WÜRZBURG
Religion im Krieg: „Gott verlangt den Heldentod“
Das Gebot „Du sollst nicht töten“ kam in den Verlautbarungen der großen christlichen Kirchen nicht vor. Im Gegenteil: Sie waren Kriegstreiber.
Am dritten Advent vor 100 Jahren einigen sich die katholischen Bischöfe Deutschlands auf ein Dokument des Schreckens. Es kommt als Hirtenbrief zu den Gläubigen, in dem die Oberhirten den Weltkrieg als „strenge Adventschule“ begrüßen.
Sie schreiben, der Krieg habe „uns und unser Volk dem Heiland näher gebracht“. Viele, „die weit“ vom Glauben „abgeirrt waren“, fänden nun zur Kirche zurück. Am 29. Dezember 1914 veröffentlicht ihn ungekürzt das „Fränkische Volksblatt“, eine Tageszeitung der katholischen Kirche unter Würzburgs Bischof Ferdinand von Schlör.
Der Hirtenbrief, ein fataler Mix aus religiöser und nationaler Begeisterung, ist nicht vom Himmel gefallen. Die Bischöfe nutzen den Krieg, um liberale und säkulare Entwicklungen zu stoppen – und um die Katholiken ins Kaiserreich zu integrieren.
Alles dreht sich um die Religion. Als Kaiser Wilhelm II. am 6. August 1914 seinen Untertanen mitteilt, dass nun „das Schwert entscheiden“ müsse, tut er das in christlicher Zuversicht. Er beendet seine Erklärung mit dem Satz: „Vorwärts mit Gott, der mit uns sein wird, wie er mit den Vätern war.“
Wie die Kämpfer der Terrormiliz Islamischer Staat, so lockt die christlichen Kämpfer das Paradies. Am 30. November 1914 verbreitet das „Volksblatt“, tiefgläubige Soldaten seien die besten, weil sie den Tod nicht fürchteten. „Was können sie“, die „fromm wie Kinder“ seien, „denn auch im schlimmsten Fall verlieren?“
Die Katholiken haben einen schweren Stand im evangelisch dominierten Kaiserreich. Die Protestanten trauen ihnen nicht. Katholiken sind international organisiert und Rom zugewandt, sie verlangen das Primat der Religion über den Staat.
Die Protestanten dagegen sind national gesinnt, sie haben in Wilhelm II. ihren prominentesten Vertreter – er ist das Oberhaupt der vereinigten evangelischen Kirchen Preußens.
Der Kaiser braucht die Katholiken. Am Abend des 1. August ruft er, nachdem er Russland den Krieg erklärt hat, vom Balkon des Berliner Stadtschlosses: „Ich kenne keine Parteien und auch keine Konfessionen mehr; wir sind heute alle deutsche Brüder und nur noch deutsche Brüder!“
Die Katholiken folgen Wilhelm II. Ihre Internationale versagt wie die der Sozialdemokraten und des Hochadels.
Gott wird ein Germane.
Am 15. August 1914 ruft der „Würzburger General-Anzeiger“ zum Krieg. Erst seien „die Knie und Herzen gebeugt vor unserm Gott!/Denn dieser Helfer macht die stärksten Feinde tot.“ Dann folgt der Aufruf an die deutschen Soldaten: „Dann kriegt den Feind zu fassen, o fasst ihn nicht zu zart!/Hurra! Den Feind erschlagen – so ist es deutsche Art.“
Der evangelische Religionspädagoge Dietrich Vorwerk dichtet das „Kriegsvaterunser“, 1914 erschienen im Kriegsliederheft „Hurra und Halleluja“. Und die Gläubigen beten:
„Eile, den Deutschen beizustehen,
Hilf uns im heiligen Kriege! (…)
Ist auch kärglich des Krieges Brot,
Schaff nur täglich den Feinden Tod
Und zehnfältiges Wehe!
In barmherziger Langmut vergib
Jede Kugel und jeden Hieb
Die wir vorbeigesendet!
In die Versuchung führe uns nicht,
Dass unser Zorn dein Gottesgericht
Allzu milde vollendet!“
Auch das „Fränkische Volksblatt“ glaubt sich im Verein mit dem Gott der Christen. Am 12. August berichtet es, „die Massen der Gläubigen“ eilten in die Kirchen, „zum Tische des Herrn, des Lenkers der Schlachten, in dessen Hand allein die Geschicke der Völker und Länder liegen“, und beteten: „Gott segne die Waffen, Gott segne den Kampf, Gott gebe den Sieg.“
Dass Gott mit den Deutschen ist, steht für das „Volksblatt“ außer Frage. Am 4. September erklärt es, warum: Das Kaiserreich führe einen Kreuzzug wider das „schismatische Russland“, das „atheistische Frankreich“ und das „protestantisch-freimaurerische England“.
