Wo der Gute Heinrich und der Stinkende Storchenschnabel wohnen und wo die Gewöhnliche Hundezunge und das Hungerblümchen nicht weit sind, da ist der Heuchelhof laut, wie er es beinah überall ist, aber auch so, wie er vor 600 Jahren schon war. Da liegt, 200 Meter westlich von den Hochhäusern, Würzburgs erstes Naturschutzgebiet, der 31 Hektar große Bromberg–Rosengarten.
Seit 1985 schützt die Stadt hier die Natur, angeregt vom damaligen Kustos des Botanischen Gartens, Uwe Buschbom. Der entdeckte – von „Wesen“, „Individuen“ und „Gesellschaften“ sprach er vor Jahren während einer Besichtigung – Pflanzen, „die so alt sind wie die Zeit, in der dieses Gestein zu Tage getreten ist“. Und das Gestein, ein Muschelkalk mit einer besonderen physikalischen und chemischen Struktur, beschrieb er als ein weltweites Phänomen. Es sei, was seine Nutzung betrifft, von „allerschlechtester Qualität“. Woanders fräßen sich die Steinhauer in den Muschelkalk hinein, am Heuchelhof nicht. Er ist viel zu hart.
Dass bei der Besiedlung im vergangenen Jahrhundert etwas schiefgehen wird, war vorauszusehen. Der Gesamtverband der Wohnungswirtschaft hatte früh gewarnt, sozialer Wohnungsbau dürfe „nicht auf die untersten Einkommensschichten eingeengt werden, weil sonst die sozialen Kosten der Ausgrenzung immer höher“ würden. 1992 warnte Gerhard Vogel, der Chef der Heuchelhofgesellschaft, die Gefahr bestehe, die Wohnungen der kommunalen Gesellschaften könnten „als Auffangbecken für alle schwer unterzubringenden Personenkreise in Anspruch genommen werden“. Gettoisierung und Verslumung wären die Folge. Er blieb ohne Gehör, zunächst.
Vermutlich siedelten schon vor 12 000 Jahren Menschen auf der Höhe in Würzburgs Süden. Die jüngste Siedlungsgeschichte des Heuchelhofs beginnt 1961. Unten im Tal ist der Wohnraum knapp und der Stadtrat beschließt, auf der Höhe im Süden das 216 Hektar große Gut Heuchelhof zu erwerben. Ab 1964 zirkeln die Stadtplaner einen Stadtteil aufs Reißbrett. 1967 gründet die Stadt die Heuchelhofgesellschaft mit dem Zweck „der Entwicklung neuer Wohngebiete, insbesondere des Stadtteiles Heuchelhof und der Förderung des Wohnungsbaues in der Stadt Würzburg“. Im Oktober des gleichen Jahres beschließt der Stadtrat den Bebauungsplan Würzburg-Heuchelhof Nr. 1. Innerhalb eines Rings soll eine gestaffelte Wohnbebauung entstehen; von drei- bis viergeschossigen Gebäuden am Rand bis zu 18-geschossigen Bauten im Zentrum. Maximal zwölf Geschosse sind es schließlich geworden. Am 1. August 1970 kommen die Bagger und heben riesige Baugruben aus. 1973 sind die ersten Mietwohnungen fertig.
Geht es nach den Straßennamen, weht durch den Bauabschnitt Würzburg-Heuchelhof Nr. 1, dem H 1, das Flair europäischer Städte: Straßburger Ring, Brüsseler, Den Haager, Luxemburger, Pariser, Römer, Londoner Straße. Aber wie es da noch vor zehn Jahren aussah! Mittendrin der Spielplatz, jeder beschreibbare Flecken mit obszönen, aggressiven und verliebten Sprüchen beschrieben. Die Farben der Hausfassaden waren ausgewaschen, schmutziges Schwarz lief an den Mauern herunter. Wer hier wohnte, hatte kein schönes Bild von Würzburg.
Innerhalb des Straßburger Rings waren neben 100 Eigentumswohnungen 1200 Sozialwohnungen konzentriert. Im Bund-Länder-Programm „Soziale Stadt“ stand die Gegend zur Jahrtausendwende so beschrieben: Die anonyme und unattraktive Bauweise und die einseitige Belegung mit Sozialhilfeempfängern, Spätaussiedlern und „in geringem Maße Ausländern“ machten den H 1 „zu einem Problemgebiet, provozieren soziale Spannungen, Unzufriedenheit, Ängste, Vandalismus, Aggressionen“. In den anderen Bauabschnitten, sieben sind es insgesamt, gab es solche Probleme nicht.
Seither, binnen gut zehn Jahren, ist viel passiert. Mittlerweile wirbt die Uni Würzburg im Internet fürs Wohnen auf dem Heuchelhof: Die Infrastruktur sei sehr gut, mit Kindergärten, Schulen, Einkaufszentren, Arztpraxen und allerhand mehr. Josef Wilhelm, der Leiter des Präsidialbüros, schreibt dazu, er verbinde mit dem Heuchelhof „eine lebendige und internationale Kultur“. Und das Beste sei die Nähe zur Natur.
Tatsächlich macht der Heuchelhof heute selbst im H 1 einen durchaus wohnlichen Eindruck. Unterstützt durchs Programm „Soziale Stadt“, machten sich im Rathaus Bau-, Sozial- und Umweltreferat an die Arbeit. Bauliche Mängel, etwa die finsteren Arkaden der Hochhäuser, wurden korrigiert und Treffpunkte geschaffen, wie das Alte Schwimmbad und das Stadtteilzentrum. Der unansehnliche Spielplatz in der Römer Straße wurde zu einem großzügigen, fröhlich bunten Bewegungsfeld für alle Altersgruppen umgebaut, ein Holzspielplatz und Grünflächen angelegt, der Place de Caen, das Zentrum des Stadtteils, umgebaut. In der abschließenden Dokumentation des Programms schreibt OB Georg Rosenthal, die Maßnahmen hätten 4,4 Millionen Euro gekostet.
In zahlreiche Planungen waren die Heuchelhöfer einbezogen worden. Was dem Stadtteil fehlte – Identität und Identifikation – wuchs. Sichtbare Zeichen für den Erfolg: Der H 1 ist so attraktiv geworden, dass Privatleute in den Hochhäusern Bonner Straße 51 Eigentumswohnungen kauften. Siegfried Scheidereiter, der im Sozialreferat die „Soziale Stadt“ koordinierte, berichtet, wo früher kaum was los war, fände heute öffentliches Leben statt, mit Veranstaltungen und Festen von engagierten und aktiven Bürgern.
Die Stadt nutzt den Heuchelhof als Vorbild. Mit ähnlichen Maßnahmen soll auch die Zellerau aufgepeppt werden.