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KREUZBERG
Nach alter Väter Sitte karten
Schafkopf-Runde: Wie sich auf dem Kreuzberg vier Mannsbilder aus allen Ecken Unterfrankens zusammenraufen.
Schafkopfer: Werner, Otto, Gerd und Christian – von oben betrachtet – beim Zocken in der Gemündener Hütte. Wie die Herren aussehen – siehe unten.
Foto: Alois Wohlfahrt | Schafkopfer: Werner, Otto, Gerd und Christian – von oben betrachtet – beim Zocken in der Gemündener Hütte. Wie die Herren aussehen – siehe unten.
Norbert Hohler
Norbert Hohler
 |  aktualisiert: 26.04.2023 22:04 Uhr

Was macht Franken aus, was ist typisch für unsere Heimat? Ein spontaner Gedanke: Würzburg und die Residenz. Oder Main und Wein, Bratwurst und Blaue Zipfel, Spessart und Rhön, vieles mehr.

Oder was ist mit dem Franken an sich, der von Auswärtigen gelegentlich als leicht ruppig empfunden wird, Marke „harte Schale, weicher Kern“. Dass er spritzig und charmant sein kann, will entdeckt werden. Teil seiner Persönlichkeit ist in vielen Fällen ein urwüchsiger Dialekt, der sich schon von einem Ort zum anderen unterscheidet, erst recht aber in den verschiedenen Regionen.

Wie also mag es klingen, wenn sich auf Einladung dieser Zeitung vier gestandene Mannsbilder aus dem Spessart, der Rhön, dem Ochsenfurter Gau und den Haßbergen zu einer zünftigen Schafkopf-Runde treffen? Wie werden Regeln festgelegt, wer spielt wie, wer ist streitlustig, wer kann nicht verlieren? Und über was wird nebenbei debattiert? Wer ist Wortführer beim Politisieren, wer kann am besten Witze erzählen?

  • Das Blog vom "Treffen der Franken" am Kreuzberg mit Bildern und Videos

Die Ursprungsidee lautete: Wenn wir die vier Kartenspieler gefunden haben, suchen wir genau am Mittelpunkt ihrer Wohnorte eine urige Kneipe für dieses Treffen. In unserem Fall wäre es nach Kützberg (Lkr. Schweinfurt) gegangen, was in der Mitte zwischen Partenstein und Hofheim (West-Ost) sowie Steinach und Ochsenfurt (Nord-Süd) liegt. Aber Kollege Michael Nöth aus der Rhön wies zurecht darauf hin, dass ein magischer Ort unserer Region der Kreuzberg ist. Wo also könnte dieses einmalige Treffen besser stattfinden als am „heiligen Berg“ der Franken – mit Klosterbier und Brotzeit, Besichtigung von Kirche und Grotte sowie einer Wanderung vom Kloster über das neue Gipfelkreuz zur Gemündener Hütte, dem Schauplatz der Schafkopfrunde.

Der Einladung dieser Zeitung gefolgt ist Otto Hofmann (81) aus Ochsenfurt – rot-weiß-blau-kariertes Hemd, graue Kappe – der unbestrittene Star des Abends. Der Schafkopf-„Profi“ (jede Woche drei Runden) ist ein waschechter „Gasdorfer“ (Goßmannsdorfer) – schlagfertig, schlitzohrig, immer hellwach. Er erzählt einen Witz nach dem anderen, keiner zur Wiedergabe an dieser Stelle geeignet. Der Rentner, gelernter Spengler und Installateur, ist Hauswart des Wander- und Kulturvereins Ochsenfurt, hat im Erdgeschoss seiner Wohnung eine Schreinerei. Otto hat drei Kinder und sieben Enkel und mit 66 Jahren zum zweiten Mal geheiratet, „weil da doch das Leben anfängt.“

Aus Hofheim kommen Redakteur Alois Wohlfahrt und Werner Krug (68) – grünes Polohemd, weißer Sommerhut mit Krempe. Er ist der „Aufsprecher“ der Runde – selbstbewusst, angriffslustig, ein Vulkan, der jederzeit ausbrechen kann. Mal Lästermaul, mal Nörgler, weiß alles (besser), ärgert sich über Kart-Fehler. „Ich bin eben grad raus“, sagt Werner, der schon als Bub Schafkopf gespielt hat, zuletzt aber eine feste Runde geschmissen hat „weil es fast nur noch ums Geld ging, nicht um den Spaß.“ Werner ist verheiratet, hat eine erwachsene Tochter, die in der Schweiz lebt. Sein Spitzname ist „Immergrün“, denn er ist seit 38 Jahren Chef des Obst- und Gartenbauvereins. Er ist gefragt als Helfer in Schule oder Kindergarten, weil er jedes Gartengerät hat. Und wer wie er 20 Jahre als Busfahrer auf Fernreisen unterwegs war, dem gehen die Geschichten nie aus.

Gerd Breitenbach (66) aus Partenstein – braunes Hemd seiner Wanderfreunde, mit Namensschild und Wappen – ist der „Gallier“ des Quartetts: Von klein auf als Evangelischer im Spessart von den Erzkatholischen aus Orten wie Frammersbach umringt, das prägt: Eisenbahner, Bahnpolizist, Jäger – Kämpfer eben. „Heute sind diese Probleme vorbei“, sagt Mesner Gerd, der sich „Gelegenheits-Karter“ nennt und prompt für seine Spielweise attackiert wird. Weiß sich aber zu wehren. Gerd ist verheiratet, hat zwei Kinder und eine Enkelin. Sein Begleiter ist Reinhold Scherg, der als begeisterter Filmemacher das Geschehen komplett aufzeichnet.

