Um es auf den Punkt zu bringen: Dass es bunt zugeht, ist kein Geschäftsanliegen von Stephan Kerkhoff. Ganz im Gegenteil. Er ist von Berufs wegen ein ausgesprochener Schwarzseher. Einmal im Jahr fährt er dafür extra nach Italien. Dort, im idyllischen Valle Vigezzo, gibt es genau das, was sein Herz höher schlagen lässt. 1000 Dunkel-Männer und -Frauen kommen da zusammen. So manch einer zieht den Zylinder, wenn er an Kerkhoff vorbei defiliert. Um auf keine falsche Fährte zu führen, es handelt sich hier um keinen Trauermarsch. Sondern um ein Treffen von Schlotfegern, Kaminkehrern, Spazzacamini, Ramoneuren, Schornsteinfegern, Chimney Sweepern, Kämifegern, Essen- und Rauchfangkehrern, die quer durch den Ort Santa Maria Maggiore ziehen.
Bei so einigen der Kaminkehrer leuchtet ein kleines Firmenlogo auf den Anzügen: Meusel. Die Firma im oberfränkischen Lichtenfels ist ein Begriff bei den Schornsteinfegern zwischen Flensburg und Bozen, Straßburg und Wien. Und gelegentlich noch von viel weiter weg. Das schon seit 1934. Und Kerkhoff ist der Firmenchef.
Im Beruf Feuer gefangen
In Lichtenfels gibt es eine besondere Art der Haute Couture. Bei Meusel schneidern sechs Näherinnen Lederbekleidung und Stoffanzüge nach Maß. Mit dem Qualitätsanspruch „ölrußfest“.
Kerkhoff hat das getan, was keinem Schlotfeger jemals passieren sollte: Er hat Feuer im Beruf gefangen. Wenn er von Stoffen, Lederarten, Krägen und Hosenaufsätzen erzählt, klingt das nicht nur nach einer Produktbeschreibung, sondern schon fast nach einem Glaubensbekenntnis.
Kerkhoff schnappt sich den Journalisten, nimmt eine Jacke von der Stange und lässt im Bad Wasser darüberlaufen. Das perlt einfach ab. Der Firmenchef schüttelt den Stoff aus: „Sehen Sie, völlig trocken. Aber trotzdem atmungsaktiv.“ Kerkhoff lächelt wie ein Junge.
Der Mann scheint einer zu sein, der aus einer anderen Zeit stammt. Die meisten Bekleidungsfirmen, die haben schon längst ihre Produktion nach China oder Indien verlagert, oder nach Bangladesh, wo ein Fabrikeinsturz Hunderte Näherinnen in den Tod riss. Menschen 14 Stunden für drei Euro am Tag schuften.
„Eine Schande ist das“, sagt Kerkhoff. Aber auch er hat einen Teil der Produktion ins Ausland verlagert. In östliche EU-Nachbarstaaten, wie er erklärt. Immerhin, keine Entwicklungsländer, keine Kinderarbeit, kein gnadenloses Lohndumping. Aber billigere Arbeitskräfte, zweifelsohne. Die Firma Meusel fährt zwei Linien: Die eine heißt Kerky, die günstigere Schornsteinfeger-Bekleidung anbietet und nicht am Obermain genäht wird. Dort, wo Meusel auf dem Etikett steht, wird ausschließlich in Lichtenfels nach Maß und Konfektion produziert.
„Qualität ist das A und O. Um einen Ruf aufzubauen, braucht es Jahre. Ihn zu ruinieren ist schnell geschehen“, sagt der Firmenchef. Dass Mitarbeiter die beste Qualität liefern, wenn sie fair behandelt werden, das ist dem Geschäftsmann klar.
Stoffe testen, Schnitte verbessern
Menschen mit einem so traditionellen Beruf als Kunden zu haben, für Kerkhoff ist das eine Verpflichtung. „Bei aller Tradition müssen wir innovativ bleiben. Neue Stoffe testen, Schnitte verbessern“, sagt er. Er erklärt, warum es sich bei Schlotfegern meistens um Hosenträger-Nutzer handelt. Und landet dann bei allem Credo zu innovativen Stoffen bei einem Klassiker: Leder. „Das ist einfach wie eine zweite Haut.“ Ganze Kehr-Anzüge kann man sich bei Meusel aus Leder schneidern lassen. Und Schonbezüge für das Auto. Damit der Fahrersitz nicht einrußt.
„Funktional, modisch, robust“ lautet ein Slogan von Meusel. Das klingt nicht unbedingt danach, als hätte sich das kleine Familienunternehmen da eine teure Werbeagentur geleistet. Aber eben gerade darum umso ehrlicher.
Kerkhoff erzählt, wie er abends nach Dienstschluss noch mit Schornsteinfegern oder ihren Gattinnen telefoniert. Ihnen Tipps für das richtige Maßnehmen gibt, die Wahl des Materials und Stoffs bespricht. Sonderwünsche nach Sondertaschen aufnimmt. „Da braucht man viel Zeit und Ruhe für so ein Gespräch, deswegen mache ich es am Abend“, berichtet er.
„Manchmal kommen die Kunden aber sogar extra nach Lichtenfels oder ich fahre mit allen Artikeln zu großen Innungstreffen. Davon gibt es allein in Deutschland über 50 Standorte“, erklärt Kerkhoff.
Die Zukunft seiner Firma sieht Kerkhoff als gesichert. „Wir haben uns spezialisiert und letztendlich zahlt sich Qualität aus“, meint er. Im ersten Stock des Firmengebäudes in der Victor-von-Scheffelstraße schnurren die Adler-Nähmaschinen. Nicht mehr ganz taufrisch, mindestens 30 Jahre sind sie alt. „Aber einfach perfekt für die schwere Stoffqualität. Wir müssen die Maschinen hegen und pflegen, so werden sie uns noch viele, viele Jahre gute Dienste leisten“, erklärt er.
Stattlich mit Zylinder
Hinter der Adler sitzt Oksana Schramm. Sie stammt aus der Ukraine und hatte dort einst Lederjacken gefertigt. „Für Schornsteinfeger zu nähen, das ist schon etwas Besonderes. Wenn die Herren dann zu unseren Anzügen noch einen Zylinder auf dem Kopf tragen, das sieht stattlich aus. Da bin ich schon ein wenig stolz auf meine Arbeit“, lächelt sie. Schornsteinfeger können eben wirklich Glück bringen.