"Das ist Architektur von Weltrang. Da kann Würzburg mit allen Metropolen mithalten“, urteilt Stefan Kummer, Professor für Kunstgeschichte an der Würzburger Universität. Das von Balthasar Neumann zwischen 1720 und 1744 gebaute Schloss legt Zeugnis ab vom Geist des Barock wie kein anderes Bauwerk in Europa. Die Residenz markiert einen Höhepunkt barocker Architektur und setzt gleichzeitig einen Schlussstrich unter jene Epoche, die Kunstgeschichtler auf die Zeit zwischen 1600 und etwa 1750 datieren.
Das Zeitalter des Barock war auch das Zeitalter der absolutistischen Herrscher. Die wollten mit ihren Schlössern auch Reichtum und Macht demonstrieren. Vorbild war Versailles: Die meisten Schlösser hatten mindestens einen Hauch von dem Prunkschloss Ludwigs XIV. (1638–1715), dem Prototypen des absolutistischen Herrschers.
Auch der Fürstbischof in Würzburg war mächtiger weltlicher Herrscher, Zentralgestirn eines Hofstaates und ein kleiner Sonnenkönig, der seine Größe nach außen zeigen wollte. Beim Bau seiner Residenz wurde also geklotzt und nicht gekleckert. Der Palast verschlang 1,5 Millionen Gulden. Eine gewaltige Summe: Ein Arbeiter verdiente einen Gulden pro Woche. Das Würzburger Schloss ist 170 Meter breit und 90 Meter tief – wahrhaft fürstliche Ausmaße. Von Versailles übernahm Baumeister Neumann die Grundform mit den beiden auf den Residenzplatz vorspringenden Flügeln, die vor dem Eingang einen tiefen Ehrenhof bilden. Zeitgenossen erschraken: „Viel zu groß und viel zu kostbar“ sei das Bauwerk, fand Lothar Franz von Schönborn. Dabei hatte der Fürstbischof von Bamberg nur den Rohbau des Nordflügels gesehen . . .
Sinnbild göttlicher Ordnung
Die Größe der Residenz wurde aber nicht nur vom gewünschten Show-Effekt diktiert. „Es gab ein strenges Zeremoniell, wie Gäste unterzubringen waren“, erklärt Stefan Kummer. Je nach Rang und Stand hatte ein Gast Anspruch auf eine bestimmte Anzahl von Räumen für sich und sein Gefolge. Auch die Gattin des Gastes – die getrennt vom Mann logierte – hatte festgelegte Ansprüche. Für den Kaiser gar musste eine ganz besondere Zimmerflucht samt „Kaisersaal“, der zurzeit restauriert wird, bereit stehen.
„Die Raumfolge – Vestibül, Treppenhaus, Weißer Saal, Kaisersaal – ist eine der großartigsten, die je im Schlossbau ersonnen wurden“, wirbt die Bayerische Schlösserverwaltung. Drei Generationen von Künstlern und Kunsthandwerkern aus Europa schufen eine Innenausstattung, die seinerzeit unübertroffen war. Die Glanzlichter – und fast schon den Schlusspunkt – der Innendekoration setzte Giovanni Battista Tiepolo, der große venezianische Maler, mit seinen 1751 bis 1753 entstandenen Deckenfresken im Kaisersaal und im Treppenhaus. Die Anhäufung scheinbar regelloser und unübersichtlicher Schnörkel in den Zimmern überwältigt den Besucher – das Schloss ist der Öffentlichkeit seit 1921 zugänglich. Doch hinter vermeintlicher Wirrnis steckt Ordnung: Künstler gaben damit barocker Weltsicht in Stein und Stuck, auf Gemälden und in Skulpturen Ausdruck. Der barocke Mensch war überzeugt, dass hinter allem ein göttlicher Plan steckt. Mag die Welt auch noch so kompliziert aussehen.
Zudem strebten zumindest die Reichen und Mächtigen jener Epoche nach Schönheit. Schönheit schuf die Kunst. Durch künstlerische Gestaltung wollte man dem Leben möglichst viele schöne Seiten abgewinnen. Die Fassade der Residenz signalisiert in ihrer Pracht auch: „Das Leben ist ein Fest.“
Die Front der Würzburger Residenz wurde zum Dom ausgerichtet. Der Vorgänger-Bau, das sogenannte Schlösschen, hatte schräg auf dem Platz gestanden, die Fassade in Richtung der heutigen Theaterstraße gezeigt. Von der neuen Residenz aus wurde im rechten Winkel die Hofstraße gezogen. Sie trifft auf die barocke Schönbornkapelle, die Balthasar Neumann an der Nordostecke des im Grunde romanischen Doms anfügte.
Das Leben im 18. Jahrhundert
Das Gesamtkonzept der Residenz bezieht einen mit Zirkel und Lineal gezogenen Garten ein. Der Hofgarten dient nicht nur zum Flanieren. Er ist heute auch Kulisse für die über die Republik hinaus bekannten Nachtmusiken des Mozartfestes.
Der Bau der Würzburger Residenz erzählt auch von den Lebensumständen in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Dass seinerzeit daran gedacht werden konnte, Regierungssitz und Wohnung des Würzburger Fürstbischofs in die Stadt zu verlegen, zeige, so Kummer, dass der Staat durchorganisiert war, dass die Polizei wieder funktionierte, dass die Gesellschaft ins Lot kam. Zuvor hatte sich der Fürstbischof hinter den Mauern der Festung verschanzen müssen. Die Zeiten waren offenbar sicherer geworden.
Als die Residenz 1780 endlich komplett ausgestattet war, hatte sich die Epoche eigentlich überlebt, die glanzvollen Zeiten der Fürstbischöfe waren passé. Die Säkularisation, also die Überführung von Herrschaftsgebieten der Kirche in den Besitz des weltlichen Staates und die Auflösung der kirchlichen Herrschaft, bedeutete 1803 das Ende des Fürstbistums Würzburg. 1814 fiel Würzburg endgültig an das Königreich Bayern.
Die Bombennacht
Die Residenz – sie wurde im Vorjahr von 338 400 Besuchern besichtigt – gewährt noch heute einen Einblick in jene Zeit. Und sie zeigt auch, wie Kunst und der gemeinsame Wille, sie zu erhalten, auch Kriege überlebt. Nach den schweren Luftangriffen am 16. März 1945 brannte das Bauwerk fast völlig aus. Verschont blieb nur das Herzstück – Vestibül, Gartensaal, Weißer Saal, Kaisersaal und Treppenhaus samt Tiepolo-Fresko. Der Wiederaufbau, eine kunsthandwerkliche Meisterleistung, dauerte bis 1987 und verschlang rund 20 Millionen Euro. 1981 wurde die Residenz einschließlich Residenzplatz und Hofgarten von der Unesco als „Weltkulturerbe“ eingestuft.