Christian Zinn (41) aus Steinach – lässiges T-Shirt – hat Heimspiel: Der Kumpel von Redakteur Michael Nöth spendiert Klosterbier in Maßkrügen, weil Halbe „nur was für Touristen“ sind. Dass kein Ramsch gespielt wird, will nicht in seinen Kopf. „Zinnus“ arbeitet für die Streck-Bräu Ostheim, ist Metzgermeister, hat bei der Band „Rhöner Bluat“ getrommelt. Imposante Statur, mit dem Kraftpaket sollte man sich besser nicht anlegen.
 

Dass „Hochzeit“ gespielt wird, nennt er Weiber-Karten. „Dafür würden mich meine Kumpels auslachen.“ „Hochzeit ist Leben“, entgegnet Werner, ist sich mit Otto einig. „Wir karten nach alter Väter Sitte“. Was für eine schräge Debatte, jeder will was anderes: Otto schlägt Solo, Wenz und Hochzeit vor, Werner lehnt Wenz ab („Ordnung muss sein“), Otto verweigert dafür Doppeln. Zinnus fordert vergeblich Ramsch, grummelt vor sich hin, bis ihm zu später Stunde nach Gerds Schell-Solo der Kragen platzt: „Normal gehört jetzt gedoppelt. Bei uns wir ned so gekart“, ruft er über den Tisch. „Ihr seid zu feig zu doppeln und zu faul für Ramsch. So viel kann ich gar ned sauf, dass ich des überleb.“

Werner nölt: Die Karten sind zu glatt, zu neu, „und bei so einem Nachtlicht habe ich noch nie gekart.“ Sogar Kerzen stehen auf dem Tisch, und hätte Otto nicht die kritisierten Karten mitgebracht, die Runde wäre schon vor der ersten Partie schnöde geplatzt. Natürlich spielt auch Dialekt eine Rolle: Die Schell-Ass zum Beispiel heißt mal Schell-Sau (Otto), die Runde (Zinnus) oder Bumbl (Gerd, Werner). Wenn gespritzt wird, wird gedoppelt, wer „geschöbt karten“ soll, soll gefälligst gescheit spielen. „Ihr habt gut gekart, mir worn bloß besser“, sagt Gerd nach einer gewonnenen Partie mit Zinnus.

„Was soll ich mit denne Geschwüre“, hadert Werner mit seinem Blatt. „Ich hab mir noch nie was gegeben, ich Rindviech.“ Otto bietet Hochzeit an – doch die anderen Drei zahlen lieber einen Zehner, als den 81-Jährigen zu „heiraten“. Kollege Michael Nöth lobt: „Otto zieht als Einziger richtig durch.“ Was Werner missfällt. „Der trinkt ja a bloß Wasser. Otto, du kannst stechen“, ruft er über den Tisch. Lässige Antwort des 81-Jährigen: „Was der Otto kann, entscheidet er selber.“

Zinnus hat die Weisheit zum Abend: „Man muss auch mal essen, wenn man keinen Hunger hat. Man muss ja auf sein Gewicht komm.“ Vermutlich deshalb haben wir seit dem Zusammentreffen am Kloster Kreuzberg ordentlich gefuttert: Erst Wiener, Wurstsalat, Brezn, später in der Hütte Leberknödel-Suppe, Schnitzel &Co. Von Beginn an ist die Runde munter, die beiden Rhöner kriegen gleich ihr Fett weg: „Typisch, dass ihr die Letzten seid. Das sind immer die mit der kürzesten Anreise“, werden Zinnus und Michel begrüßt. Und, klar doch, Werner hat längst mit dem Lästern begonnen: „Die Würscht sind ned vom Metzger, die sind aus der Büxn“. Nach der Stärkung am Kloster und der Besichtigung der Klosterkirche kriegen sich Otto und Werner beim Gang zum Gipfel in die Wolle: Sie werden sich nicht einig, was ein Marterli oder ein Bildstock ist. Zwei Originale, zwei Weltanschauungen, ein Rededuell vom Feinsten. Später beim Karten sind die beiden auf der Gewinnerseite: Werner hat 1,20 Euro kassiert, immerhin. Er hätte gern länger als bis 22 Uhr gespielt, aber die Hütte schließt, außerdem wollen Gerd und Reinhold nach Hause, Zinnus und Michel ebenso. Otto hat rund zwei Euro gewonnen, wer wie viel verloren hat, das verschweigen wir.

Als Profi hat Otto ein Ledersäckchen dabei für sein Zockgeld; darin ein Plastik-Döschen samt nassem Schwamm: „Zum Befeuchten der Fingerspitzen!“ Das Säckchen ist Ottos Glücksbringer, er hat es zum 80. bekommen. Neulich hat er seine Schätze gezählt – aus 20 Euro Einsatz sind nach diversen Kart-Runden 110 Euro geworden. Seitdem sind schon wieder „gefühlt“ zehn Euro mehr drin. „Das merke ich am Gewicht.“ Ottos Fazit: „Der Herrgott möge euch öfter so gute Einfälle geben. Das war eine rundum gelungene Sache.“ Obwohl die vier Unterfranken bisweilen „hinterindisch“ gekartet haben, wie Werner gerne mal gefrozzelt hat.

Die Schafkopf-Runde

ONLINE-TIPP

Die Geschichte über die Schafkopfrunde soll Lust machen auf die Serie „Echt fränkisch“, die am Dienstag, 29. Juli, startet. Bilder und Videos von dem Abend sowie vom „Tag der Franken“ in Ochsenfurt (mit Programm und Parkmöglichkeiten): www.mainpost.de/franken-spezial

 
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