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AUGSBURG
Plötzlich ab!
Unfallchirurgie: Ein Riss der Achillessehne wird nicht immer operiert. Mancher entscheidet sich für eine konservative Behandlung. So oder so, die Heilung ist langwierig.
reda
 |  aktualisiert: 16.12.2020 12:31 Uhr

Michael S. kann es kaum fassen. Als er selbst vor vierzehn Jahren im Alter von damals 40 einen Achillessehnenriss erlitt, lag er am nächsten Morgen schon auf dem Operationstisch. „Das war damals gar keine Frage“, erinnert er sich, „es hieß, das müsse schnellstmöglich sein.“ Und kürzlich nun kam Kollege Toni S. nach einem Achillessehnenriss zurück in die Arbeit, ohne operiert worden zu sein. Michael S. wollte es gar nicht glauben – doch der Kollege blieb dabei: Man hatte ihm die Möglichkeit einer konservativen Behandlung geboten, und er hatte die Option genutzt.

Bis auf die Therapie gleichen sich die Geschichten der beiden Männer: Michael S. hatte den Sehnenriss bei der ersten Badminton-Stunde seines Lebens erlitten. Ein plötzlicher Richtungswechsel bei der Jagd nach dem Ball – schon lag er auf dem Hallenboden. Nicht mit großen Schmerzen, wie er rückblickend erzählt, sondern eher mit einem flauen Kreislauf und einem Gefühl, als würde der betroffene Fuß nicht mehr richtig zu ihm gehören. Er hatte sich zuvor zwar warm gemacht und gedehnt, in den Jahren zuvor allerdings hatte er nur sporadisch Sport getrieben.

Bei Toni S. riss die Achillessehne, als der 54-Jährige mit Freunden Tennis spielen wollte. Auch er hatte sich zuvor ein wenig warm gemacht. Und auch er hatte sich auf dem Boden wiedergefunden, konnte nicht mehr stehen. Nein, sehr schmerzhaft sei der Riß nicht gewesen, erinnert er sich, aber Kreislaufprobleme habe es gegeben. Und auch zu Toni S. hatte ein Arzt zunächst gesagt, er müsse operiert werden.

So weit, so ähnlich. Doch von diesem Punkt an gleichen sich die Erlebnisse der Kollegen nicht mehr. Toni S., der seinen Achillessehnenriss fernab der Heimat erlitten hatte, wollte sich nicht auswärts operieren lassen, sondern schnell wieder nach Hause. Also machte er sich, mit einem Spezialschuh, Krücken und Thrombosespritze versehen, auf den Weg nach Augsburg, um sich versorgen zu lassen. Und dort sagte ihm ein Arzt: Bei jüngeren Patienten operieren wir so was, bei älteren eher nicht. Toni S., im Alter genau dazwischen, hatte die Wahl.

Ungewöhnlich? Nein, sagt Professor Edgar Mayr, Chefarzt der Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie am Augsburger Klinikum. Zwar habe man früher tatsächlich praktisch alle gerissenen Achillessehnen sehr rasch genäht. „Aber heute weiß man, dass Eile – also eine Operation binnen 24 Stunden – nicht notwendig ist“, erklärt er. Früher habe man die Vorstellung gehabt, dass die beiden Enden der gerissenen Sehne durch die Muskulatur immer weiter auseinandergezogen würden und eine Operation folglich zunehmend schwieriger werde. Die Sehnenenden zögen sich zwar tatsächlich etwas zurück, sagt Mayr, doch könne man sie in den ersten Tagen immer noch mobilisieren und wieder aneinanderziehen, wie man heute weiß. Das heißt: „Der Patient hat auf alle Fälle die Möglichkeit, in Ruhe zu überlegen, ob er sich operieren lassen möchte oder nicht“, so der Professor. Was die Operation einer gerissenen Achillessehne betrifft, so sei zwar die Heilungsrate nach einer OP etwas besser als bei der konservativen Behandlung, aber nicht „hoch signifikant“. Ähnlich verhalte es sich mit dem funktionellen Ergebnis, das nach einer Operation geringfügig besser sei. Folglich gebe es schon eine „Tendenz, zu operieren“, aber alle Patienten über einen Kamm scheren wolle man nicht.

Zudem gebe es für Patienten mit einem schwachen Immunsystem die Möglichkeit einer minimalinvasiven Operation statt eines offenen Eingriffs, erklärt Mayr. Bei der minimalinvasiven „Rahmennaht“ werden die Sehnenenden durch zwei kleine Schnitte in der Haut hindurch miteinander verbunden. Bei der offenen Operation wurde früher versucht, die Fasern der gerissenen, etwa einen Zentimeter dicken Achillessehne miteinander zu verflechten, in der Hoffnung, sie würde so besser heilen. Diese aufwendigen Eingriffe seien aber in aller Regel nicht notwendig.

