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WÜRZBURG
Reinhold Messner: Der ewige Abenteurer
Der 70-Jährige spricht im Interview über gekaufte Abenteuer, die Verantwortung für den Tod seines Bruders, Grenzerfahrungen - und die Angst beim Autofahren.
Liest am Sonntag in Veitshöchheim aus seinem Buch „Über Leben“: Der Extrembergsteiger Reinhold Messner (hier auf dem Zugspitzplatt in Bayern).
Foto: peter kneffel,Stefan Nimmesgem,hamberger, udo bernhart, dpa | Liest am Sonntag in Veitshöchheim aus seinem Buch „Über Leben“: Der Extrembergsteiger Reinhold Messner (hier auf dem Zugspitzplatt in Bayern).
Meike Schmid
Meike Schmid
 |  aktualisiert: 27.04.2023 01:29 Uhr

Er ist fünf Jahre alt, als ihn der Berg das erste Mal ruft. Mit seinem Vater besteigt der Südtiroler noch als Vorschulkind einen Dreitausender. Gut 35 Jahre später hat Reinhold Messner als erster Mensch alle 14 Achttausender der Welt bestiegen und einen Rekord nach dem anderen gebrochen. Vor seinem Live-Vortrag „Über Leben“ am Sonntag in Veitshöchheim hat der 70-Jährige auf der Autofahrt nach Deutschland mit der Redaktion telefoniert – sicherheitsbewusst über die Freisprechanlage.

Frage: Herr Messner, Sie sind ein Mann der Grenzerfahrungen und jetzt 70 Jahre alt. Welche Grenzen zeigt Ihnen das Alter auf?

Reinhold Messner: Mit dem Prozess des Alterns kommt die letzte Grenze an uns heran: Das ist das Sterben und das Übergleiten ins Jenseits. Das ist vielleicht die interessanteste Grenze.

Macht Ihnen diese Grenze Angst?

Messner: Nein, überhaupt nicht. Das wird ein letzter Befreiungsschlag. Ich habe in meinem Leben immer wieder Befreiungsschläge gemacht und der letzte wird wahrscheinlich der wichtigste und aufregendste. Ich habe nichts zu verlieren, habe alles versucht und bin völlig zufrieden. Auch mit dem, was ich nicht erreicht habe. Und ich habe immer noch Ideen und die Leidenschaft, mein Leben voll auszufüllen.

Sie fürchten sich weder vor dem Älterwerden, noch vor Grenzerfahrungen oder dem Tod. Hat Reinhold Messner vor irgendetwas Angst?

Messner: Ja, ich habe Angst, wenn ich mich komplett in die Gefahr begebe. Im Moment sitze ich im Auto, habe eine Freisprechanlage, bin konzentriert und fahre. Es ist eine relativ sichere Methode, vorwärts zu kommen. Allerdings: Fliegen ist sicherer, Bahnfahren ist sicherer. Von München aus fahre ich daher auch immer mit der Bahn, aber von Südtirol ist es zu kompliziert. Wenn ich in die Wildnis gehe, was einmal im Jahr passiert, habe ich Angst und Sorge, weil ich weiß, was passieren könnte. Ich versuche Ziele anzusteuern, die ich als älterer Herr noch meistern kann. Ich kann nie mehr das machen, was ich mit 40 oder 20 gemacht habe. Aber ich bin vollkommen zufrieden, dass ich jetzt noch ein Museum aufgemacht habe.

Sechs Museen tragen mittlerweile Ihren Namen. Welche Ziele haben Sie noch?

Messner: Ich werde anfangen, Filme zu machen. Immer zu meinem Thema. Also keine Liebesfilme oder so. Ich will immer das Abenteuer auf die Leinwand bringen und Geschichten erzählen, die am Berg spielen.

Sie haben knapp 50 Bücher geschrieben und unzählige Vorträge gehalten. Haben Sie denn noch so viel zu erzählen?

Messner: Ja, das habe ich, weil ich verschiedene Formen des Erzählens wähle. Einmal nur mit der Sprache und Stille am Feuer sitzend nach einem schönen Abenteuer. Die nächste Form ist der Vortrag mit Bildern, Musik und Filmen. Dann gibt es natürlich das Museum, und das Komplexeste ist der Film. Da habe ich Texte, Bilder, Musik, Schauspieler, Geräusche – einfach alle Möglichkeiten.

Die Geschichten, die Sie erzählen, leben vom Mythos, vom Einzelgänger und Grenzerfahrungen. Mittlerweile werden Touristen die größten Berge hoch- und runtergekarrt und können sich somit das Abenteuer kaufen. Tut Ihnen das weh?

Messner: Die Leute können das Abenteuer nicht kaufen, sie können nur ihre Eitelkeit befriedigen, indem sie etwas machen, das kein Abenteuer ist, sondern nur eine Attrappe. Wenn Sie einen Berg für Skifahrer und Bergsteiger präparieren, dann ist das Tourismus und nicht Abenteuer. Abenteuer heißt in erster Linie Selbstverantwortung, Schwierigkeiten zu lösen, Anstrengung zu ertragen und im Notfall den Tod zu erdulden. Beim Tourismus darf das ja alles nicht sein. Ich habe lange Zeit gehadert mit dieser Situation, aber heute sage ich: Lasst die Leute machen. Der Gipfel des Everest ist der höchste Punkt der Eitelkeit des Menschen. Und diesen geschenkt zu bekommen, hat mit dem, was ich getan habe, nichts zu tun.

