Was zunächst wie eine Weihnachtsgeschichte klingt, endete jetzt drei Jahre später in Würzburg vor Gericht: Anna (42) hat im tschechischen Winter weder Arbeit noch ein Dach über dem Kopf. In einer Wärmestube für Obdachlose in Prag bietet ihr ein Unbekannter namens „Peter“ Arbeit in Würzburg und eine Unterkunft an. Anna, die seit zwei Monaten auf der Straße lebt, greift nach dem Strohhalm – und steckt bald tiefer im Elend als zuvor.
Drei Winter später wirkt Anna, als habe sie jeden Lebenswillen verloren. Müde schlurft sie zwischen zwei Polizisten in den Würzburger Gerichtssaal. Dort sinkt sie, im übergroßen Parka und Trainingshosen, auf die Anklagebank. Der 42-Jährigen wird vorgeworfen, sie habe zwei Elektronikmärkte um 4500 Euro betrogen. Dass Anna ein Werkzeug Krimineller war, wird schnell deutlich.
Jener „Peter“ scheint ihr einen Weg aus der Hoffnungslosigkeit zu weisen: Ob sie in Deutschland arbeiten will, für 200 Euro pro Monat? Anna spricht kein Deutsch, kennt das Land und seine Löhne nicht. Anna ist einfache Näherin aus der Slowakei. Der Mann verließ sie vor 17 Jahren, nach dem dritten Kind. Als die heimische Möbelfabrik keine Arbeit mehr hat, lässt sie die Kinder bei Verwandten und heuert in einer Großmarktkette in Prag an. Der Betrieb stellt ihr eine Unterkunft. Doch nach ein paar Monaten reduziert der Konzern Personal. Anna wird aus Job und Wohnung geworfen. Zwei Monate sitzt sie auf der Straße – mitten im Winter. Dann kommt „Peter“. „Damals hätte ich jede Arbeit angenommen“, sagt Anna heute.
„Peter“ bringt sie zu Maria (Name geändert) in ein Anwesen bei Würzburg. Anna schläft auf einer Matratze, darf mitessen. Mit dem Job werde es nichts, erfährt sie. Man suche etwas Neues. Irgendwann soll Anna Meldepapiere unterschreiben, die sie nicht versteht. „Sie verschaffte sich Scheinadressen“, so Staatsanwalt Peter Weiß im Prozess. Nun lotst Maria sie in eine Bank, dann in eine zweite, um Konten zu eröffnen – angeblich für den Job. Anna muss wieder Formulare unterschreiben. Zwei Banker überreichen Bankkarten – obwohl ihnen die ärmlich angezogene Frau verdächtig vorkommen könnte, die nicht Deutsch spricht und von ihrer Bekannten die Hand geführt bekommt.
Dann wird Beute gemacht. In einem Elektronikmarkt in Würzburg kauft Anna – noch immer arbeitslos und ohne Geld – in Begleitung von Maria, die alles regelt, auf Pump einen Fernseher für 1800 Euro, einen Kaffeeautomaten für 2100, schließlich einen Laptop für 500 Euro. Die Kundin hat ja einen festen Wohnsitz und eine gültige Bankkarte. „Die Bankkarten dienten nur dazu, die Verkäufer zu täuschen“, sagt ein Polizist. „Die Sicherheitsmaßnahmen waren ein Witz“, wundert sich Annas Verteidiger Christian Mulzer. „Keiner hat Verdacht geschöpft, obwohl sie erkennbar unter Kontrolle stand, ziemlich heruntergekommen wirkte und kein Wort Deutsch sprach.“
Anna sagt später, sie habe Verdacht geschöpft, dass bei den Käufen nicht alles mit rechten Dingen zuging. Aber hätte sie da noch aufhören können? „Ich habe nicht gewusst, wie ich nach Prag zurückkomme“, antwortet sie auf Frage der Richterin.
Eines Tages fragt eine Verkäuferin genauer nach. Die zwei Frauen flüchten. Anna ist jetzt zum Risiko geworden. Maria drückt ihr 20 Euro in die Hand und setzt sie in den Bus nach Hause. Doch die Elektronikmärkte erstatten Anzeige. Bei den Banken finden Ermittler Kopien von Annas Ausweis. Weil sich die Adressen als falsch herausstellen, wird sie mit internationalem Haftbefehl gesucht.
Drei Jahre später hat Anna die Episode schon vergessen. Ihr Leben scheint sich zum Guten zu wenden. Anna liebt einen Mann, der in Italien Arbeit hat. Er will ihr dort auch welche besorgen. Dabei werden ihre Papiere geprüft – und plötzlich klicken im September 2013 die Handschellen. Anna wird nach Würzburg ausgeliefert, kurz vor Weihnachten beginnt ihr Prozess. Das Gericht attestiert ihr, dass ihre Notlage ausgenutzt wurde. Statt wegen bandenmäßigen wird sie nur wegen gewerbsmäßigen Betrugs verurteilt. Andert-halb Jahre Haft zur Bewährung erscheinen dem Gericht abschreckend genug. Nach drei Monaten Untersuchungshaft kommt Anna frei.
Natürlich durchsuchte die Polizei auch die Wohnung von Maria und ihrem Mann. Gefunden wurde dort nichts. „Ich gehe davon aus, dass er die Waren verschoben hat“, sagt ein Ermittler. Vom Anwerber „Peter“ gibt es nur eine vage Beschreibung. Derweil weiß die Polizei von weiteren „zehn bis zwölf“ Arbeits- und Obdachlosen, die von Kontaktleuten in Prag angesprochen wurden. Gut möglich, dass bald noch mehr „Annas“ in Würzburg vor Gericht stehen.