Jetzt fängt es auch noch an zu regnen. Wie damals, vor 18 Jahren, bei meiner Fahrprüfung. An einer Ampel in der Niederwerrner Straße bin ich beim Anbremsen ins Schlingern gekommen, hab' deshalb wieder Gas gegeben und bin bei Dunkelgelb durchgebrettert. Das war's dann wohl, dachte ich. War's nicht. „Genau richtig reagiert, Fahrzeugbeherrschung gezeigt“, urteilte der Prüfer und händigte mir die Fahrerlaubnis aus – 1a, wie das heißt, für Krafträder mit einer Nennleistung von nicht mehr als 20 Kilowatt.
Von Fahrzeugbeherrschung kann heute keine Rede mehr sein. Eher umgekehrt: Die Maschine beherrscht mich. Und flößt Respekt ein. Ich bin eigentlich nie richtig Motorrad gefahren, ein bisschen Roller nur und gelegentlich gemütlich mit einem Spielzeug-Chopper übers Land. Jetzt bin ich Mitte vierzig und träume – ich geb's zu – wie viele Männer meines Alters ein bisschen von der großen Freiheit auf zwei Rädern. Die fängt klein an auf diesem Übungsplatz in Bergrheinfeld, zwischen orangen Hütchen und unter den strengen Blicken eines Fahrlehrers.
Der Bergrheinfelder Matthäus Eckert ist der Motorrad-Papst hierzulande. Vielfacher Deutscher Motorrad-Turnier-Meister, angesehener Sicherheitstrainer und – ein Schleifer. Er lobt wenig, kritisiert viel, auch Details, denn: „Es geht hier um deine kalkulierbare Lebenserwartung.“ Stimmt. Auch wenn die Honda CBF 500 zwischen meinen Schenkeln auf 34 PS gedrosselt ist, könnte ich mich mit ihr in Sekundenbruchteilen ins Krankenhaus fahren. Oder auf den Friedhof. Weil ich in der Kurve mit dem Gas spiele. Weil ich vorne statt hinten bremse. Weil ich mich im Straßenverkehr unsicher bewege, voll konzentriert auf die Maschine, statt auf die Autos, Radfahrer, Fußgänger um mich herum.
Deshalb jetzt das Fahrtraining auf dem Übungsplatz, das Matthäus Eckert jedem Wiedereinsteiger dringend empfiehlt: „Autofahren verlernt man nicht. Aber beim Motorradfahren fängt man nach zehn, fünfzehn Jahren im Prinzip wieder von vorne an.“
Matthäus Eckert, motorradfahrender Fahrlehrer
Stimmt. Im Zweifelsfall muss man sich sogar den Anlasser zeigen lassen. Und den Blinker suchen. Und das mit dem Schalten – na ja, klappt auch mehr schlecht als recht. Ich bin jedenfalls erst mal froh, als der nur anderthalb Kilometer von der Fahrschule entfernte Übungsplatz erreicht ist. Ein halbwegs sicheres Umfeld. Wir üben Kurvenfahren: bremsen, runterschalten, Kupplung schleifen lassen, Maschine herumziehen. Das muss von außen ziemlich unbeholfen wirken. Aber es wird von Mal zu Mal besser.
Der wertvollste Tipp des Meisters: „Kopf drehen und dorthin schauen, wo du auch hin willst.“ Wer nämlich „auf den Boden schaut, der landet auch schnell dort“, sagt Matthäus Eckert. Der einfache Merksatz hilft. Die Maschine wendet sich fast wie von selbst, ich werde mutiger. Doch aus Mut wird schnell Übermut. Statt mit schleifender Kupplung fahre ich bald mit mehr Gas um die Kurve – und verliere prompt die Spur. Auf der Straße wäre ich jetzt bestenfalls im Bankett gelandet. Schlechtestenfalls auf einem am Seitenstreifen parkenden Auto. Oder auf dem Fußweg, wo gerade Mutter und Kind spazieren. Ich möchte lieber nicht daran denken.
