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So gefährlich sind Glücksspiele
Die Suche nach dem Kick: Wenn das Spielen zur Sucht wird: Ein Gespräch mit dem Würzburger Suchtexperten Jobst Böning über manipulierte Glücksgefühle und Suchtrisiken
Geldspielautomaten, die sogenannten Geldspielgeräte mit Gewinnmöglichkeit, haben ein sehr großes Suchtpotenzial. Rund 80 Prozent aller Glücksspielsüchtigen kommen aus diesem Bereich.
Foto: FOTOs dpa (3), biscan (1) | Geldspielautomaten, die sogenannten Geldspielgeräte mit Gewinnmöglichkeit, haben ein sehr großes Suchtpotenzial. Rund 80 Prozent aller Glücksspielsüchtigen kommen aus diesem Bereich.
Das Gespräch führte Christine Jeske
 |  aktualisiert: 16.12.2020 13:14 Uhr

Es sind vor allem die Geldspielautomaten, die süchtig machen, sagt der international anerkannte Würzburger Suchtexperte Professor Dr. Jobst Böning, Vorsitzender des Fachbeirats Glücksspielsucht sowie der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen. Im Gespräch deckt der 69-jährige ehemalige Vizepräsidenten der Universität Würzburg die Mechanismen der Spielsucht auf.

Frage: Menschen können durch zu viel Alkohol- oder Tabakkonsum süchtig werden. Aber warum kann Glücksspiel süchtig machen?

Jobst Böning: Es ist dem menschlichen Gehirn völlig egal, ob eine Droge wie Haschisch, Alkohol oder Nikotin oder ob ein entsprechend geeignetes Verhalten einen Kick vermitteln. All das spricht im Gehirn die gleichen Systeme und Regelkreise für Befindlichkeitsveränderung an. Dabei werden Dopamin, ein Glücksgefühle verstärkender Hirnbotenstoff, und andere Wirkstoffe ausgeschüttet, die Freude, Euphorie, Rausch, Ekstase auslösen sowie den Drang, diese Gefühle und Zustände erneut zu erleben. Denn der Mensch sehnt sich nun mal nach Glück, auch wenn es manipuliert ist.

Warum lässt unser Gehirn Manipulationen zu?

Böning: Unser Gehirn ist ein hochkomplexes Lernsystem. Es gibt archaische Systeme wie das Belohnungssystem – ein motivationales Verstärkersystem, das wir auch zum Überleben brauchen. Ohne dieses System hätten wir keinen Appetit, keine Sexualität, keinen Erfolg. Es sorgt ebenso dafür, dass wir Dinge wiederholen, die wir als angenehm empfinden und die letztlich für unsere Existenz wichtig sind. Aber dieses System kann eben auch gezielt luststeigernd manipuliert werden, mit katastrophalen Folgen.

Sind Alkohol oder Nikotin nicht schädlicher als Glücksspiel?

Böning: Es gibt einen gravierenden Unterschied: Alkohol oder Nikotin sind auch toxische Substanzen und damit Gift für den Körper. Bei Verhaltenssüchten wie etwa dem pathologischen Spielen gibt es dagegen keine Wirkung eines Stoffes.

Kann jeder Mensch süchtig werden, oder gibt es eine Veranlagung dazu?

Böning: Es gibt Menschen, die entwickeln ein „Suchtgedächtnis”, das dazu führt, dass sie selbst nach Jahren ohne Alkoholkonsum beim ersten Glas wieder rückfällig werden. Andere sind davor gefeit. Wahrscheinlich spielen hochkomplexe genetische Einflüsse eine Rolle, wobei es das Suchtgen nicht gibt, vielmehr eine Fülle von Genen, die für Verstoffwechselung von Suchtmitteln oder für Lernen und Belohnung verantwortlich sind.

Liegt auch im Charakter ein Suchtrisiko?

Böning: Mit eine Rolle spielen wahrscheinlich auch ungünstige Konstellationen bestimmter Persönlichkeitsmerkmale, die ein Individuum besonders suchtgefährdet machen, während andere mehr schützende Personenmerkmale besitzen und deshalb nicht süchtig werden. Ein Schutzfaktor ist ein starkes Selbstwertgefühl. Risikofaktoren können erhöhte Angstbereitschaft oder emotionale Unsicherheit sein. Dies hat aber nichts mit einer Charakterschwäche zu tun.

Kann nicht auch Unzufriedenheit Menschen zum Glücksspiel verleiten?

Böning: Wir wissen, dass gerade die sozial Schwächeren am meisten in die Glücksspielszene hineinrutschen – in dem irrigen Glauben, sie könnten ihre Situation verbessern.

Hat jedes Glücksspiel ein gleich hohes Risiko?

