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WÜRZBURG/SCHWEINFURT
Rettet eine Helmpflicht Radlerleben?
Viele Experten plädieren für einen Zwang zum Kopfschutz beim Radfahren, doch auch Zweifler haben Argumente.
Eindrucksvoller Test: Geschützt durch einen Fahrradhelm bleibt die Melone, die zu Boden fällt, ganz. „Oben ohne“ zerfetzt es die Frucht.
Foto: Sonja Demmler | Eindrucksvoller Test: Geschützt durch einen Fahrradhelm bleibt die Melone, die zu Boden fällt, ganz. „Oben ohne“ zerfetzt es die Frucht.
Von unserem Redaktionsmitglied Björn Kohlhepp
 |  aktualisiert: 10.05.2023 10:41 Uhr

Ein 62-jähriger Radfahrer ist Ende Mai in Bad Kissingen so schwer gestürzt, dass er später seinen Kopfverletzungen erlag. Einen Helm, der ihm womöglich das Leben gerettet hätte, trug er nicht. Jedes Jahr sind Fahrradfahrer bundesweit an über 70 000 Verkehrsunfällen beteiligt. Endet der Unfall tödlich, sind in 50 Prozent der Fälle schwere Kopfverletzungen die Todesursache. In Deutschland kamen vergangenes Jahr 398 Radfahrer ums Leben, in Unterfranken waren es vier.

Radfahren ist in, doch zugleich gibt es immer mehr Helmmuffel. Innerorts tragen nur noch drei bis acht Prozent aller Erwachsenen beim Radfahren einen Helm, schreibt die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt). Der Schweinfurter Unfallchirurg Dirk Farghal rät „unbedingt“ dazu, beim Fahrradfahren einen Helm aufzusetzen, er selbst fahre nie ohne. „Schwere Kopfverletzungen gehen deutlich zurück mit Fahrradhelm.“ Bei „normalen Geschwindigkeiten“ schütze ein Helm auf jeden Fall – und normale Geschwindigkeiten fahren vor allem Kinder und Ältere.

Zeit für eine Helmpflicht also? Die Bundesregierung schließt dies derzeit aus, obwohl Verkehrsminister Peter Ramsauer im Oktober für die Pflicht plädierte, „wenn sich die Helmtragequote nicht signifikant auf weit über 50 Prozent erhöht in den kommenden Jahren“. Gegen eine Helmpflicht wehrt sich der Fahrradclub ADFC vehement – und überraschenderweise auch die Hersteller von Fahrradhelmen.

Der ADFC ist zunächst einmal nicht überzeugt, dass Helme wirklich Radlerleben schützen. Eine Studie der Medizinischen Hochschule Hannover mit 4049 bei Verkehrsunfällen verletzten Radfahrern hat zwar 2008 ergeben, dass mit Helm zwar die Zahl der Kopfverletzungen deutlich zurückgeht, aber ADFC-Pressesprecherin Bettina Cibulski sagt: „Es gibt keine wasserdichte Studie, die die Sicherheit von Helmen belegt.“

Bei einem Unfall nur Tage vor dem tödlichen in Bad Kissingen hat im nahen Bad Bocklet ein 67-jähriger Radfahrer bei einem Sturz schwere Kopfverletzungen erlitten – trotz Helm. Wie sicher sind Fahrradhelme also wirklich?

Getestet werden Fahrradhelme, wie auch die Helme für Skateboarder und Inliner, nach der europäischen Norm EN 1078. Jedes hierzulande verkaufte Modell muss eine Prüfung nach dieser Norm bestehen. Dabei werden Prüfköpfe mit einem aufgesetzten Helm aus einer Höhe von eineinhalb Metern auf einen flachen Amboss und aus einer Höhe von 1,1 Metern auf ein stählernes Dachkantprofil fallen gelassen, was in etwa dem Umfallen aus dem Stand entspricht. Die Aufschlaggeschwindigkeiten betragen 19,5 und 16,5 Stundenkilometern. Bei einem Sturz vom Fahrrad dürfte bei Erwachsenen das Tempo höher sein, erst recht bei einer Kollision mit einem Auto.

Kritiker wie der ADFC wenden deshalb ein, dass die Tests so nicht sinnvoll seien, also die Helme nicht wirklich schützen würden. Siegfried Brockmann von der Unfallforschung der Versicherer (Berlin) hält diese Argumentation für „kompletten Unsinn“. Zwar sei es so, dass sich „alle Fachleute einig sind, dass Fahrradhelme eine begrenzte Schutzwirkung haben“, aber dennoch sei eine Helmpflicht „extrem sinnvoll“. Aus Brockmanns Sicht wäre nur die Umsetzung der Helmpflicht das Problem – da ist er sich mit dem ADFC einig.

