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KÖLN
Opa Wallraff und seine Enkel
Großvater der investigativen Recherche: Mit seinem Undercover-Team ist Günter Wallraff Missständen unterschiedlicher Art auf der Spur.
Foto: Stefan Gregorowius, RTL | Großvater der investigativen Recherche: Mit seinem Undercover-Team ist Günter Wallraff Missständen unterschiedlicher Art auf der Spur.

Von unserer Mitarbeiterin

Antje Hildebrandt

 |  aktualisiert: 16.12.2020 12:33 Uhr

Böse Zungen behaupten ja, die drei Buchstaben des größten deutschen Privatsenders RTL stünden für Formate unterhalb der Gürtellinie, für Rammeln, Titten, Lallen. Dieser Tage sind die kritischen Töne leiser geworden. RTL macht eher mit aufwendig und solide recherchierten TV-Reportagen als mit nackten Tatsachen von sich reden.

Reporter verkleiden sich, um tiefer in das Umfeld ihrer Recherche einzutauchen. So hat es Günter Wallraff, der Vater des Enthüllungsjournalismus, schon in den 70er Jahren gemacht. Der Mann, der bei „Bild“ Hans Esser war oder Hilfskoch Ali bei McDonalds. Jetzt ist er für RTL im Einsatz und sein Stil revolutioniert das Image des Trash-Senders.

Positives Echos

Ermutigt vom positiven Echo auf die Reihe „Team Wallraff – Reporter Undercover“, startet RTL mit „Undercover Deutschland“ in der zweiten Jahreshälfte eine weitere Reportagereihe, wieder investigativ, wieder inkognito. Dabei gehe es um gesellschaftliche Tabuthemen wie sexueller Missbrauch oder Pädophilie, heißt es in Köln.

Es klingt wie ein Scherz, dass ausgerechnet ein 71-Jähriger zum Aushängeschild eines Senders wurde, der traumhafte Renditen erwirtschaftet, der aber in dem Ruf steht, dass er sein Programm inzwischen zu 24 Prozent mit billig produzierten Pseudo-Dokus zupflastert.

Und doch ist es wahr. Vor einem Jahr angetreten, hat sich der neue RTL-Programmchef Frank Hoffmann tatsächlich vorgenommen, das „journalistische Profil“ des Senders zu schärfen. Nach einem Neuanfang klang das nicht. Denn natürlich versteht man bei RTL etwas anderes unter Journalismus als im gebührenfinanzierten Fernsehen, bei der ARD oder im ZDF.

„Wir sind beides. Die große Show ebenso wie guter und auch investigativer Journalismus. Unterhaltung und Information“, sagt Jan Rasmus, Leiter der Redaktion, der die neuen Undercover-Formate verantwortet. „Dieser Mix ist kein Widerspruch, sondern Kern des Erfolgs von RTL.“

4,4 Millionen Zuschauer schalteten die vorletzte Folge von „Team Wallraff“ ein, die vom Alltag in deutschen Pflegeheimen erzählte. Etwas weniger waren es am vergangenen Montag, als sich jüngere Kollegen aus dem Team Wallraff als Sicherheitsordner in Zelte auf dem Münchener Oktoberfest einschmuggelten, um zu zeigen, wohin es führen kann, wenn eine Branche Ordner für einen Stundenlohn von 8,10 Euro einstellt.

Doch auch mit dieser Sendung konnte RTL vor allem bei der für die Werbewirtschaft relevanten Zielgruppe der 14- bis 59-Jährigen punkten. Der Balanceakt zwischen Handwerk und Unterhaltung, zwischen solider Recherche und spannender Bildsprache, er funktionierte. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen verfolgt das mit Argwohn.

Im Interview mit der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ versuchte ZDF-Chefredakteur Peter Frey den Erfolg herunterzuspielen. „Besonders originell sind Themenauswahl und Erkenntnisse nicht.“

Und tatsächlich kann man ja darüber streiten, ob diese Undercover-Reportagen ein realistisches Bild vom Journalismus entwerfen. Dass es dem Sender aber gelungen ist, seinen jungen Zuschauern eine Vorstellung davon zu vermitteln, was Journalismus leisten kann, das darf nicht unterschätzt werden.

Junge Generation erreichen

Doch wie vereinbart es so einer mit seinem Gewissen, dass seine Arbeit mit Geld aus der Werbung für Konzerne finanziert wird, deren Methoden er an den Pranger stellt?

Günter Wallraff selber sieht darin allerdings keinen Widerspruch. RTL zitiert ihn mit den Worten, am Privatfernsehen reize ihn die Chance, endlich das Publikum zu bekommen, das er mit ARD und ZDF nicht mehr erreiche: die Generation seiner Enkel.

 
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