitsch hat sich für diesen Sonntag eine besonders schwierige Aufgabe ausgesucht. Schließlich ist er im Krieg Mitglied der Kampffliegerstaffel des legendären „Roten Barons“ Manfred von Richthofen gewesen. Jetzt, als Direktor der Fliegerschule Würzburg, wird er allen zeigen, dass er es immer noch drauf hat, auch wenn es keine feindlichen Flugzeuge mehr abzuschießen gilt.
Die Disziplin, in der er sich bei einem Flugturnier vor Zehntausenden Zuschauern hoch über Würzburg beweisen wird, heißt „Postsackangeln“.
Um 16.05 Uhr startet Nopitsch den kleinen „Udet U 7 Kolibri“ mit dem 25-PS-Motor. Der Name Udet hat bei den Flugbegeisterten einen besonderen Klang, denn Ernst Udet ist nach Richthofen der erfolgreichste deutsche Jagdflieger im Ersten Weltkrieg gewesen. Danach gründete er in München die Firma „Udet Flugzeugbau“ und absolviert seither spektakuläre Schau- und Kunstflüge in Europa und den USA. Auch am Galgenberg hat er seine sensationelle Kunstfertigkeit in der Luft schon des Öfteren bewiesen, zuletzt am 10. Mai.
Richthofen ist tot, abgeschossen am 21. April 1918 in Frankreich. Ihm wird Nopitsch nie mehr imponieren können. Aber Ernst Udet ist da. Er steht neben den halbfertigen Gebäuden der Fliegerschule in Würzburg und wird Nopitschs Kapriolen in der Luft bewundern, ihm nach der Landung seine Anerkennung aussprechen.
„Heute ist mein Tag“, mag sich Heinrich Nopitsch gedacht haben.
Langsam steigt der 35-Jährige mit seinem „Kolibri“ in den Himmel über dem Hubland. Jahrelang haben die Alliierten nach dem verlorenen Krieg das deutsche Flugwesen reglementiert. Der Kampfpilot Nopitsch kam in der Würzburger Faulenbergkaserne unter, wo er eine Kraftfahrerkompanie befehligte. Jetzt endlich ist er wieder in seinem wahren Element.
Um den Anschluss an die internationale Entwicklung der Fliegerei nicht zu verlieren, waren nach dem Krieg überall in Deutschland Interessengemeinschaften von Flugbegeisterten entstanden. In Würzburg hatte die unterfränkische Sektion der „Arbeitsgemeinschaft zur Förderung von Flugsport und Flugtechnik“ ihren Sitz. Als ihr Vorsitzender fungiert Heinrich Nopitsch.
Nopitsch kann mit Stolz an diese Pioniertage zurückdenken. 1924 hatte er von vermögenden Gönnern wie Kommerzienrat August Wildhagen, Mitinhaber einer Bonbon- und Zuckerwarenfabrik in Kitzingen, so viel Geld eingesammelt, dass er das Projekt „Fliegerschule Würzburg“ verwirklichen konnte. Er schied aus der Reichswehr aus, wurde Direktor der Schule und warb auch Mittel für Maschinen und eine Flugzeughalle ein.
Auf dem Kürnacher Berg, einer Anhöhe des alten Exerzierplatzes Galgenberg, hatten die ersten Flugschüler mit dem Errichten der Halle begonnen. Überhaupt bestand die Aufgabe des ersten Fluglehrgang mehr im Bauen als im Fliegen. Weil die Schüler in der Faulenberg-Kaserne untergebracht waren, mussten sie Uniform tragen und die Grundbegriffe des militärischen Auftretens lernen.
In Reih' und Glied hatte der erste Jahrgang da gestanden, als am 20. Juni 1924 die Fliegerschule und der Würzburger Flughafen eröffnet wurden. Sogar Kronprinz Rupprecht war dabei gewesen.
Der Flughafen dümpelte seither vor sich hin. Den ersehnten Anschluss ans internationale Flugnetz hatte die Stadt zum Leidwesen der Würzburger nicht bekommen, aber die Fliegerschule blühte und gedieh unter Heinrich Nopitschs Leitung.
Nachdem die Rohbauarbeiten an der Halle abgeschlossen waren, hatten sie mit dem zweiten Schülerjahrgang bereits richtig Schulung betrieben. Nopitsch wählte die Flugschüler durch strenge Tests aus und siebte auch noch während der Ausbildung. Als Flugzeuge nutzten sie meist ehemalige Schulmaschinen, die vom Ersten Weltkrieg übrig waren.
Der größte Coup war Nopitsch gelungen, als er die Stadt Würzburg mit ins Boot holte. Die unter Mitwirkung des Stadtrats gegründete „Unterfränkische Sportflug-GmbH“, deren Geschäftsführer kein anderer als Nopitsch selbst war, bezahlte die Ausbildung. „Das Prinzip der Sparsamkeit muss bei solch großen Aufgaben, wie es der Gedanke des Flugsportes ist, durchbrochen werden“, hatte Würzburger Oberbürgermeister Hans Löffler gesagt und seinen Worten Taten folgen lassen.
