Ohrstöpsel und ein Radioprogramm – das ist die Mischung, die Anna-Maria, 72-Jährige Katalanin und eingefleischter Barca-Fan, jeden Abend zum Einschlafen braucht. Sie hört RAC 1, einen katalanischen Radiosender. Dort gibt es jede Nacht zwischen 23 Uhr und 1 Uhr eine Diskussionsrunde. „Tu dirás“ heißt sie, sinngemäß so etwas wie „Klartext“. Dort wird fast immer über Barca gesprochen. Und im Moment gibt es nur ein Thema: Die Rückkehr von Pep. Ihrem Pep. Dem Pep aus Barcelona, der dem Verein zwischen 2008 und 2012 so viel Ruhm und Ehre gebracht hat. „Der beste Trainer, den wir jemals hatten“, schwelgt Anna-Maria in Erinnerungen.
In dieser Nacht geht es um die Frage aller Fragen: Wird Pep, sobald er am Mittwoch das Camp Nou in Barcelona betritt, ausgepfiffen oder wird er Applaus erhalten? Die Diskussionsrunde und Anna-Maria sind sich sicher: Pep wird immer noch geliebt und herzlich empfangen.
Mit Postern „Geh nicht, Pep“ oder „Wir lieben Dich Pep“ wurde der Katalane vor drei Jahren in Barcelona verabschiedet. Nach einem Jahr Auszeit in New York ging er dann zu den Bayern. „Dass er einen europäischen Verein, also einen direkten Konkurrenten von Barca, trainiert, schmerzt besonders“, sagt Anna-Maria. Einfacher für die katalanische Seele wäre es, wenn er weit weit weg wäre, in Japan oder den USA, sodass man seinen Verlust leichter verschmerzen könnte.
Doch Pep ist nicht weit weg, sondern am Mittwoch ganz nah. Die spanischen und katalanischen Sportzeitungen rüsten thematisch auf. Schon Tage vor dem Halbfinale zierten Pep und seine Bayern die Titelseiten. Als Guardiola spanischen Journalisten in München nach der Pokalpleite gegen Dortmund ein Interview verweigert, steht das am nächsten Tag in der „Sport“, einer katalanischen Sportzeitung, auf dem Titel in Großbuchstaben „Pep se pone nervioso“ – Pep wird nervös. In der „La Vanguardia“, der großen katalanischen Tageszeitung, wird Peps Mannschaft aus Deutschland ganz genau analysiert. Das Ergebnis: Peps Bayern spielen im Durchschnitt 743,37 Pässe pro Spiel, Luis Enriques? Barca 673,03 Pässe.
Genug von der Pep-Nostalgie
Sportreporter José Maria Brunet hat allerdings genug von der Pep-Nostalgie. In einem Kommentar sagt er in Anspielung auf den emotionalen Trainer, der nach Titelgewinnen mit Barca auch gerne mal eine Träne verdrückt hatte: „Wir müssen Guardiola nicht wieder weinen lassen, es reicht, wenn wir ihn besiegen und das mit Cava (katalanischer Sekt) feiern und ihn mit Bier trösten.“
Bei Anna-Maria und der Diskussionsrunde in RAC 1 geht's inzwischen um weitere weltbewegende Fragen rund um ihren Pep: Darf er jubeln, wenn die Bayern im Camp Nou ein Tor schießen sollten? Ist ein hoher Sieg besser oder doch nur ein knapper, um Pep nicht zu demütigen? Denn das will hier in Barcelona eigentlich niemand. Schließlich ist Pep nicht nur der Held des FC Barcelona, sondern auch ein Kämpfer für die katalanische Unabhängigkeit. Der auch mal extra zu einer Demo oder Abstimmung nach Katalonien einfliegt. Das rechnet ihm Anna-Maria hoch an. Dass er übrigens in München in der Kritik steht, weil er dort möglicherweise mehr und mehr zum Alleinherrscher avanciert, versteht Anna-Maria nicht. „Wir haben ihm damals einfach vollkommen vertraut, egal, was er machte.“
Mittlerweile ist es spät geworden in Barcelona, kurz vor ein Uhr, die Diskussionsrunde neigt sich dem Ende entgegen. Zwei Dinge stehen für Anna-Maria im Zwiespalt der Gefühle fest: Die Liebe zu Pep ist groß, doch die zu Barca noch größer. Deshalb muss der FC Barcelona am Mittwoch gewinnen.
Egal, was passiert, eines Tages wird Pep zurückkehren, für immer. Zum FC Barcelona. Und dann ist ohnehin alles gut. Mit diesen tröstlichen Gedanken kann Anna Maria beruhigt einschlafen.