Bis vor wenigen Jahren lag der Ronkarzgarten in Gemünden (Lkr. Main-Spessart) im Dornröschenschlaf – anders ausgedrückt: Er verfiel zusehends. Auf 15 Jahre alten Fotos sieht er aus wie eine überwucherte Inka-Stadt: Das Mauerwerk aus Buntsandstein bröckelte und hatte Risse, Efeu und Gebüsch gediehen prächtig, die Treppenstufen hatten sich gesetzt. „Verwunschen“ habe der Garten ausgesehen, sagt Stadtführerin Lotte Bayer. Man sei beim Besuch der Anlage damals zwischen Bäumen und Gestrüpp regelrecht verschwunden.
Wie eine Inka-Stadt musste der einstige Privatgarten, seit 1989 unter Denkmalschutz, erst wieder entdeckt werden. Dies geschah ironischerweise nur, weil die gewaltigen Mauern einzustürzen drohten. Als man den Garten daraufhin näher unter die Lupe nahm, kam eine deutschlandweit einzigartige Treppen- und Terrassenanlage aus dem 19. Jahrhundert zum Vorschein. Für 635 000 Euro wurde die Anlage saniert und öffentlich zugänglich gemacht. Doch der Ronkarzgarten schräg unterhalb der Scherenburg ist außerhalb von Gemünden weithin unbekannt.
Lotte Bayer beginnt ihre Führungen zum Garten in der Gemündener Altstadt. Dann geht es den kleinen Weg zur Ruine Scherenburg hinauf. Unterhalb der Burg stand neben dem Ronkarzgarten bis zum Beschuss durch die Amerikaner im Zweiten Weltkrieg ein Schlösschen, weiß Bayer. Durch die Stadtmauer und am Burggraben vorbei führt sie in die Terrassenanlage. Der Ronkarzgarten, der 40 Höhenmeter überwindet, ist italienischen Barockgärten nachempfunden. Erbaut hat ihn Landgerichtsarzt Dr. Heinrich Leonard Ronkarz (1782–1852) an einem ehemals als Weinberg genutzten Steilhang. Auf symmetrischen Treppen gelangt man links oder rechts der mächtigen zentralen Stützmauern von einer Ebene zur nächsten. Auf den Mauern stehen zwei Meter hohe Sandsteinsäulen. Drei Ebenen sind es insgesamt
Auf den beiden oberen, für die Öffentlichkeit zugänglichen pflegt die Stadt zusammen mit dem örtlichen Obst- und Gartenbauverein kleine, im mediterranen Stil gehaltene Blumen- und Kräuterbeete, dazu 20 Zentimeter hohe Buchsbaumhecken und -kugeln. Die einstige Wildnis ist so wieder einer Aufgeräumtheit gewichen, wie sie einst zu Ronkarz' Zeiten geherrscht haben mag. Damals standen dort Lauben und Pergolen.
„Es ist richtig beruhigend, wenn man den Garten betritt“, sagt die Stadtführerin. Meist ist man dort zudem mutterseelenallein. Lediglich in einem alten Walnussbaum neben dem Garten, von Efeu so eingewachsen wie zuvor die Anlage selbst, zwitschert ein Vogel. Eine junge Katze streicht herum, Schmetterlinge tänzeln um den Lavendel. Man hört ansonsten nur den Verkehr von der Straße und die Züge, die hier durchs enge Maintal fahren. Der perfekte Ort für abendliche Serenaden. Vor allem auch durch die Wärme, die die großen Mauern im Sommer untertags tanken.
Lotte Bayer weist auf die bemerkenswerte Aussicht von den oberen Ebenen des Ronkarzgartens hin: „Der Blick ist das A und O, vor allem am Abend ist er das Highlight schlechthin.“ Unten drängen sich die Dächer der Gemündener Altstadt, rechts steht auf einer Höhe mit dem Besucher die oberste Plattform des Turms der Stadtpfarrkirche St. Peter und Paul, geradeaus das 500 Jahre alte Gasthaus „Zum Koppen“, schräg daneben der Eulenturm. Jenseits der Altstadt fließt der Main gemächlich dahin. Auf der anderen Mainseite liegen Felder und dunkle Waldhänge, die hinauf auf die fränkische Platte führen.
Seit kurzem begrüßt der Erbauer des Gartens, Dr. Heinrich Ronkarz, die Besucher höchstpersönlich. Wie dies möglich ist? Ganz einfach: Auf einer neuen Informationstafel lässt die Stadt Gemünden ihren Wohltäter Ronkarz sein eigenes Leben erzählen. Der Besucher erfährt, dass der 1782 nahe der niederländischen Grenze geborene Arzt den Namen „Ronkarz“ nur angenommen hat, um dem Kriegsdienst zu entgehen. Nach einem Medizinstudium in Würzburg kam er nach Gemünden, wo er königlicher Landgerichtsarzt wurde.
Das große Haus mit dem krummen Dachfirst, das man unterhalb des Gartens sieht, kaufte Ronkarz 1826. Heute ist darin eine Apotheke untergebracht. Zwei Jahre später begann Ronkarz, sich den ungewöhnlichen, eher in Adelskreisen erwarteten Privatgarten am Hang anzulegen. Bis 1845 hat der Bau gedauert, der Baumeister ist nicht bekannt. Wie Ronkarz auf die Idee dazu kam, ist nicht überliefert. Eine Inspiration wird dem gut betuchten Arzt vielleicht auch die Treppenanlage im Fürstengarten der Festung Marienberg gewesen sein, vermutet die Stadtführerin. Auf der Festung nämlich versah der im Volksmund „Franzosendoktor“ genannte Ronkarz eine Zeit lang seinen Dienst.
Seinen heutigen Namen bekam der Ronkarzgarten erst nach seiner Wiederentdeckung um das Jahr 2000. Zuvor war er als „Apothekergarten“ bekannt. In den Garten gelangen Besucher, die gut zu Fuß sind, außer über den Weg hinauf zur Scherenburg auch über den Parkplatz hinter dem Kulturhaus zur mittleren Terrasse der Gartenanlage. Von unten her ist kein Zugang zum Ronkarzgarten möglich, da die unterste Ebene nicht öffentlich zugänglich ist. Eine Infotafel besagt, dass der Grund hierfür ist, dass die untere Treppenanlage, das steilste Stück des Gartens, „in ihrem harmonischen Gesamtbild ohne moderne Sicherungsmaßnahmen belassen“ wurde.
Der Ronkarzgarten in Gemünden
Der Ronkarzgarten schräg unterhalb der Ruine Scherenburg in Gemünden ist tagsüber für die Öffentlichkeit zugänglich. Neben zwei Sandsteinbänken bieten die großen Treppen die Möglichkeit, sich auszuruhen. Auf Informationstafeln finden sich nähere Beschreibungen zu der außergewöhnlichen Anlage aus der Mitte des 19. Jahrhunderts und zu ihrem Erbauer Dr. Heinrich Leonard Ronkarz.
Eine Führung durch den Ronkarzgarten kann bei der Tourist-Info der Stadt Gemünden am Main gebucht werden: Scherenbergstraße 4 (neben dem Rathaus am Marktplatz), info@touristinfo-gemuenden.de, Tel. (0 93 51) 80 01 70. Die Führung für bis zu 25 Personen dauert etwa eineinhalb Stunden. Preis: 40 Euro.
ONLINE-TIPP
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