Es kommt nicht oft vor, dass ein 84-Jähriger vor Gericht steht. Vor allem, wenn er sich in seinem langen Leben bislang nie etwas hat zu Schulden kommen lassen. Deshalb begegneten Gericht und Staatsanwalt dem alten Herrn, der sich jetzt vor dem Amtsgericht verantworten musste, auch recht freundlich. An den Tatsachen ändert das allerdings nichts. Der 84-Jährige hat einen Meineid geleistet – und somit ein Verbrechen begangen. Wie es dazu kam, ist eine tragische Geschichte.
Der Angeklagte, ein Schneider im Ruhestand, besitzt einen Wald, sein Sohn schlug dort im März 2007 Holz – und verunglückte dabei tödlich. Zurück blieben außer den trauernden Eltern eine junge Witwe und ein unmündiger Sohn.
Als Waldbesitzer hatte der Angeklagte, wie vorgeschrieben, regelmäßig Beiträge an die Berufsgenossenschaft (BG) gezahlt. Aber die Hoffnung der Witwe auf eine Hinterbliebenenrente zerstob. Der Grund: Bei einer Befragung durch die BG hatte der 84-Jährige angegeben, sein Sohn habe das Holz geschlagen, weil er damit seinen Balkon verkleiden wollte. Für die BG war damit klar, dass sie nicht zahlen muss: Weil der Verunglückte für eigene Zwecke Holz schlug, hat seine Frau keinen Anspruch auf Versorgung.
Die Witwe klagte gegen die Entscheidung vor dem Sozialgericht, ihr Schwiegervater war zu der Verhandlung im November 2011 als Zeuge geladen – und machte unter Eid eine völlig andere Aussage: Sein Sohn, so sagte der 84-Jährige damals, habe das Holz nicht für sich selbst geschlagen. Vielmehr habe er, der Vater, damit eine Terrasse bauen wollen. Die Aussage wurde vom Gericht als nicht glaubhaft eingestuft, der 84-Jährige wurde wegen Meineids angezeigt.
Jetzt sitzt er auf Anklagebank und lässt zunächst seinen Verteidiger für sich sprechen. An die Befragung durch die Berufsgenossenschaft habe sein Mandant keine Erinnerung mehr, sagt der Anwalt. Es sei zwar möglich, dass er bei der BG angegeben habe, der Sohn habe das Holz für sich selbst verwenden wollen. Aber schließlich habe der alte Herr kurz nach dem Tod des Sohnes unter Schock gestanden.
Der Angeklagte selbst beteuert, dass er vor dem Sozialgericht die Wahrheit gesagt habe. „Ich stehe zu meiner Zeugenaussage. Ich habe nach bestem Wissen und Gewissen ausgesagt.“ Er habe weder „jemand schaden“, noch seiner Schwiegertochter „einen Gefallen tun wollen“.
Der Staatsanwalt glaubt ihm nicht und signalisiert Verständnis dafür, dass man „sich ärgert, wenn man jahrelang in eine Versicherung einzahlt und Schwiegertochter und Enkel im Schadensfall dann ohne Versorgung dastehen“. Auch die Richterin tut sich schwer, zu glauben, dass der Angeklagte seine Aussage kurz nach dem tragischen Unfall „erfunden haben soll“.
Der Verteidiger ist um Schadensbegrenzung bemüht. Es sei doch möglich, dass im Kopf des 84-Jährigen einiges „in Schieflage geraten“ sei, gibt er zu bedenken. „Vielleicht hat sich die Realität mit dem Wunschdenken vermischt.“ Der Angeklagte selbst bleibt bei seiner Darstellung: „Mein Wald, meine Bäume und deshalb war das Holz war für mich bestimmt.“
Nach einem Rechtsgespräch zwischen Gericht, Staatsanwalt und Verteidiger hinter verschlossenen Türen ändert der 84-Jährige widerwillig seine Angaben. „Mein Mandant räumt die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft ein“, erklärt sein Verteidiger, „er war in einer Ausnahmesituation, er hat sich in etwas hinein gesteigert“.
Das Geständnis des Angeklagten und die Tatsache, dass er den Meineid nicht zu seinem eigenen Vorteil geleistet hat, wirkt sich positiv aus. Der Staatsanwalt fordert eine Freiheitsstrafe von eineinhalb Jahren auf Bewährung und 2000 Euro für gemeinnützige Zwecke. Der Verteidiger hält sieben Monate auf Bewährung und 500 Euro für angemessen.
Nach einer Beratungspause verurteilt das Gericht den 84-Jährigen zu einem Jahr mit Bewährung und einer Geldauflage von 1000 Euro. Der Angeklagte habe sich einer schwierigen Situation befunden, sagt die Richterin in der Urteilsbegründung. Dass er versucht habe, der Schwiegertochter zu helfen, sei „menschlich verständlich“, aber „verboten“.
Das Urteil ist nicht rechtskräftig.