„Musik ist ein Weg, sich zu entspannen, sich zu motivieren oder auch seine Aggressionen abzubauen. Sie erhöht die Aufmerksamkeit und kann unsere Leistungsfähigkeit regulieren“, sagt Heike Argstatter vom Deutschen Zentrum für Musiktherapie (DZM) in Heidelberg. Musik ist eine der ältesten Kulturformen der Menschheit. Und: „Musik gilt als eine der höchsten Quellen der Freude“, erklärt Ernest Mas-Herrero vom biomedizinischen Forschungsinstitut IDIBELL in Barcelona. „Musik tröstet, Musik heilt, Musik bringt Freude“, sagen auch Psychotherapeuten der Medizinischen Hochschule Hannover.
Musik spricht eine große Bandbreite von Körperfunktionen an. „Ein wichtiger Schlüssel ist das autonome Nervensystem, jedoch sind auch im Dopaminkreislauf des Belohnungssystems, bei der Muskelaktivität und Körpertemperatur, in den Blutdruckschwankungen während des Tages, im EEG sowie in Stressparametern deutliche Änderungen messbar“, so Vera Brandes, Leiterin des Forschungsprogramms Musik-Medizin der Paracelsus Privatuniversität Salzburg.
Daher wurde in den vergangenen Jahren die heilende Kraft der Musik zur Therapie aller möglichen Beschwerden eingesetzt. Jüngst starteten britische Forscher eine Untersuchung zur Wirkung von Hip-Hop auf Depressionskranke. Ihre These: Hip-Hop ist fröhlich bis aggressiv und gibt den Menschen Selbstwertgefühl und ein Gefühl der Unabhängigkeit, das könnte Depressionskranke möglicherweise aufbauen. Diese These wird gestützt von jüngst veröffentlichten Erkenntnissen von US-Forschern der Northwestern University in Evanston, wonach besonders Bass-lastige Songs Gefühle von Selbstvertrauen, Dominanz und Macht vermitteln.
Weniger Schmerzmittel
Einen anderen Ansatz zur Linderung von Depressionen verfolgen die Mediziner des Orthopädiezentrums Bad Füssing: Starke, vor allem chronische Schmerzen können Depressionen auslösen. In Bad Füssing wird nun erforscht, inwieweit Musiktherapie chronische Schmerzen und damit einhergehende Depressionen lindern und den Schmerzmittelverbrauch senken kann.
Entwickelt wurde das Konzept der Musikmedizin von den Wissenschaftlern der Universität Salzburg. Die speziell komponierten Stücke weisen intensive Klanghöhen und -tiefen aus, sind ein Mix aus Sopran-Frauenstimme, Wellenrauschen und Streichorchester. Statt Tabletten gibt es für die Teilnehmer Kopfhörer und zwei jeweils 30 Minuten lange Stücke pro Tag, eines zum körperlich Aktivwerden am Morgen, das andere zur langsamen Entspannung am Abend.
„Die intensiven Klänge stimulieren Gehör und Gehirn und führen zu stimmungsaufhellenden Hormonausschüttungen“, sagt Marcel Dietrich vom Forschungsbüro des Orthopädie-Zentrums. Kostensparender Nebeneffekt des Experiments: Der Bedarf an Schmerztabletten sinkt spürbar.
Anfang des Jahres hat das Deutschen Zentrum für Musiktherapie erfolgreich eine Studie zum Einsatz von Musiktherapie gegen Tinnitus, einen ständigen unangenehmen Ton im Kopf, abgeschlossen. Die Therapie wurde psychologisch und neurologisch begleitet. Es stellte sich heraus, dass die Behandlung subjektiv die Tinnitusbelastung um bis zu 85 Prozent verringerte, die Entspannungsfähigkeit der Patienten verbesserte und die Tonhöhe des Tinnitus milderte.
Kernspin-Untersuchungen unmittelbar vor und nach der Therapie belegten die Wirkung im Gehirn: Sie führte zu Veränderungen in den primären und sekundären Hörarealen, in Gehirnbereichen, die mit Konzentration und Aufmerksamkeit zusammenhängen und solchen, die den Ruhezustand regeln.
Laut Uni Salzburg können Einsatzbereiche für Musiktherapie alle Krankheiten sein, die sich auf Fehlsteuerungen im Hormonsystem und dem vegetativen Nervensystem zurückführen lassen – also etwa Bluthochdruck, Schlaflosigkeit, aber auch Angstzustände und Depressionen. Die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie meldet, dass regelmäßiges Musikhören gut für die Herzgesundheit ist. „Musik kann Veränderungen im Hirn auslösen, die über andere Wege nicht gelingen“, betont Vera Brandes, Leiterin des Salzburger Forschungsprogramms Musik-Medizin.
Positiv für Gehirnentwicklung
Wissenschaftler der Universitäten Heidelberg und Graz haben im Sommer herausgefunden, dass das frühe Erlernen eines Musikinstrumentes sich langfristig positiv auf die Gehirnentwicklung von Kindern auswirkt. Nach ihren Erkenntnissen könnte man dadurch begabte Kinder besser fördern. Die Ergebnisse zeigen, dass Kinder, die ein Instrument lernen, besser zuhören können, aufmerksamer sind und weniger Probleme haben, Hyperaktivität und Impulsivität zu kontrollieren. Darüber hinaus schneiden sie in Lese- und Rechtschreibtests besser ab als musikalisch ungeübte Gleichaltrige.
Hingegen wurde der sogenannte Mozart-Effekt als Mythos entlarvt: Frühes Musikhören macht Babys nicht schlauer, auch nicht bei klassischer Musik. Unbestritten bleibt aber, dass Kinder, die früh ein Instrument lernen oder singen, davon auch langfristig profitieren. Das wiederholte Üben fördert Konzentration und Selbstdisziplin, stärkt das Selbstbewusstsein und verbessert die Sprachverarbeitung.