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BAKU
Loreens Düster-Song löste Euphorie aus
Von unserem Mitarbeiter Erhard Stern
 |  aktualisiert: 16.12.2020 12:40 Uhr

Schweden. Also doch! Die 28-jährige Loreen gewann mit dem Düster-Song „Euphoria“ den Eurovision Song Contest (ESC) 2012 in Aserbaidschan. Roman Lob, der deutsche „Star für Baku“, landete mit „Standing still“ auf dem achten Platz. Ein Achtungserfolg für den Westerwälder, nach dem es lange nicht ausgesehen hatte.

Sieben Stunden bevor das Ergebnis feststeht, jubeln die Norweger. Bei der letzten Probe vor dem Finale, bei der auch die Punktevergabe durchgespielt wird, setzt sich der Beitrag aus Skandinavien durch. Deutschland landet abgeschlagen auf dem letzten Platz. Doch es kommt anders: Den norwegischen ESC-Titel muss sich niemand merken. Interpret Tooji wird mit nur sieben Punkten Letzter. Und Roman Lob erringt einen beachtlichen achten Platz – die erhoffte Top-Ten-Platzierung. Der Wunsch von Vorgängerin Lena, „das Ding“ zu gewinnen, geht jedoch nicht in Erfüllung. Da hat auch das demonstrative Buhlen um österreichische Punkte nichts genutzt: Obwohl die deutsche Delegation bei jeder Gelegenheit betont, wie schade das Halbfinal-Aus des Nachbarlandes sei, gibt es in diesem Jahr nur vier Punkte aus Wien.

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Langeweile als Programm

Ein schwedischer Journalist fasst den deutschen Beitrag so zusammen: „Tolles Lied, langweiliger Junge.“ Dabei ist das doch gerade Programm. Roman Lob und sein väterlicher Freund, der Hip-Hopper Thomas D, hatten darauf gesetzt, angesichts vieler Nummern voller spektakulärer Showeffekte mit einem „zurückgenommenen Auftritt“ zu punkten.

Das gelingt nur teilweise. Aus Osteuropa gibt es fast keine Punkte, aus keinem Land die Bestwertung von zwölf. Doch der 21-jährige Westerwälder ist hochzufrieden damit, dass unter dem Strich 110 Punkte stehen: „Eine Top-Ten-Platzierung war mein Ziel. Ich bin super happy. Es war eine geile Zeit hier.“ Ein bisschen sei ihm nach dem Auftritt aber auch eine Last von den Schultern gefallen. Und Thomas D gesteht, dass das Team zu zweifeln angefangen habe, als es anfangs gar keine Punkte gab. Ganz anders die Schweden. Der Ausdruckstanz löst europaweit Euphorie aus und gewinnt verdient. 18 Mal erhält die schwedisch-marokkanische Sängerin Loreen zwölf Punkte, auch aus Deutschland. Nur in Italien geht sie ganz leer aus. 372 Punkte sind das zweitbeste Ergebnis, das je beim ESC erzielt wurde.

Dennoch äußerte sich Loreen eher zurückhaltend – beziehungsweise gar nicht: „Das habe ich nicht erwartet, dass ich so viel Unterstützung aus Europa bekomme. Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.“ Ganz so überraschend kommt der Erfolg jedoch nicht. Lorine Zineb Noka Talhaoui – so der Name, unter dem Loreen 1983 geboren wurde – galt als Topfavoritin. Das allerdings hat beim ESC nichts zu bedeuten, gerade wenn man aus Schweden kommt. Die Skandinavier zählen zwar fast immer zu den Sieganwärtern, gingen zuletzt aber 13 Jahre lang leer aus. Dass ein schwedisches Autorenteam triumphieren würde, war freilich wahrscheinlich. 16 der 42 ESC-Titel und zehn von 26 im Finale waren aus der Hitfabrik im hohen Norden. Die beiden Autoren von „Euphoria“ hatten bei jeweils einem weiteren Lied die Finger mit ihm Spiel. Loreens Erfolg erspart der ausrichtenden Europäischen Rundfunkunion (EBU) 2013 eine erneute Diskussion über die politische Dimension des Song Contests. Denn das Thema Demokratie und Menschenrechte begleitete die zwei Wochen in Baku von den Proben bis zum Finale. Gerade in den letzten Tagen ließ die Staatsmacht die Muskeln spielen und unterband jeglichen Protest der Opposition. Loreen hatte durch ein Treffen mit Menschenrechtsaktivisten für Verstimmungen beim Gastgeber gesorgt.

Der Kommentar der Vorsitzenden der deutschen Jury, Anke Engelke, dürfte zudem die diplomatischen Verwerfungen zwischen Aserbaidschan und Deutschland verschärfen. Staatspräsident Ilham Aliyev wird der Rat an sein Land vor der Punktevergabe kaum entgangen sein: „Heute Abend konnte niemand für sein eigenes Land abstimmen. Aber es ist gut, wählen zu können. Und es ist gut, eine Wahl zu haben. Viel Glück auf deiner Reise, Aserbaidschan! Europa beobachtet dich!“ Deutliche Worte, charmant verpackt.

Putzige Omas aus Russland

Dabei hatte sich die EBU stets gegen eine Vermischung von Musik und Politik ausgesprochen. Nahm es aber hin, dass die von der deutschen Firma „Brainpool“ zunächst produzierten „Postkarten“, die Einspielfilme zwischen den Liedern, vom Staatssender Ictimai TV neu eingespielt wurden – finanziert von der nach dem ehemaligen Präsidenten benannten Heydar-Aliyev-Stiftung. Deren Gründerin ist die Frau des aktuellen Staatsoberhaupts und war praktischerweise auch Vorsitzende des örtlichen ESC-Organisationskomitees. Ins Bild passt, dass Sänger und Präsidentenschwiegersohn Emin mit seinem Auftritt die Wartezeit bis zur Auszählung verkürzte.

Von Menschenrechtsproblemen ist in Schweden nichts bekannt – sieht man mal davon ab, dass die Winter dort ähnlich düster sind wie Loreens Auftritt in Baku. So gesehen ist der zweite Platz der putzigen Omas aus Russland, die in drei Minuten keinen einzigen Ton trafen, eine gute Sache für alle Beteiligten: Das Hallenpublikum freut sich über das gute Abschneiden ihrer Lieblinge. Und die Buranowskije Babuschki haben jetzt genügend Geld für eine neue Kirche im Dorf zusammen.

Die ESC-Ergebnisse

1. SCHWEDEN Punkte: 372 2. RUSSLAND 259 3. SERBIEN 214 4. ASERBAIDSCHAN 150 5. ALBANIEN 146 6. ESTLAND 120 7. TÜRKEI 112 8. DEUTSCHLAND 110 9. ITALIEN 101 10. SPANIEN 97 11. MOLDAU 81 12. RUMÄNIEN 71 13. MAZEDONIEN 71 14. LITAUEN 70 15. UKRAINE 65 16. ZYPERN 65 17. GRIECHENLAND 64 18. BOSNIEN- HERZEGOWINA 55 19. IRLAND 46 20. ISLAND 46 21. MALTA 41 22. FRANKREICH 21 23. DÄNEMARK 21 24. UNGARN 19 25. GROSSBRITANNIEN 12 26. NORWEGEN 7

Die Einschaltquote der Fernsehübertragung war eher mittelprächtig. 8,29 Millionen verfolgten in Deutschland den ESC. Lena Meyer-Landrut hatte voriges Jahr 13,93 Millionen, 2010 sogar 14,69 Millionen Zuschauer vor den Fernseher gelockt.

 
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