Erst seit Kurzem sind die jungen afghanischen Flüchtlinge in Deutschland. Sie haben eine lange Odyssee hinter sich. „Ich heiße Reza. Wie heißen Sie?“, fragt mich der 17-Jährige und lächelt. Ich lächle zurück und setze mich zu den fünf Schülern an den Tisch. Lehrer Wilfried Güntner erklärt deutsche Begrüßungsfloskeln. Dann geht es um Umlaute. Die Jungs sollen Wörter mit ä oder ü nachsprechen. Gar nicht so einfach für die Jugendlichen, deren Sprache Persisch oder Dari so ganz anders ist als die deutsche.
Hier in ihrem neuen Zuhause – einer Wohngruppe in Bergrheinfeld – fühlen sich die Jugendlichen sicher. „Sie wurden aus politischen oder religiösen Gründen verfolgt und sind allein nach Deutschland geflüchtet“, erklärt der Leiter des Jugendhilfezentrums Maria Schutz, Andreas Waldenmeier. Er ist verantwortlich für die Unterbringung von insgesamt acht Jungen aus Afghanistan und zwei aus Albanien in der genannten Außenwohngruppe (UMF). Träger der Einrichtung ist die Caritas.
Anders als die erwachsenen Flüchtlinge werden Jugendliche nicht in einem Asylbewerberheim untergebracht, sondern es greift ein Notfallplan der Jugendhilfe. „Das ist wichtig, denn Kinder und Teenager sind besonders schützenswert“, so der Sozialpädagoge. Bis sie 18 Jahre alt sind, stehen sie unter dem Schutz des Jugendamtes, auch danach können sie einen Antrag als junge Volljährige stellen.
Die UMF befindet sich in Bergrheinfeld in einem Haus mit Garten – dahinter ist alles Wohngebiet. „Das ist gut. So kann Integration gleich beginnen.“ Das Eis scheint schon gebrochen. So half zum Beispiel einer der Jungs einem Nachbarn, als dieser auf der Straße hingefallen war, erzählt Waldenmeier.
Auch für ihn ist das Thema Flüchtlinge und ihre Unterbringung neu. Als die Anfrage der Regierung kam, habe er sich auf die Suche nach Häusern begeben. Wieviel Schmerz und Leid die Jugendlichen in ihrer Heimat erfahren haben, lasse sich indes nur schwer nachvollziehen.
„Es ist nicht verwunderlich, wenn sie traumatisiert sind. Wir versuchen herauszufinden, für wen psychologische Unterstützung gut ist“, erklärt der Sozialpädagoge. Ein Junge zum Beispiel hat seine Eltern verloren – erschossen von den Taliban. Zu seiner Schwester und Tante habe er Kontakt, erzählt er gefasst. Seine Augen aber spiegeln Traurigkeit wieder.
Der 16-jährige Obaidullah kommt aus Kundus. „Ich habe dort deutsche Soldaten gesehen“, sagt er. Und fügt an, dass die Taliban „sehr böse“ sind. Die Familien der anderen Jungen leben teilweise im Iran. Aber auch dort werde die afghanische Bevölkerung verfolgt und diskriminiert, sagt Reza. Seit ihrem Einzug Anfang Februar werden die Teenager von insgesamt fünf Pädagogen und Fachkräften rund um die Uhr betreut. „Obwohl sie viel Schlimmes erlebt haben, strahlen sie enorme Lebensfreude aus. Sie wollen lernen und nach vorne schauen“, sagt die Pädagogische Fachkraft Lisa Rinn.
Am Anfang habe man sich mit Händen und Füßen verständigt. Dank der zwei ehrenamtlichen Lehrer, die einmal in der Woche kommen, klappt die Unterhaltung nun besser. Geplant ist, dass die Jugendlichen im September eine reguläre Schule besuchen, so Waldenmeier. Er hofft, dass ihr Asylantrag genehmigt wird und sie später eine Ausbildung machen können. Die Erleichterung, endlich in Deutschland zu sein, merkt man Reza, Ali und den anderen an. Auch, wenn sie ihre Familien sehr vermissen.
Nach dem Unterricht stürmen sie gleich zum Kicker ins Untergeschoss. Einige versammeln sich im gemütlichen Wohnzimmer und schalten die X-Box ein. Wie ganz normale Jugendliche eben. Damit kein Chaos ausbricht, hängt der Putz- und Kochplan an der Wand. „Bisher klappt alles sehr gut“, lobt Waldenmeier. In den nächsten Wochen will er versuchen, den ein oder anderen im Fußballverein unterzubringen. Das fördere die Integration. Gleichzeitig sei es wichtig, die Religion der Flüchtlinge zu achten. „Wir sind wir schon mehrmals in die Moschee gefahren.“
Am Ende meines Besuchs bekomme ich eine Portion Schokokuchen. „Für Sie“, sagt Obaidullah und lächelt – und wieder ist ein Stück Integration gelungen. Am 21. März wird die Wohngruppe eingeweiht.