Böning: Es gibt Glücksspiele mit geringem Gefährdungspotenzial. Nur ein Prozent aller Lottospieler entwickeln eine Sucht. Anders sieht es bei den Geldspielautomaten aus, den sogenannten Geldspielgeräten mit Gewinnmöglichkeit. Sie haben ein sehr großes Suchtpotenzial. Rund 80 Prozent aller Glücksspielsüchtigen kommen aus diesem Bereich. Auch Poker gehört mit zu den gefährlichen Glücksspielen. Letztlich sind auch gelegentlich Investmentbanker exzessive Zocker – Süchtige, denen es weniger um seriöse Anlegungsstrategien als um schnelle Kicks bei riskanten Geschäften geht.

Was macht Glücksspiele gefährlich?

Böning: Im Fachbeirat Glücksspielsucht beurteilen wir auch Anträge für neue Spiele. Es gibt Kriterien, mit denen wir das Suchtrisiko eines Glücksspiel niedrig bis extrem hoch einstufen. Höchstrisikofaktor ist die Ereignisfrequenz: Wie oft kann ich innerhalb eines kurzen Zeitraums ein Spiel wiederholen? Auch die Gewinnhöhe spielt eine Rolle. So spielen wesentlich mehr Menschen Lotto, wenn es einen Jackpot gibt. Ein weiteres Kriterium ist, wie Spiele virtuell ins Leben des Spielers treten. All das hat Aufforderungscharakter, ein Spiel immer wieder zu spielen.

Gibt es Schutzmaßnahmen?

Böning: Im Glücksspielstaatsvertrag, seit 2008 in Kraft, gibt es gute Ansätze. So ist das Glücksspielmonopol des Staates nur legitimiert, wenn tatsächlich alle fiskalischen Interessen nachrangig sind und es primär um den Schutz der Spieler geht, um Prävention, Suchtbekämpfung und Verbraucherschutz. Lotterien und Wetten im Internet sind verboten, die Werbung dafür ist eingeschränkt. Sie darf nur informativ, nicht aggressiv sein. Alle Bestimmungen sollten konsequent eingehalten werden, was lange nicht der Fall ist.

Reichen diese Maßnahmen aus?

Böning: Es ist leider so, dass der Umgang mit den Geldspielgeräten nicht im Glücksspielstaatsvertrag geregelt ist. Sie unterstehen dem Wirtschaftsministerium. Dort, so scheint es, zählen weniger Präventivmaßnahmen, vielmehr die Einnahmen. Fatal aus suchtmedizinischer Sicht ist darüber hinaus, dass 2006 die Spielverordnung gelockert wurde. Sie lässt mehr Geräte zu, schnellere Spiele und die Umrechnung des eingesetzten Geldes in Punkte. Zudem steht hinter den Vertreibern dieser Geräte eine sehr starke Lobby. Unsere größte Aufgabe besteht darin, diesen Bereich wirksam einzugrenzen und kontrollierbar zu machen.

Würden Sie manche Spiele gerne verbieten?

Böning: Das ist ein jahrtausendealter Kampf und kann das Grundproblem nicht lösen. Es gibt ein dem Menschen schon immer eigenes Streben: die spielerische Sehnsucht nach riskanten Grenzerfahrungen und raschem Glückserleben ohne Anstrengung. Diese irrationale Hoffnung nach schnellem Gewinn wird man nie auslöschen können und kann man durch kein Gesetz verbieten. Außerdem ist der natürliche Spieltrieb menschlich. Ein Kind, das sich nicht spielerisch mit etwas beschäftigt kann, das nicht mit Freude und Neugierde zweckfrei spielt, dem fehlt etwas zu seiner gesunden Entwicklung.

Wann wird das Spielen zum Problem?

Böning: Wenn es das tägliche Denken und Handeln dominiert, wenn soziale Verpflichtungen zurücktreten und wenn hinter dem Spiel das exzessive Gewinnstreben steht, das Erleben eine Eigendynamik entwickelt, die etwas von ständiger Berauschtheit hat. Dadurch vermittelte Kicks sind ja auch kurzfristige Orgasmen. Danach treten Entzugserscheinungen mit Zittern, Unruhe und Gereiztheit auf. Aber der Spieler weiß, dass er dies durch ein weiteres Spielen unterdrücken kann. Und unser Gehirn lernt durch ständiges exzessives Verhalten und Erleben und wird dabei auf ein Suchtverhalten konditioniert.

Ist für die süchtigmachende Wirkung von Glücksspielen kein Bewusstsein da?

Böning: Das ist noch ein langer Weg. Wir haben bei den Zigaretten gut 40 Jahre, beim Alkohol an die 30 Jahre gebraucht, bis eine gewisse Sensibilität beziehungsweise ein Problembewusstsein vorhanden war. Deshalb glaube ich, dass es beim Glücksspiel noch eine gewisse Zeit dauern wird, bis die derzeit noch bestehenden Umsetzungsdefizite von der Politik behoben werden.

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