Zur Eröffnung kam Paul Maar. Der hatte gerade das Sams erfunden und war noch nicht ganz so berühmt wie heute. Aber der Rahmen war auch eher beschaulich, als 1976, also vor über 35 Jahren, am Fischerrain die Buchhandlung „Collibri“ eröffnete. Zwei junge Leute Anfang 20, Katharina Hess und Walter Raab, hatten beschlossen, sich auf das Wagnis einzulassen, einen eigenen Laden aufzumachen. Sie hatte ihre Buchhändlerlehre bereits abgeschlossen, er lernte noch – bei Knodt in Würzburg. Das war auch ganz gut, denn in der ersten Zeit lebte das Paar nicht etwa von den Einkünften des Ladens, sondern von seinem Lehrgeld.
Ansonsten haben die beiden am Anfang vor allem ihrerseits Lehrgeld bezahlt. „Wir haben alle Fehler gemacht, die man so machen kann“, sagt Katharina Hess. „Wir haben losgelegt, ohne groß Ahnung zu haben. Aber wir haben gefühlsmäßig auch vieles richtiggemacht“, sagt Walter Raab. Ob sie es wieder machen würden? Katharina Hess überlegt ein bisschen. Und dann sagt sie „nein“, aber es klingt eher wie „doch, schon“.
Es war eine andere Zeit damals. Förmlicher, steifer. Katharina Hess durfte in der Buchhandlung Hansen, wo sie gelernt hatte, keine Hosen tragen. Klarer Auftrag an die Mitarbeiter war es, jedem, der den Laden betrat, ein Buch zu verkaufen. Sich einfach mal umschauen, war nicht vorgesehen. Manche Knodt-Kunden in Würzburg wollten sich von Walter Raab gar nicht erst bedienen lassen, weil der die Haare so lang trug.
Collibri – der Name des Ladens hat übrigens nichts mit einem Vogel ähnlichen Namens zu tun. Und auch nichts mit dem lateinischen Präfix „col“, also „mit“. Er sollte vielmehr die eigentliche Idee wiedergeben: ein Kollektiv für Bücher, an dem viele mitwirken. „Das hat natürlich nicht funktioniert“, sagt Katharina Hess. Sie und Walter Raab blieben die einzigen Verantwortlichen. Immerhin, es fand sich eine große Gruppe Unterstützer, die (siehe oben) der Meinung waren, dass es in Schweinfurt einfach einen anderen Buchladen geben müsste. 3000 Mark haben sich Hess und Raab im Bekanntenkreis zusammengepumpt, jeder gab zehn, 20 Euro – das Startkapital. „Geld war einfach kein Thema“, sagt Walter Raab, „wir haben nie darunter gelitten, dass wir keins hatten, aber es wurde dann ja auch immer besser.“
Während es heute längst Anbieter gibt, die Ladeneinrichtungen jeden Stils vorhalten, machten die Collibris damals alles selbst. Jemand besaß eine Säge, man fuhr ins Sägewerk und holte die Bretter, aus denen dann die Regale gezimmert wurden. Es war ohnehin die Zeit des Selbermachens, der Frauen-, Friedens- und Ökobewegung, des Widerstands gegen das Kernkraftwerk Grafenrheinfeld. Im Collibri traf sich die erste Schweinfurter Frauengruppe, ein Frauenhaus gab es noch nicht. Auf den Demos bot man Büchertische an, verkaufte Anti-Atom-Aufkleber und den Lieblingsschriftsteller jener Zeit: Hermann Hesse. „Und den ,Papalagi' gab es damals wahrscheinlich nur bei uns.“
Via Brückenstraße (1981) zog der Laden 1992 in die Rückertstraße, für die erstmals ein Profi, ein alternativer Schreiner, die Einrichtung schuf, von der ein Teil heute noch in Gebrauch ist – am Marktplatz, wo Collibri seit 2003 seinen Standort hat. Der letzte Umzug brachte einen Umsatzschub: „Ich hätte nicht gedacht, dass der Standort so viel ausmacht“, sagt Walter Raab. Auch das Aus der Rückert-Buchhandlung 2007 brachte neue Kunden. Und dann kamen Hugendubel und die Stadtgalerie mit Thalia – die neue Konkurrenz war alsbald beim Umsatz spürbar, das Internet sowieso. Von sechs Mitarbeitern mussten drei gehen. „Woanders werden die Innenstädte wiederentdeckt, hier aber gibt es bald nur noch Bäcker und Handyläden“, sagt Katharina Hess, „einen größeren Fehler hätte die Stadt nicht machen können.“
Raab und Hess sehen, wie die Strategie der großen Kettenbuchhändler immer wieder aufgeht: „Die Billigware beeinflusst die Wahrnehmung. Da denken die Leute dann, auch die Bestseller sind günstiger. Aber das stimmt eben nicht – es gibt immer noch die Buchpreisbindung. Der neueste Roman kostet dort genauso viel wie bei uns.“ Es seien ohnehin die Kleinen, die Bücher erst zu Bestsellern machen – weil sie die Vorlieben ihrer Kunden kennen und so Neuerscheinungen empfehlen können, die noch nicht in allen Medien angepriesen werden.
Die Collibris sind deshalb umso froher über „viele treue Stammkunden“. Inzwischen kaufen schon die Enkel der ersten Kunden hier ein. Harry-Potter-Nächte, Vampir-Frühstück, Sams-Auftritte, Lesungen und Leserkatzen-Aktion sollen den Lesenachwuchs locken und vorhandene Kunden binden, aber Dank gibt es dafür kaum, sagt Katharina Hess.
„Es hat lange gedauert, bis wir als vollwertige Buchhandlung anerkannt waren.“ Damit ist Collibri aber auch aus der alternativen Nische raus – die wilden Zeiten, als es Stress mit der Polizei („tut mal eure Kisten da vom Gehsteig weg“) oder mit der Justiz gab wegen satirischer Plakate, sind längst vorbei. Die Kunden verlangen alle Sorten von Büchern, zum Beispiel auch das von Sarrazin.
Katharina Hess und Walter Raab glauben an das Buch als solches und sehen deshalb Neuerungen wie das E-Book eher gelassen. „Wir sehen uns selbst nicht als offensive Geschäftsleute“, sagen sie, aber innovativ, das waren sie lange vor den Großen: „Ein Sofa zum Schmökern hat es bei uns schon immer gegeben.“
Schweinfurter Buchhandel
Bücher sind keine Allerweltsware. Manche prägen unser Bild vom Leben und von der Welt und begleiten uns als Ratgeber, Trostspender oder geistige Fluchthelfer durchs ganze Leben, ob „Pu der Bär“ oder „Zauberberg“. In einer kleinen Serie stellen wir deshalb die Läden vor, die uns in Schweinfurt diese Bücher verschaffen, von den unabhängigen Buchhandlungen über Kunstbuchcafé und Antiquariat bis hin zu den Filialen der beiden großen Ketten.