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WÜRZBURG
Napster ist tot – die Idee lebt
Seit elf Jahren ist sie tot. Sie wurde nur zwei Jahre alt. Noch immer wird gerätselt, was mit ihrem Erbe anzufangen ist: Napster, die erste Musiktauschbörse im Internet, hat das Geschäft mit der Musik verändert. Sie machte die oft gescholtene „Gratiskultur“ im Netz zum Massenphänomen.
Von unserem Redaktionsmitglied Nike Bodenbach
 |  aktualisiert: 26.04.2023 18:30 Uhr

Seit elf Jahren ist sie tot. Sie wurde nur zwei Jahre alt. Noch immer wird gerätselt, was mit ihrem Erbe anzufangen ist: Napster, die erste Musiktauschbörse im Internet, hat das Geschäft mit der Musik verändert. Sie machte die oft gescholtene „Gratiskultur“ im Netz zum Massenphänomen. Und zwang die Musikindustrie, neue Wege zur Vermarktung im Internet zu suchen.

Als der Dienst 1999 startete, kaufte man noch CDs im Plattenladen. Musik illegal und kostenlos aus dem Netz auf den eigenen Rechner zu laden, war nur sehr umständlich möglich. Mit Napster, programmiert vom damals 19-jährigen Amerikaner Shawn Fanning, konnten die Nutzer plötzlich direkt auf die Festplatten der Computer anderer Nutzer weltweit zugreifen. Es genügte, einen Künstlernamen oder einen Musiktitel in die Suchmaske der Software einzugeben, schon erschien eine Auswahl an MP3s – bereit zum Herunterladen, vollkommen kostenlos. Gleichzeitig bot man den anderen Nutzern die eigenen Dateien an. Das Prinzip nennt man „Filesharing“ (englisch für „Dateien teilen“).

Die Nutzerzahl von Napster stieg sofort rasant an, verdoppelte sich alle fünf bis sechs Wochen. Damit wuchs auch die Auswahl an Musiktiteln ins Unermessliche. Nicht nur aktuelle Hits, auch Raritäten landeten binnen Minuten auf dem eigenen Rechner. Der Autor Janko Röttgers beschrieb die Erfahrung von Musikfans, die zum ersten Mal Napster benutzten, in seinem Buch „Mix, Burn and R.I.P.“ wie einen Rausch: „Stundenlang wurde alles heruntergeladen, was einem gerade einfiel. Megabyte für Megabyte wanderte auf die heimische Festplatte.“

Die größte Zahl an Nutzern erreichte Napster Anfang 2001: 80 Millionen Menschen waren weltweit registriert, ständig waren 1,6 Millionen online. Zum Vergleich: Laut der Webseite www.evolutionoftheweb.com gab es Anfang 2001 weltweit knapp 500 Millionen Internetnutzer – also hatten etwa 16 Prozent davon ein Napster-Konto. Allein im Januar 2001 wurden laut der früheren Online-Forschungsfirma Webnoize zwei Milliarden Songs über Napster heruntergeladen.

Dass sich Millionen Nutzer ihre Musik aus dem Netz zogen, blieb der Musikindustrie nicht verborgen. Die Plattenbosse verfolgten den Aufstieg von Napster und machten die Tauschbörse für sinkende Umsatzzahlen verantwortlich. Nur wenige Monate nach dem Start bereitete der US-Musikverband RIAA (Recording Industry Association of America) eine Klage gegen Napster vor.

Und die Plattenbosse hatten etwas gegen den Pionier des Filesharing in der Hand: Napster verarbeitete die Anfragen der Nutzer über einen zentralen Server, der als eine Art Verzeichnis aller verfügbaren MP3-Dateien diente. Ohne den Server hätte das System nicht funktioniert – und damit hatte die Justiz einen Angriffspunkt. Wegen Beihilfe zu Urheberrechtsverletzungen verurteilte ein US-Gericht Napster schließlich nach einem fast zweijährigen Rechtsstreit. Die Tauschbörse durfte keine urheberrechtlich geschützte Musik mehr vermitteln und stellte ihren Service im Juli 2001 ein. Zuvor hatte sich Bertelsmann in einem spektakulären Coup in die Firma eingekauft, wollte Napster in einen legalen Abo-Dienst verwandeln. Die Idee scheiterte aber, weil Plattenfirmen klagten. Napster ging pleite.

Doch für die Musikindustrie war das Filesharing-Gespenst damit nicht vertrieben. Etliche Projekte und Firmen folgten dem Napster-Beispiel, boten Netzwerke ohne den zentralen Server, der Napster im Rechtsstreit zum Verhängnis geworden war. Allein die deutsche Musikindustrie musste von 2002 bis 2011 im Musikverkauf einen Umsatzrückgang um 718 Millionen auf gut 1,4 Milliarden Euro hinnehmen.

„Der Musikindustrie ginge es heute besser, wenn sie mit Napster zusammengearbeitet hätte, anstatt es zu bekämpfen“, sagte der Chef des britischen Musikverbandes BPI (British Recorded Music Industry) Geoff Taylor 2009 der BBC. Filesharing war nach Napster nicht mehr totzukriegen, die Branche hatte den Weg ins Netz verschlafen. Der Bundesverband Musikindustrie rechnet auf seiner Webseite vor: „Während bis 1998 noch mehr als die Hälfte der Menschen Musik gekauft hatte, gaben 2011 rund 61 Prozent der Bevölkerung kein Geld für Musik aus.“ Dabei gäben 84 Prozent an, dass ihnen Musik wichtig oder sehr wichtig sei.“

Wohin die Reise gehen wird, ist noch unklar. Online-Musikportale, allen voran Apples iTunes-Store als Platzhirsch, machen steigende Umsätze. Jedes Jahr stellen die MP3-Verkäufe einen größeren Anteil am Umsatz der Branche. Auch Napster ist wieder da, als Abo-Dienst. Nutzer können einzelne Titel kaufen oder gegen eine Monatspauschale Musik unbegrenzt per Flatrate laden. Mit dem ursprünglichen Napster hat der Dienst aber nichts mehr zu tun, genauso wenig wie einige andere Experimente unter dem bekannten Markennamen. Auch sogenannte Online-Streamingdienste wie Spotify oder Simfy, bei denen man die Musikdateien nicht besitzt, sondern nur anhören kann, gewinnen Marktanteile. Rob Wells, Chef des Digitalgeschäfts bei der Universal Music Group, sieht eine Zeitenwende: „Wir haben im letzten Jahrzehnt nur an der Oberfläche des digitalen Musikgeschäfts gekratzt – jetzt schürfen wir tiefer, weltweit.“

 
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