Ob man eine Empfehlung zur Operation ausspreche oder nicht, sei abhängig von zwei Faktoren, erläutert der Unfallchirurg: zum einen von der Frage, wo die Sehne gerissen ist, und zum anderen, ob es sich um einen eher jüngeren Patienten mit „sportlichem Anspruch“ handele. Sei der Patient jung, gern sportlich aktiv und die Sehne nicht zu nah am Muskel gerissen, „sollte man die Naht anbieten“, sagt Mayr. Bei Durchrissen nah am Muskel aber sei eine Operation schwierig, weshalb man eher davon Abstand nehme.

Mayr kennt den typischen Achillessehnenriss-Patienten, etwa einmal pro Woche haben er und seine Kollegen einen Patienten mit dieser Verletzung auf dem OP-Tisch. Der „typische Patient“ sei Mitte 30, habe viel in Beruf, Karriere und Familie investiert und sei in einem schlechten Trainingszustand, weil er deshalb über Jahre hinweg keinen Sport mehr getrieben hat. Dann, als „Schreibtischtäter“, beschließt er, wieder mit Sport zu beginnen, und glaubt, sofort an das Niveau früherer Zeiten anknüpfen zu können. Darauf ist die Sehne nicht vorbereitet – speziell bei Sportarten mit abrupten Bewegungen wie Tennis, Badminton, Squash oder Fußball kommt es zum Abriss.

Die Heilung einer Sehne dauert, da das Gewebe schlecht durchblutet ist, den Angaben zufolge lange. Das haben sowohl Michael S. als auch sein Kollege Toni S. erfahren. Toni S. ging an Krücken und trug sechs Wochen lang, Tag und Nacht, einen Spezialschuh, der sich komplett an den Fuß anschmiegte und in dessen Inneren sich der Winkel der Fußstellung Schritt für Schritt verändern ließ. Inzwischen hat er Schuh und Krücken abgelegt, nur eine Stützbandage trägt er gelegentlich noch.

Michael S. hat nach der Operation ebenfalls „lange herumlaboriert“, trug erst Gips, dann einen Spezialschuh, hatte Krücken und fühlte sich zudem über Monate hinweg sehr wacklig und unsicher auf den Beinen. Wie Toni S. hatte er Ödeme im betroffenen Bein, brauchte regelmäßig Lymphdränagen. Doch heute ist er mit dem Behandlungsergebnis hochzufrieden.

Sehnenrupturen (Abrisse)

Rupturen der großen Sehnen im Körper betreffen typischerweise ganz verschiedene Altersgruppen, sagt Unfallchirurg Professor Edgar Mayr.

Die Achillessehne oberhalb der Ferse sei der „Klassiker“. Die Ruptur dieser Sehne betrifft vor allem Menschen im Alter zwischen 30 und 50 Jahren. Meist sei die Sehne vorgeschädigt, etwa durch Mikrotraumen (Risse einzelner Fasern), und wenig belastet. Wenn die Sehne reißt, hören Betroffene oft ein peitschenknallähnliches Geräusch.

Die Quadrizepssehne oberhalb des Knies ist deutlich weniger bekannt als die Achillessehne, kann aber ebenfalls reißen. Dies sei eine typische Ruptur bei älteren Patienten, sagt Mayr. Sie berichten oft, dass sie gestürzt seien, und starken Schmerz oberhalb der Kniescheibe verspürt hätten. Typischerweise betreffe diese Verletzung Menschen im Alter zwischen 65 und 80 Jahren.

Die Bizepssehne reißt in der Regel entweder im Bereich des Schultergelenks oder dort, wo der Bizeps ansetzt. Letztere Ruptur sehe man gelegentlich bei Bodybuildern, die nicht nur trainieren, sondern auch Hormone zu sich nehmen, so Mayr. Nach dem Abriß kommt es zur typischen „Popeye-Verformung“ des Bizepsmuskels, der sich kugelartig hervorwölbt. Eine Operation sei in beiden Fällen, an der Schulter oder in der Nähe des Ellbogens, nicht zwingend nötig. Text: shs

„Heute weiß man,

dass eine Operation

binnen 24 Stunden

nicht notwendig ist.“

Professor Edgar Mayr,

Unfallchirurg

Verletzungsgefahr: Gerade im mittleren Lebensalter kommt es oft zu einem Riss der Achillessehne (rot im Bild) oberhalb der Ferse.
Foto: Sebastian Kaulitzki/fotolia | Verletzungsgefahr: Gerade im mittleren Lebensalter kommt es oft zu einem Riss der Achillessehne (rot im Bild) oberhalb der Ferse.
 
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