Das Hauptargument der Helmpflicht-Gegner ist jedoch, dass bei Zwang wahrscheinlich viele lieber den Drahtesel stehen ließen. Als Negativbeispiel gilt Australien, wo 1991 die in manchen Landesteilen eingeführte Helmpflicht dazu führte, dass seitdem weit weniger Radfahrer unterwegs sind. ADFC-Sprecherin Cibulski: „Die Helmpflicht ist umwelt- und gesundheitspolitisch nicht zu verantworten.“ Radeln halte Herz und Kreislauf in Schwung. Den bundesweit rund 400 tödlich verunglückten Radfahrern stehen über 350 000 Todesfälle im Jahr gegenüber, deren Ursache Herz-/Kreislauferkrankungen sind – der Todesursache Nummer eins. Wenn durch eine Helmpflicht weniger Leute Fahrrad fahren, so die Theorie, stürben womöglich Tausende Menschen mehr an Herz-/Kreislauferkrankungen. Wer also mit einer Helmpflicht den Schutz der Menschen im Sinn hat, bewirke womöglich das Gegenteil.

Zudem herrsche für die übrig bleibenden Radler ein größeres Unfallrisiko, so Cibulski weiter. Auch dies zeige das Beispiel Australien. Grund für die höhere Gefährdung seien die Autofahrer, die auf die seltener werdenden Radler weniger achteten. Im Fahrradland Holland, wo im Übrigen keine Helmpflicht herrscht, sei dies anders, sagt Cibulski. „Dort weiß jeder Autofahrer: Es gibt Radfahrer.“ Deshalb passiere dort viel weniger als bei uns. In Holland werden 27 Prozent aller Wege mit dem Fahrrad zurückgelegt, aber nur ein Prozent der Radler tragen einen Helm.

Und was haben die Fahrradhelmhersteller gegen die Helmpflicht? Die denken dabei offensichtlich ganz wirtschaftlich: „Dadurch wird der Markt kaputt gemacht“, ist Dagmar Hugenroth, Pressesprecherin des Fürther Helmherstellers Uvex, bei Fahrradhelmen unter den „Top drei in Deutschland“, überzeugt. Sie nennt ebenfalls das Beispiel Australien und auch den deutschen Mofamarkt, der durch die Helmpflicht, zerstört worden sei. Ein weiteres abschreckendes Beispiel ist für sie der Markt für Skihelme. Der Skiunfall des damaligen thüringischen Ministerpräsidenten Dieter Althaus im Januar 2009 hat zunächst zu einer massiven Nachfrage geführt – die irgendwann genauso massiv wieder nachgelassen habe. „Ein gesundes Wachstum ist besser“, so Hugenroth.

Aus Sicht von Uvex müsse eine Bewusstseinsänderung her, die Sicherheit der Helme sei schließlich bewiesen. Auch eine bessere Infrastruktur für Radfahrer würde deren Sicherheit erhöhen. „Das größte Problem ist jedoch das Vorhandensein des Autos“, sagt Hugenroth. Meist ist nämlich ein Auto der Unfallgegner.

Das Oberlandesgericht München hat im März 2011 entschieden, dass einen Fahrradfahrer dann ein Mitverschulden an einem Verkehrsunfall trifft, wenn er auf einem Rennrad ohne Fahrradhelm unterwegs ist. Dass ein Radfahrer bei einem Unfall keinen Helm trägt, dürfte eigentlich nicht dazu führen, dass ihn eine Mitschuld trifft, findet ADFC-Sprecherin Cibulski. Schließlich gebe es keine Helmpflicht. Allerdings könnte dies bei Rennradfahrern anders bewertet werden, räumt sie ein.

Ein anderes Feld sind Elektrofahrräder: Allein 2011 wurden 310 000 Stück verkauft. Weil die meist schneller unterwegs sind als normale Fahrräder, sieht Unfallforscher Brockmann dort dringenden Handlungsbedarf. Für Elektrofahrräder müssten neue Helme her. In seinem Haus laufe bereits ein Forschungsprojekt dazu. Die Schweiz hat sich da schon ihre Gedanken gemacht: Dort gilt ab 1. Juli eine Helmpflicht für Elektrofahrräder, die schneller als 25 Stundenkilometer fahren können.

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