Hans Steidle, der Stadtheimatpfleger, hat ein Buch über Deutsche geschrieben, an die man sich, sagt er, „nicht gerne erinnert“. Titel: „Neckermann & Co. – Die Ausplünderung der Würzburger Juden im Dritten Reich“.
Steidle berichtet über die Entwicklung der wirtschaftlich begründeten Judenfeindlichkeit in Würzburg; er findet sie bereits im Mittelalter. Er schildert, wie im 19. Jahrhundert religiöse Judenfeindlichkeit in rassistischen Antisemitismus überging und wie die Nationalsozialisten ihre Ideologie daraus strickten.
Was er über die Jahre 1933 bis 1945 zutage förderte, das, so berichtet er, habe ihn „so erschreckt“, dass er den Begriff „Massenraubmord“ übernahm, den der Historiker Götz Aly, Autor von „Hitlers Volksstaat. Raub, Rassenkrieg und nationaler Sozialismus“, geprägt hat.
Im Haus der katholischen Studentenverbindung Gothia stellte Steidle sein Buch vor. Er beschrieb er, wie Staat, Stadt, Unternehmer und Nazi-Mitläufer die Juden ausplünderten, nach einer „erschreckenden inneren Logik und Dynamik“: Erst Berufsverbote und Geschäftsboykotte, dann „koordinierte Geschäftsschädigungen und Verdrängungsaktionen“, gefolgt von „offenen gesetzlichen Enteignungen“, von der „Beraubung von wesentlichen Lebensmitteln“ bis hin zur „generellen Zwangsenteignung von Hausrat, mobilem und persönlichem Besitz“.
Steidle schilderte, wie die Juden ihre Deportation in die Konzentrationslager selbst bezahlen mussten, er erboste sich über den „staatlichen Diebstahl der letzten Habseligkeiten“. Im Vernichtungslager schließlich seien sie „auf ihre ökonomische Verwertbarkeit reduziert“ worden, durch Zwangsarbeit und, nach dem Tod, durch die Verwertung von Haaren, Goldzähnen, Haut und Körperfett.
Für die nichtjüdischen Deutschen sei das „alles Ordnung“ gewesen, weil der NS-Staat den Plünderungen einen rechtmäßigen Anschein gegeben habe. Diese „Rechtsförmigkeit“ habe die Entsolidarisierung mit den Juden mitbedingt.
In seinem Buch stellt Steidle die „Arisierung“ des Eigentums von Juden am Beispiel Würzburger Unternehmer vor, unter anderem an den Kaufleuten Siegfried Ruschkewitz und Josef Neckermann. Er zeigt, wie Nazis und Konkurrenten den jüdischen Warenhausbetreiber Ruschkewitz attackierten, destabilisierten und entrechteten, bis Neckermann, später Olympiasieger im Dressurreiten und Sporthilfe-Vorsitzender, zuschlug, Ruschkewitz' Kaufhaus weit unter Preis erwarb und sein Versandhandelsimperium („Neckermann macht's möglich“) darauf aufbaute.
Steidle veröffentlicht eine Fülle von Fakten und Dokumenten. Ausgesprochen widerwärtige sind darunter, etwa kriecherische Briefe an die Gestapo, geschrieben von Bürgern, die darum betteln, auch an der Ausplünderung ihrer jüdischen Nachbarn teilhaben zu dürfen.
Steidle sagt, die Arbeit an diesem Buch habe keinen Spaß gemacht. „Wenn man sich länger beschäftigt mit dem Ausmaß an Gemeinheit, möchte man den Glauben an die Menschheit verlieren.“ Er nennt sein Buch „wichtig“. Wenn man es lese, sei man froh, in einer Demokratie zu leben.
Das Buch wäre wirklich wichtig, hätte er beim Schreiben auf sprachliche und erzählerische Sorgfalt geachtet. Satzungetüme, Redundanzen, sinnentstellende Fehler und das ungeordnete Nebeneinander von Wichtigem und Unwichtigem machen die Lektüre passagenweise zur Qual.
Hans Steidle, „Neckermann & Co. – Die Ausplünderung der Würzburger Juden im Dritten Reich“, 246 Seiten, 45 Abbildungen, ist im Echter-Verlag erschienen und kostet 19,90 Euro.