Eckert hat derzeit viele Wieder- oder Späteinsteiger unter der Fuchtel. Männer, auch Frauen, die Karriere gemacht haben und auf der Suche nach dem Freizeit-Kick sind. Fünf Stunden auf dem Übungsplatz hält er für ein absolutes Muss, alleine mit dem Bremsen könne man drei Stunden verbringen. Das alles diene der Sicherheit, die steigt, wenn Bewegungsabläufe zur Routine werden, auch in brenzligen Situationen.
Der Fahrlehrer erlebt, wie 50-, 60-jährige Akademiker („...da erwartet man doch, dass die etwas im Hirn haben!“) bei der ersten Ausfahrt Gas geben, Grenzen austesten wollen, unkalkulierbare Risiken eingehen. „Wie 16-jährige Halbstarke“ wären manche unterwegs, dabei bekäme keiner seiner Fahrschüler das Wort „schneller“ von ihm zu hören. „Ich sage immer nur: langsam, langsam, langsam.“ Er sagt das auch mir – beim engen Hütchenslalom, der in Schrittgeschwindigkeit durchfahren werden soll, ohne Gas, die Kupplung am Schleifpunkt. Und mit gegenläufiger Sitzhaltung, einer Eckert-Spezialität, „um dem Kipp-Punkt entgegenzuwirken“.
Der weiter gesteckte Slalom liegt mir mehr. Und hier fordert Eckert mehr Tempo. Im zweiten Gang, mit mindestens 35 Sachen muss dieser Parcours in der Prüfung durchfahren werden, mit ordentlich Seitenlage, im stabilen Rhythmus. Die letzten beiden Hütchen sind fieserweise enger gestellt – das macht die Angelegenheit hinten raus schwieriger. Tipps vom Meister: „Slalom einleiten mit gegenläufigem Lenkimpuls, Blickführung zwei Hütchen voraus.“ Und: „Auf die Fußraste gehören die Ballen, nicht die Sohle. So erhält der Körper die entsprechende Spannung, und man sitzt besser in der Maschine.“ Wohlgemerkt: „in“, nicht „auf“.
Mit diesen Empfehlungen klappt der Slalom gut. Annähernd Prüfungsniveau, schon in der ersten Auffrischungsstunde. Übrigens auch im Kreis, der bei der Abnahme dreimal in jede Fahrtrichtung durchfahren werden muss. „Stützgas“ lautet hier das Stichwort. Schnell genug, um nicht nach innen zu kippen. Langsam genug, um nicht auszubrechen. Im zweiten Gang kreiselt es sich nach ein paar Versuchen ganz kommod, auch hier immer mit dem Blick weit nach vorne gerichtet, in die Kurve hinein, um dem Körper die Richtung vorzugeben. Und: „Zunge in Linkskurven immer schön links aus dem Mund hängen lassen – das steigert die Konzentration.“ Blöder Scherz, Meister Eckert. Die bleibt jetzt drin.
Holger Laschka (45), Motorrad-Reüssierer
Der Bergrheinfelder Fahrlehrer ist – oh Wunder – zufrieden. Das Gefühl von Sicherheit ist auf dem Übungsplatz nach einer Stunde wieder da; trotz Regens, der zwar das Fahrvergnügen schmälert, sonst aber nicht beeinträchtigt. „Die Maschinen sind heutzutage viel besser im Handling“, sagt Eckert. Mit den aktuellen Reifenmischungen ist der Grip stark verbessert. Die Bremsen bringen auch bei Nässe gute Leistungen. Die Fahrwerke sind spurstabiler geworden, die Motorräder insgesamt verwindungssteifer. Und dann gibt es moderne Sicherheitstechnik oft auch schon serienmäßig – wie das Antiblockiersystem ABS. Das testen wir jetzt: Beschleunigung auf dem Übungsplatz, zweiter, dritter Gang. Die Maschine bringt es schnell auf 50, 60 Sachen – mehr ist innerorts nicht erlaubt –, dann Vollbremsung mit dem Fuß. Man spürt das Lösen und erneute Anziehen der Bremse kurz vor der Blockade. Das Motorrad bleibt der Spur treu, steht wenig später wie eine Eins. Die Technik ersetzt nicht fahrerisches Können. Aber sie unterstützt in Extremsituationen.