Am 15. September veröffentlicht der „General-Anzeiger“, gewöhnlich radikal deutsch-national, einen erstaunlich nachdenklichen Bericht. Ein anonymer Würzburger erzählt von einem nächtlichen Ritt zwischen deutschen und französischen Linien. „Die Soldaten ruhten hüben und drüben, um am anderen Tag frische Kraft zu haben, sich gegenseitig zu morden. Und kennt doch keiner den andern und keiner hat dem andern etwas zu Leide getan. (…)
Stille Wehmut zog mir ins Herz; ich dachte der stillen Schläfer auf den Feldern und derer, die sie nun beweinen würden. Dann aber straffte ich mich wieder in den Bügeln. Solche Gedanken sind nicht gut für den Soldaten, der im Felde steht.“
Tags darauf zerstreut das „Volksblatt“ womöglich aufkommende Zweifel und erläutert Gründe für den Krieg: Gott nutze die Deutschen, „um andere Völker für ihre Gottlosigkeit zu züchtigen“. Der Krieg stärke die Sittlichkeit und fördere die „Gesundung des Volkes“.
Am 16. September liest das Publikum, Gott verlange den Heldentod, am 24. September, dass die Religion zur bereitwilligen Hingabe des eigenen Lebens befähige.
Der Politologe Herfried Münkler, Autor des Standardwerks „Der große Krieg. Die Welt 1914 bis 1918“, meint, die christlich-kaiserlichen Soldaten hätten sich nicht als Opfer, sondern als Erfüllungsgehilfen eines göttlichen Willens verstanden. Im Gespräch mit der „Zeit“-Beilage „Christ & Welt“ sagte er, im Grauen der Schlachtfelder „Atheist zu sein und nicht wahnsinnig zu werden, dürfte nahezu unmöglich gewesen sein“.
In Uppsala, im neutralen Schweden, wendet sich der evangelische Erzbischof Nathan Söderblom am Ende des zweiten Kriegsmonats an die „Mitchristen aus den verschiedenen Völkern“. Er erinnert daran, „dass alle Christusgläubigen eins“ seien und appelliert an ihren Friedenswillen. 1930 wird er den Friedensnobelpreis bekommen.
Aber die deutschen Bischöfe danken im Hirtenbrief ihrem Gott für die „Heilsfrüchte des Krieges“ und für „die herrlichen Erfolge und Siege, mit denen der Himmel unsere Waffen gesegnet hat“.
Sie erklären den Krieg als göttliches Strafgericht, weil auch im Kaiserreich „unheimliche Kräfte auf eine Trennung von Kirche und Staat“ hinarbeiteten.
Diese Kräfte planten die „möglichste Ausschaltung christlichen Geistes und christlicher Grundsätze (…) aus dem öffentlichen und sozialen Leben“.
Aber „wie ein Sturmwind“ sei der Krieg hineingefahren „in die kalten Nebel und bösen Dünste des Unglaubens und der Zweifelsucht und die ungesunde Atmosphäre einer unchristlichen Überkultur“.
Der Krieg habe „vor sein Gericht geladen die moderne, widerchristliche, religionslose Geisteskultur“. Die Bischöfe meinen das „ehrlose Nachäffen einer fremdländischen verseuchten Literatur und Kunst und der schändlichsten Auswüchse der Frauenmode“.
Sie bekennen in „tiefster Beschämung“, sie hätten geschehen lassen, „dass auch bei uns die Ehe entweiht und um ihren Kindersegen gebracht wurde“.
Aber der Krieg habe „die Religion wieder in ihr Recht eingesetzt und mit Feuer und Eisen der Menschheit die Gebote Gottes wieder eingeschärft“.
In Rom verzweifelt der Papst. Am 28. Juli 1915 verdammt Benedikt XV. den Krieg als „grauenhafte Schlächterei“. Er beschwört die kriegsführenden Regierungen, „diesem fürchterlichen Morden, das nunmehr seit einem Jahr Europa entehrt, endlich ein Ziel zu setzen“. Seine Schäfchen gehorchen nicht.
Im Sommer 2014 bekennt der Rat der Evangelischen Kirche ein Versagen von Kirche und Theologie im Ersten Weltkrieg. Der Glaube habe die Gläubigen „1914 nicht vor Kriegsbegeisterung und -propaganda bewahrt, noch vor der Rechtfertigung nationaler Kriegsziele bis zum Ende“.
Heute stehe die Evangelische Kirche für die Erhaltung einer gefährdeten europäischen Friedensordnung.
Die katholische Kirche räumt in einer Erklärung der Deutsche Bischofskonferenz kein Versagen ein.
