Und plötzlich stehst du da – nun ja, vielleicht nicht gleich wie der sprichwörtliche Ochs vorm Berg, aber wie der erstaunte Radfahrer vor einem gewaltig sich auftürmenden Hügel. Eine halbe, ja eine dreiviertel Stunde bist du gerade wunderbar eben durch eine genussreiche Landschaft dahingeglitten, hast Streuobstwiesen und Getreidefelder durchquert, und entlang der leicht abschüssigen Flussauen hast du das Radl sogar sanft vor dich hinrollen lassen können. Doch dann ist unvermutet diese 90-Grad-Kurve aufgetaucht, hast du deine nette Fahrt drosseln müssen – und schlagartig erfasst, stehenden Fußes bemerkt, was da plötzlich auf dich zukommt. Es ist ein dreiteiliger Anstieg, mit dem du nie gerechnet hast: eine heftige 350-, 400-Meter-Prüfung, die du nur mit einem der modern gewordenen Hilfsmotörchen oder einer vorbildlichen Kondition bewältigst.
Über die Hälfte aller nicht zum Leistungslimit neigenden Radler, die das angeblich so liebliche Taubertal auf der klassischen Route erkunden (auf der anspruchsvollen Tages-Tour ist es besonders zu empfehlen von Weikersheim im Südosten nach Wertheim im Norden), steigen an dieser weniger lieblichen Stelle des Weges zwischen Gamburg und Kloster Bronnbach ab. Was die absteigenden oder auch die hinauf tretenden, keuchenden Neulinge, die hier zum ersten Male unterwegs sind, danach vor sich finden, sind acht, zehn landschaftlich reizvollste Kilometer.
Denn nicht drunt' im Tal, sondern auf dem Kamm darüber, führt ihre Strecke nun keineswegs mehr leicht, sondern mittelschwer, durch den Wald und sogar ein flaches Bachbett, über Holzbrücken, Stock und Stein, öfter begleitet von rotem Sandstein, sehr sehr pittoresk, sehr sehr hübsch – sehr sehr anstrengend. Und direkt hinter dem alten Bronnbacher Rote-Sandstein-Bahnhof folgt noch eine weitere knackige Akut-Steigung, bei der nicht nur die Hälfte aller Fahrer, sondern gut zwei Drittel zerknirscht absteigen.
Freilich – wer nun meint, sich bei umgekehrter Tour, also die Tauber hinauf statt hinab, die schwierigsten Passagen zu ersparen, der irrt. Korrekt wäre zwar die Annahme, dass es in dieser Gegenrichtung ein paar Super-Abfahrten gäbe – wobei umgekehrt diejenige zwischen Bronnbach und Gamburg wegen der schon erwähnten 90-Grad-Kurve hartes Abbremsen verlangt. Indes erweisen sich davor manche Zwischenetappen durch die sich ziehenden, spürbar zäheren ansteigenden Passagen als mühsam.
Nein, wer diesen Radweg-Klassiker fahren will, sollte es auch klassisch tun, von der Quelle bis zur Mündung – wie ein Friedrich Smetana 1874 seine berühmte „Moldau“ vertonte. Der böhmische Komponist verfolgte in seinem populären Orchesterstück den großen Fluss seiner Heimat, in Rhythmik und Melodik variierend, ab dessen beiden Quellen über die Vereinigung der zwei Bächlein hinfort durch die Wälder und Fluren und Landschaften, vorbei an Felsen, Burgen und Ruinen, zwischendurch in zuckenden Stromschnellen und am Ende im breiten Zug durch Prag der Elbe zu.
Nun, ganz so majestätisch wie bei der 430 Kilometer langen Moldau (die mittlerweile ebenso von einem durchgängigen, attraktiven Radweg gesäumt wird) verhält es sich mit dem namensgebenden Gewässer der Tauberfranken zwar nicht. Allerdings folgen auch hier der 130 Kilometer lange Flusslauf und somit der nahe Radweg einer lebensgleichen Logik, die beim Entlangfahren nicht nur eine Palette ästhetisch freudvoller Ausblicke bietet, sondern auch tiefe Einblicke in Geschichte, Geographie, Geologie. Denn diese Tauber, sie hat sich hinter ihrer Quelle in der Nähe von Rothenburg durch Muschelkalk gegraben, später dann weite Mäander durch Lehmwiesen und Talauen gezogen und, wenn ihre Wertheimer Mündung in den Main näher rückt, enge Schlingen in den Buntsandstein gefurcht.
Das plätschernde Quellbächlein, es walzt sich erst jugendlich ungestüm bei Weikersheim und Markelsheim aus, kriegt aber in Bad Mergentheim die Kurve, mäandriert schwungvoll – und wurde deswegen rund um Tauberbischofsheim schier bösartig begradigt. Hinter Werbach wird es enger, verändert der Radweg seinen Charakter vom heiteren Sonntagsausflug zum naturnahen, sportiven Erlebnis. Und wenn dir der Fluss kurz vor Wertheim so nahe kommt, dass du denkst, beim geringsten Fahrfehler hineinzuplumpsen, hast du das Ziel erreicht. An dieser Mündung schließlich blickst du den Main hinüber auf Kreuzwertheim und seine Gegend, die „Himmelreich“ heißt. Auch im religiösen Sinne, nicht nur als Radler auf dem „Tauber-Klassiker“ also, muss man sich dieses Himmelreich ja erst erarbeiten.