Rückfahrt zur Fahrschule. Keine Herausforderung eigentlich. Zwei Kreuzungen im Wohngebiet und die Einfahrt über eine Fahrspur in die Hauptstraße. Rechts vor links beachten, Blinker setzen, Lücke abwarten, mit schleifender Kupplung um die Kurve, Blinker wieder raus (Matthäus Eckert muss mir das über Funk sagen, ich hätte es glatt vergessen). Im Verkehr mitrollen, dann rechts in den Fahrschulhof. Ich habe leicht schweißnasse Hände, schon nach der kurzen Strecke „im richtigen Leben“. Nein, ohne zusätzliche Übungsstunden auf dem Platz würde ich mir die Teilnahme am normalen Straßenverkehr nicht zutrauen.
„Machen aber viele so“, sagt der Fahrlehrer. Die Mid-Ager kaufen ein Motorrad, meist mit richtig viel PS, verzichten auf die Auffrischung, fahren am liebsten gleich die große Tour, mit Hochgebirgs-Passstraßen und allem Pipapo. Dabei schleifen sich Fehler im Fahrverhalten ein, die irgendwann lebensgefährlich sein können. Schon das Auftreten im Straßenverkehr, der „gewisse Slang“ (Eckert), der sich beim Autofahren eingeschliffen hat, wird fälschlicherweise aufs Motorradfahren übertragen. Die Signale an andere Verkehrsteilnehmer sind nicht deutlich genug. Das filigranere Erscheinungsbild wird – etwa beim Spurwechsel – nicht bedacht. Und dann das trügerische Gefühl der Sicherheit, weil man schon seit langem unfallfrei unterwegs war. „Auch wenn einer schon 20 Jahre mit dem Auto unterwegs war, ist das immer noch sein erster Tag auf dem Motorrad“, sagt Eckert. „Das wird oft vergessen.“
Helme ab, nicht zum Gebet, sondern zur Manöverkritik. „Potenzial ist da“, stellt Eckert das Lob voran. „Aber wir brauchen noch Übungsstunden, um den Stand der Ausbildung wieder herzustellen und Neues zu vermitteln.“ Das ist auch mein Gefühl.
Fahrkenntnisse auffrischen
Die Unfallstatistik beweist: „Nicht die vermeintlich jungen Raser bildeten 2011 die größte Gruppe der verunglückten Motorradfahrer, sondern die Erwachsenen im Alter zwischen 45 und 54 Jahren.“ Mit dieser nur auf den ersten Blick überraschenden Information ging das Polizeipräsidium Unterfranken zum Auftakt der Motorradsaison an die Öffentlichkeit. Neun von 18 Getöteten Bikern waren demnach Fahrzeugführer mittleren Alters, die ihre Fahrerlaubnis erst in späteren Jahren erlangt haben oder bereits sehr lange im Besitz derselben sind, jedoch oft Jahrzehnte kein Motorrad mehr gefahren sind. Erst- oder Wiedereinsteiger also, die dabei häufig auch selbst Unfallverursacher waren, wegen zu hoher Geschwindigkeit, Abkommens von der Fahrbahn oder Fehlern beim Überholen. Die Polizei empfiehlt deshalb Übungsstunden zur Auffrischung der Fahrkenntnisse oder zumindest die Teilnahme an den Fahrsicherheitstrainings der Verkehrswacht (in Würzburg etwa am 21. April von 10 bis 15 Uhr in der II. Bereitschaftspolizeiabteilung, Sedanstraße). Eine Stunde in der Fahrschule kostet zwischen 35 und 40 Euro, kann bei eigenem Motorrad eventuell auch günstiger sein. Wer sein fahrerisches Können so verbessert und zu einer realistischen Selbsteinschätzung gelangt, ist in der Motorradsaison sicherer unterwegs. Was auch nicht schaden kann: der Besuch eines Motorradgottesdiensts. Zum Beispiel an diesem Sonntag, 15. April, 14.30 Uhr, in Gochsheim am Plan. Oder in der Schweinfurter Pfarrei Sankt Michael, traditionell am ersten Sonntag des Monats Mai, heuer also am 6. Mai, um 10 Uhr. Das Motto heuer: „Freie Sicht auf das Ganze.“