Sie verweist lediglich auf „Bischöfe, Priester und Gläubige in großer Zahl, die auf die Seite derer“ getreten seien, „die den Krieg als moralische und geistige Erneuerung begrüßten“. Viele, „die in der Kirche Verantwortung trugen“, hätten Schuld auf sich geladen.
Sie schreiben, der Krieg habe „uns und unser Volk dem Heiland näher gebracht“. Viele, „die weit“ vom Glauben „abgeirrt waren“, fänden nun zur Kirche zurück. Am 29. Dezember 1914 veröffentlicht ihn ungekürzt das „Fränkische Volksblatt“, eine Tageszeitung der katholischen Kirche unter Würzburgs Bischof Ferdinand von Schlör.
Der Hirtenbrief, ein fataler Mix aus religiöser und nationaler Begeisterung, ist nicht vom Himmel gefallen. Die Bischöfe nutzen den Krieg, um liberale und säkulare Entwicklungen zu stoppen – und um die Katholiken ins Kaiserreich zu integrieren.
Alles dreht sich um die Religion. Als Kaiser Wilhelm II. am 6. August 1914 seinen Untertanen mitteilt, dass nun „das Schwert entscheiden“ müsse, tut er das in christlicher Zuversicht. Er beendet seine Erklärung mit dem Satz: „Vorwärts mit Gott, der mit uns sein wird, wie er mit den Vätern war.“
Wie die Kämpfer der Terrormiliz Islamischer Staat, so lockt die christlichen Kämpfer das Paradies. Am 30. November 1914 verbreitet das „Volksblatt“, tiefgläubige Soldaten seien die besten, weil sie den Tod nicht fürchteten. „Was können sie“, die „fromm wie Kinder“ seien, „denn auch im schlimmsten Fall verlieren?“
Die Katholiken haben einen schweren Stand im evangelisch dominierten Kaiserreich. Die Protestanten trauen ihnen nicht. Katholiken sind international organisiert und Rom zugewandt, sie verlangen das Primat der Religion über den Staat.
Die Protestanten dagegen sind national gesinnt, sie haben in Wilhelm II. ihren prominentesten Vertreter – er ist das Oberhaupt der vereinigten evangelischen Kirchen Preußens.
Der Kaiser braucht die Katholiken. Am Abend des 1. August ruft er, nachdem er Russland den Krieg erklärt hat, vom Balkon des Berliner Stadtschlosses: „Ich kenne keine Parteien und auch keine Konfessionen mehr; wir sind heute alle deutsche Brüder und nur noch deutsche Brüder!“
Die Katholiken folgen Wilhelm II. Ihre Internationale versagt wie die der Sozialdemokraten und des Hochadels.
Gott wird ein Germane.
Am 15. August 1914 ruft der „Würzburger General-Anzeiger“ zum Krieg. Erst seien „die Knie und Herzen gebeugt vor unserm Gott!/Denn dieser Helfer macht die stärksten Feinde tot.“ Dann folgt der Aufruf an die deutschen Soldaten: „Dann kriegt den Feind zu fassen, o fasst ihn nicht zu zart!/Hurra! Den Feind erschlagen – so ist es deutsche Art.“
Der evangelische Religionspädagoge Dietrich Vorwerk dichtet das „Kriegsvaterunser“, 1914 erschienen im Kriegsliederheft „Hurra und Halleluja“. Und die Gläubigen beten:
„Eile, den Deutschen beizustehen,
Hilf uns im heiligen Kriege! (…)
Ist auch kärglich des Krieges Brot,
Schaff nur täglich den Feinden Tod
Und zehnfältiges Wehe!
In barmherziger Langmut vergib
Jede Kugel und jeden Hieb
Die wir vorbeigesendet!
In die Versuchung führe uns nicht,
Dass unser Zorn dein Gottesgericht
Allzu milde vollendet!“
Auch das „Fränkische Volksblatt“ glaubt sich im Verein mit dem Gott der Christen. Am 12. August berichtet es, „die Massen der Gläubigen“ eilten in die Kirchen, „zum Tische des Herrn, des Lenkers der Schlachten, in dessen Hand allein die Geschicke der Völker und Länder liegen“, und beteten: „Gott segne die Waffen, Gott segne den Kampf, Gott gebe den Sieg.“
Dass Gott mit den Deutschen ist, steht für das „Volksblatt“ außer Frage. Am 4. September erklärt es, warum: Das Kaiserreich führe einen Kreuzzug wider das „schismatische Russland“, das „atheistische Frankreich“ und das „protestantisch-freimaurerische England“.