Die Mehrheit der Bürger freut sich über den Glanz, den die Fliegerschule seither auf ihre Stadt wirft, vor allem wenn – wie an diesem 16. August 1925 – ein prominenter Gast wie Ernst Udet unter den Gästen ist. Zu Zehntausenden sind die Würzburger zum Hubland gepilgert.
Das Programm des vielstündigen Turniers enthält einen „Reigen der Jungflieger“, also einen Vorbeiflug der Schüler, die gerade ihre Prüfung bestanden haben. Dann tragen fünf Maschinen – eine geführt von Ernst Udet – ein Luftrennen aus, bei dem markierte Punkte auf dem Galgenberg, der Keesburg, der Frankenwarte, der Steinburg und dem Greinberg fünfmal zu umrunden sind. Anschließend steigt Udet mit seiner Maschine alleine auf und zeichnet kühne Figuren an den Himmel. Reigenflüge und Fallschirmabsprünge folgen.
Und jetzt, zum krönenden Abschluss, steht noch Heinrich Nopitschs Flug aus. Er hat sich eine besondere Herausforderung ausgesucht, schließlich sieht sein großes Vorbild Udet zu: Er wird im Flug einen Postsack vom Boden angeln und ihn dann über einem markierten Kreis wieder abwerfen. Nopitschs kleiner „Kolibri“ ist oben offen. Der 35-Jährige hält ein Seil mit Fanghaken in einer Hand und steuert mit der anderen nach unten; die Posttasche hängt an einer Stange nur wenige Meter über dem Boden. Den Zuschauern stockt der Atem, als der Pilot den Postsack packt. Geschafft! Der erste Teil des Manövers ist absolviert.
Doch Nopitsch hat sich zu viel vorgenommen. Vielleicht ist der 25-PS-Motor seines winzigen „Kolibri“ zu schwach für solche Kunststücke. Vielleicht packt ihn eine plötzliche Windbö. Als er seine Maschine in eine steile Kurve zieht, geschieht das Unglück. Aus nur 20 Metern Höhe stürz er bei volllaufendem Motor ab.
Lange bangen die Flugbegeisterten um das Leben ihres Helden. Am Abend verbreitet sich in der Stadt die Nachricht, dass er seinen schweren Verletzungen erlegen ist.
Nopitschs Werk, die Fliegerschule, ist allerdings inzwischen so etabliert, dass sie auch ohne ihren energischen Gründer erfolgreich weiterarbeitet. Seine Nachfolger sind, wie er, ehemalige bayerische Militärflieger. Unter Werner Riezlers Leitung werden die Bauarbeiten beendet. Die Schule umfasst nun vier Hallen mit Schreiner- und Motorenwerkstatt, ein repräsentatives Unterkunfts- und Unterrichtsgebäude mit Dachwohnung für den Schulleiter sowie Nebengebäude für die Luftaufsicht und die Monteure. Die Baukosten hat zum größten Teil die Stadt aufgebracht.
Auf Rietzler folgt Robert Ritter von Greim, ein alter Freund Ernst Udets. Dieser bleibt ein häufiger Gast in Würzburg. Er liebt es, sich bei seinen unangekündigten Besuchen im Tiefstflug aus Richtung Lengfeld durch die Senke am Kürnacher Berg anzuschleichen und überraschend auf dem Platz der Fliegerschule zu landen.
Im Lauf der 20er Jahre wird die Schule immer mehr in das geheime Luftrüstungs-Programm der Reichswehr eingebunden. Sie ist eine jener Einrichtungen, in denen Offiziere und Offiziersanwärter, die ihre Flugausbildung schon erhalten haben, als „Zivilisten“ jährliche Auffrischungskurse absolvieren.
Im „Dritten Reich“ verwandeln die Nationalsozialisten den Galgenberg dann in einen großen Fliegerhorst. Am 29. August 1936 wird die Straße Am Flugplatz in Nopizschstraße umbenannt. Sie existiert noch heute und verbindet die Rottendorfer Straße mit der Straße Am Galgenberg.
Ernst Udet wird im NS-Luftfahrtministerium verantwortlich für die technische Ausrüstung der Luftwaffe und bekleidet ab 1939, zuletzt im Rang eines Generalobersten, das Amt des General-Luftzeugmeisters der Wehrmacht. Er begeht am 17. November 1941 in Berlin Selbstmord, der jedoch verheimlicht wird, und erhält ein Staatsbegräbnis.
Robert Ritter von Greim ist nach seiner Würzburger Tätigkeit von 1935 bis 1937 Inspekteur der deutschen Jagdflieger und führt im Zweiten Weltkrieg als Generaloberst eine Luftflotte. Am 26. April 1945 ernennt ihn Hitler im Führerbunker kurz vor seinem Selbstmord zum Nachfolger des abgesetzten Hermann Göring als Oberbefehlshaber der Luftwaffe, die eigentlich schon nicht mehr existiert.
In amerikanischer Gefangenschaft in Salzburg setzt Greim am 24. Mai 1945 seinem Leben ein Ende. Er benutzt die Giftkapsel, die ihm Adolf Hitler im Führerbunker überreicht hat.
Literatur: Heinz Gräf, Otto Weber-Niebuer, Luftfahrt in Würzburg. Ein Rückblick auf Würzburgs Fluggeschichte, hrsg. vom Flugsport-Club Würzburg, 1990.