Gibt es noch ein Kapitel „Messner und der Yeti“?

Messner: Ja, ich habe erst heute wieder einen neuen Gesundheitsausweis unterschrieben, weil ein englisches Team mit Wissenschaftlern dieses Jahr in den Himalaya fährt. Sie werden dort versuchen, Aufnahmen von dem speziellen Bär, der die Legende der Yeti-Geschichte ausgelöst hat, zu machen und den Tieren Proben zu entnehmen. Denn die zoologische Entsprechung des Yeti scheint eine Kreuzung zwischen dem Eisbär und dem Braunbär zu sein.

Und welche Rolle spielen Sie dabei?

Messner: Die haben mich gebeten, dass ich ihnen helfe, diese Tiere überhaupt zu finden, weil das ziemlich schwierig ist. Ich bin dann im Herbst mit dem Filmteam im Himalaya unterwegs. In den nächsten zehn bis 20 Jahren wird die Sache mit dem Yeti dann ganz sachlich aufgeklärt werden.

In Ihrem Buch „Über Leben“ kommt immer wieder ihr jüngerer Bruder Günther vor, der bei einer gemeinsamen Tour 1970 am Nanga Parbat mit 24 Jahren ums Leben kam. Wie präsent ist er noch in Ihrem Leben?

Messner: Mein Bruder ist immer präsent, weil ich ja immer noch rund um das Thema Berg arbeite. Wir haben gemeinsam bestimmt 1000 Klettertouren gemacht, waren als Kinder in den Dolomiten klettern. Das wir das überlebt haben, ist ein Wunder. Irgendwelche Leute, die ein Geschäft damit machen wollten, haben die Tragödie von 1970 vor ein paar Jahren plötzlich wieder rausgezogen. Heute sage ich: Das ist vorbei, das ist meine Angelegenheit. Die Verantwortung bleibt sowieso bei mir und die trage ich auch gerne. Die Medien haben die größte Freude, Menschen auf den Everest zu heben und dann abstürzen zu lassen. Ich habe dieses Spiel durchschaut, an der eigenen Psyche erlebt und erzähle es heute wie viele andere Geschichten. Aber nicht als Vorwurf, sondern nur als Feststellung.

Was wünschen Sie sich heute?

Messner: Dass ich weiterhin gesund bleibe. Ich war heute mit meinem Sohn klettern, das war großartig. Er klettert viel besser als ich und gibt mir dadurch wieder Sicherheit.

Haben Sie dann keine Angst, dass Ihr Sohn sich genauso in Gefahr begibt wie Sie einst?

Messner: Er ist vernünftiger und besser als ich. Er macht auch sein Studium weiter und hat verstanden, dass ein Leben, wie ich es geführt habe, als Anarch und Abenteurer, in Zukunft viel schwieriger sein wird. Der Konkurrenzkampf ist größer und global geworden. Ich habe die schönste Zeit im Abenteuer erlebt, weil wir weder Doping- noch Kommunikationsmittel hatten. Wir durften in Ruhe heimkommen und ein Buch über unsere Eindrücke schreiben.

Was war rückblickend Ihr schönstes Erlebnis?

Messner: Mein ganzes Leben ist ein gelingendes Leben, während ich es tue.

 


Leben und Rekorde

Geboren wurde Reinhold Messner 1944 in Südtirol. Nach seinem Technik-Studium arbeitete er kurze Zeit als Mittelschullehrer, ehe er sich dem Bergsteigen verschrieb. Heute lebt der vierfache Vater mit seiner Familie in Meran und auf Schloss Juval in Südtirol. Mit fünf Jahren bestieg Reinhold Messner in Begleitung seines Vaters bereits seinen ersten Dreitausender. Seit 1969 unternahm er mehr als hundert Reisen in die Gebirge und Wüsten dieser Erde. Er schrieb knapp 50 Bücher. Als erster Mensch bestieg er alle 14 Achttausender, durchquerte die Antarktis, die Wüsten Gobi und Takla Makan und wanderte einmal längs durch Grönland. Außerdem hat er gemeinsam mit Peter Habeler 1978 als Erster den Gipfel des Mount Everest ohne Zuhilfenahme von Flaschensauerstoff erreicht. Ebenfalls als Erster hat er einen Achttausender im Alleingang (Nanga Parbat 1978) bestiegen und als Zweiter 1986 die Seven Summits erreicht. Nach Veitshöchheim kommt Reinhold Messner am Sonntag, 19. April, mit seinem Live-Vortrag „Über Leben“. Beginn der Veranstaltung ist um 18 Uhr. Restkarten in den Main-Post-Geschäftsstellen, 60 01 60 00, unter www.reservix.de sowie in den bekannten Vorverkaufsstellen.

 
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