Am 15. September veröffentlicht der „General-Anzeiger“, gewöhnlich radikal deutsch-national, einen erstaunlich nachdenklichen Bericht. Ein anonymer Würzburger erzählt von einem nächtlichen Ritt zwischen deutschen und französischen Linien. „Die Soldaten ruhten hüben und drüben, um am anderen Tag frische Kraft zu haben, sich gegenseitig zu morden. Und kennt doch keiner den andern und keiner hat dem andern etwas zu Leide getan. (…)
Stille Wehmut zog mir ins Herz; ich dachte der stillen Schläfer auf den Feldern und derer, die sie nun beweinen würden. Dann aber straffte ich mich wieder in den Bügeln. Solche Gedanken sind nicht gut für den Soldaten, der im Felde steht.“
Tags darauf zerstreut das „Volksblatt“ womöglich aufkommende Zweifel und erläutert Gründe für den Krieg: Gott nutze die Deutschen, „um andere Völker für ihre Gottlosigkeit zu züchtigen“. Der Krieg stärke die Sittlichkeit und fördere die „Gesundung des Volkes“.
Am 16. September liest das Publikum, Gott verlange den Heldentod, am 24. September, dass die Religion zur bereitwilligen Hingabe des eigenen Lebens befähige.
Der Politologe Herfried Münkler, Autor des Standardwerks „Der große Krieg. Die Welt 1914 bis 1918“, meint, die christlich-kaiserlichen Soldaten hätten sich nicht als Opfer, sondern als Erfüllungsgehilfen eines göttlichen Willens verstanden. Im Gespräch mit der „Zeit“-Beilage „Christ & Welt“ sagte er, im Grauen der Schlachtfelder „Atheist zu sein und nicht wahnsinnig zu werden, dürfte nahezu unmöglich gewesen sein“.
In Uppsala, im neutralen Schweden, wendet sich der evangelische Erzbischof Nathan Söderblom am Ende des zweiten Kriegsmonats an die „Mitchristen aus den verschiedenen Völkern“. Er erinnert daran, „dass alle Christusgläubigen eins“ seien und appelliert an ihren Friedenswillen. 1930 wird er den Friedensnobelpreis bekommen.
Aber die deutschen Bischöfe danken im Hirtenbrief ihrem Gott für die „Heilsfrüchte des Krieges“ und für „die herrlichen Erfolge und Siege, mit denen der Himmel unsere Waffen gesegnet hat“.
Sie erklären den Krieg als göttliches Strafgericht, weil auch im Kaiserreich „unheimliche Kräfte auf eine Trennung von Kirche und Staat“ hinarbeiteten.
Diese Kräfte planten die „möglichste Ausschaltung christlichen Geistes und christlicher Grundsätze (…) aus dem öffentlichen und sozialen Leben“.
Aber „wie ein Sturmwind“ sei der Krieg hineingefahren „in die kalten Nebel und bösen Dünste des Unglaubens und der Zweifelsucht und die ungesunde Atmosphäre einer unchristlichen Überkultur“.
Der Krieg habe „vor sein Gericht geladen die moderne, widerchristliche, religionslose Geisteskultur“. Die Bischöfe meinen das „ehrlose Nachäffen einer fremdländischen verseuchten Literatur und Kunst und der schändlichsten Auswüchse der Frauenmode“.
Sie bekennen in „tiefster Beschämung“, sie hätten geschehen lassen, „dass auch bei uns die Ehe entweiht und um ihren Kindersegen gebracht wurde“.
Aber der Krieg habe „die Religion wieder in ihr Recht eingesetzt und mit Feuer und Eisen der Menschheit die Gebote Gottes wieder eingeschärft“.
In Rom verzweifelt der Papst. Am 28. Juli 1915 verdammt Benedikt XV. den Krieg als „grauenhafte Schlächterei“. Er beschwört die kriegsführenden Regierungen, „diesem fürchterlichen Morden, das nunmehr seit einem Jahr Europa entehrt, endlich ein Ziel zu setzen“. Seine Schäfchen gehorchen nicht.
Im Sommer 2014 bekennt der Rat der Evangelischen Kirche ein Versagen von Kirche und Theologie im Ersten Weltkrieg. Der Glaube habe die Gläubigen „1914 nicht vor Kriegsbegeisterung und -propaganda bewahrt, noch vor der Rechtfertigung nationaler Kriegsziele bis zum Ende“.
Heute stehe die Evangelische Kirche für die Erhaltung einer gefährdeten europäischen Friedensordnung.
Die katholische Kirche räumt in einer Erklärung der Deutsche Bischofskonferenz kein Versagen ein.
Sie verweist lediglich auf „Bischöfe, Priester und Gläubige in großer Zahl, die auf die Seite derer“ getreten seien, „die den Krieg als moralische und geistige Erneuerung begrüßten“. Viele, „die in der Kirche Verantwortung trugen“, hätten Schuld auf sich geladen.
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