Neulich bin ich wieder mal in unsere Großstadt gefahren. Ich brauchte neue Tennisbälle, die gibt’s in meiner winzigen Vorortgemeinde nicht. Ich stellte also mein Auto auf der Talavera ab, und es kam mir alsbald vor, als sei ich im Land des Lächelns.
Ich meine nicht die Menschen, die mir auf dem Weg ins Zentrum entgegen kamen und erfreulicherweise Mitbürgerinnen und Mitbürger genannt werden, auch nicht die hoch willkommenen Touristen aus aller Welt, und davon schon gar nicht die vielen Japaner und Chinesen. Sie alle rannten aufmerksam herum im Hamsterrad der Innenstadt, aber sie lächelten nicht. Im Gegenteil, sie schauten grantig drein wie eh und je. Nein, ich meine jene, die sich an Ecken und Enden, an Pfosten und Lampen, an Zäunen und Mauern freiwillig haben aufhängen lassen. Trotzdem lächeln, lachen, grinsen sie auf buntem Papier mit schönen Sprüchen um die Wette. Für die Wahl, ausgerechnet am 16. März, dem Datum, an dem 1945 die Stadt in Schutt und Asche gelegt wurde, die Fahnen seit diesem Tag auf halbmast hängen und ich trotzdem meinen 74.
Geburtstag begehen muss. Ich erinnere mich daran, dass ich seit 1961 keinen Urnengang versäumt habe. Damals stellte sich der greise Bundeskanzler Konrad Adenauer zum letzten Mal zur Wiederwahl. Berlins Bürgermeister Willy Brandt trat gegen ihn an, ebenso ein gewisser Erich Mende. Doch keiner lächelte auf seinen Plakaten. Sie waren sich des Ernstes der Lage bewusst, ein paar Monate nach dem Mauerbau. Wie schön, dass es heute anders ist, wenn auch nicht immer zum Lächeln, Lachen oder Grinsen. In Berlin begehe ich auch meinen Geburtstag, mit einem Besuch des Udo-Lindenberg-Musicals und dem Sonderzug nach Pankow!
Meine Runzeln & ich: Im Land des Lächelns
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