Wer ihm nicht auf die Hände schaut, der merkt zunächst gar nichts. Dies soll Michael Pietrowiec sein, das Opfer, dessen Haut zu 34 Prozent dritten Grades verbrannte, als sich am 23. Juli in seiner Werkstatt eine Explosion ereignete – so stark, dass sogar eine Panzerglasscheibe zerbarst? Nun: er hatte vorher längere Haare, sagt er. Und zeigt seine Hände in Kompressionshandschuhen. Die sollen das ganze Narbengebilde während des Heilungsprozesses halten, damit es nicht zu Wucherungen kommt. Zieht er die Handschuhe aus, zeigt sich ein Netz rötlicher Narben.
Pietrowiec trägt auch eine Kompressionsjacke, 23,5 Stunden am Tag, das ist für ein Jahr lang ein Muss. Zu sehr hatte seine Haut gelitten, müssen sich Hautverpflanzungen anpassen. „Die Nerven wachsen jetzt wieder ins Gewebe ein“, sagt er. Deshalb reagiere er etwas empfindlich auf starken Druck.
Aber von Schmerzen redet er nicht. Die gesamten Hände, auch die Finger, wurden mit Haut aus seinem eigenen Oberschenkel versorgt. Die Arme waren bis zu den Ellenbogen verbrannt. Gesunde Haut wurde ihm auch an Bauch und Brustkorb verpflanzt, aus Ober- und Unterschenkeln.
Er ist es also wirklich. Pietrowiec arbeitet wieder in seiner Werkstatt, die seine Freunde neu aufgebaut haben. Einer davon ist der Finanzbeamte Stefan Wunderlich, der sagt: „Wir hatten zwischendurch Angst, er würde sich komplett verabschieden. Jetzt steht er wieder in seiner Werkstatt und hat auch seinen Humor wieder. Wir sind sehr glücklich.“
Pietrowiecs 14-jähriger Sohn Michel hilft seinem Vater bei der Arbeit. Michel hatte nach dem Unfall sofort einen Notruf abgesetzt und dafür gesorgt, dass sich sein Vater nicht duscht, obwohl der das vorhatte. Der Goldschmied hatte im Schock die schwarzen Lappen am Körper gesehen und dachte, sein T-Shirt sei in Fetzen. Es war seine Haut.
Wie die Kripo inzwischen ermittelt hat, ereignete sich der Unfall in Pietrowiecs Werkstatt beim Arbeiten mit einem Bandschleifer. Der Goldschmiedemeister und Restaurator hatte an einem Buchenholzbalken geschliffen und offenbar einen Nagel nicht bemerkt, der durch die extreme Reibung glühend heiß wurde und mit dem gesamten Schleifstaub eine Verpuffung verursachte. Im Nachhinein erinnert sich Pietrowiec: „Es war ein Zischen, wie wenn eine Zündschnur brennt.“ Er habe noch einen Feuerball gesehen. Sein Haar habe gebrannt, deshalb griff er sofort nach einem Handtuch und erstickte damit die Flammen auf seinem Kopf. In seiner Erinnerung sieht er seinen Sohn, der ihn die Treppen hoch führt. Hinter ihnen löscht Michels Mutter mit Wasser aus der Regentonne Eimer für Eimer, bis Notarzt, Feuerwehr und Polizei zur Stelle sind.
Der Schock hatte den Goldschmied in Trance versetzt. Er freute sich noch, „endlich mal Hubschrauber fliegen zu dürfen“, berichtet er. Der Hubschrauber flog in das Brandverletztenzentrum des Klinikums Offenbach, eine Spezialklinik. Von der Spritze, die er während dieses Fluges bekam, spürte er nur einen kleinen Pieks. Dann befand er sich sechs Wochen im künstlichen Koma, weil er sonst die Schmerzen nicht ausgehalten hätte, hätten ihn die Ärzte später wissen lassen.
Ich feiere dreimal im Jahr Geburtstag, lächelt der heute 47-Jährige. Das sei sein üblicher Ende Oktober. Und zwei weitere im Sommer. Zweimal sei er klinisch schon tot gewesen. Jedes Mal konnten ihn die Ärzte wiederbeleben.
In Offenbach wurde sofort operiert, abgestorbenes Gewebe entfernt, Haut verpflanzt. Der Patient übergab sich bei der OP und atmete Magensäure ein, bekam Atemnot, und dann versagte seine Lunge. Man brachte ihn in eine Marburger Klinik, wo er ohne Lungentätigkeit künstlich beatmet werden konnte. Dann kam es zu venöser Thrombenbildung: Gefäßverschluss. Als hätte er 1000 Schutzengel, fanden die Ärzte immer wieder die richtigen Medikamente und Methoden, Pietrowiec ins Leben zurückzuholen.
Als er sich das erste Mal nach der Explosion im Spiegel betrachtete, sah er einen aufgeschwemmten Körper mit Glatze: Ich hab' ausgesehen wie ein Michelin-Männchen!“ Aber er war „gottsfroh“, dass sein Gesicht von dem Feuer verschont geblieben war. Heute vertraut er auf das, was Ärzte ihm gesagt haben: Ein paar Narben werden sichtbar bleiben, der Rest wird aussehen wie Pigmentflecken. Doch in einem hatten sie nicht Recht: dass Pietrowiec bis März an den Rollstuhl gebunden sein würde.
Sein Sohn und sein Sport, nicht nur Fitness, sondern auch NinJutsu, das neben Kampfkunst auch Geduld, Ausdauer und Selbstdisziplin lehrt, hätten ihn durchhalten lassen, erläutert er – und seine Freunde. Sie haben nicht nur Bauarbeiten verrichtet, sondern haben den Schriftverkehr übernommen (die meisten Unterlagen waren verbrannt) und ihn bei ihren Besuchen im Krankenhaus aufgerichtet, „ein Rund-um-Sorglospaket“, sagt der Goldschmied dankbar. „Jetzt starten wir wieder durch“, lächelt er seinem Sohn zu. Mit zittrigen Händen, weil noch etwas kraftlos, macht er sich an die Arbeit an antiken Möbelbeschlägen.