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„Leistung wird das entscheidende Kriterium der Hall of Fame bleiben“
Das Gespräch führte Achim Muth
 |  aktualisiert: 16.12.2020 08:55 Uhr

Der promovierte Wirtschaftsingenieur Michael Ilgner (41) wechselte 2006 als Vorsitzender der Geschäftsführung zur Stiftung Deutsche Sporthilfe, seit 1. April 2010 ist er hauptamtlicher Vorstandsvorsitzender. Ilgner wuchs in Schweinfurt auf, für den SV 05 Würzburg spielte er lange Jahre in der Wasserball-Bundesliga. Zudem absolvierte er über 100 Länderspiele und war 1996 Olympiateilnehmer in Atlanta. Für seine erfolgreiche Verbindung von sportlicher und beruflicher Karriere wurde Michael Ilgner 2003 von Edmund Stoiber mit dem Sportpreis des bayerischen Ministerpräsidenten ausgezeichnet. Der Sporthilfe-Chef lebt mit seiner Familie, das Ehepaar Ilgner hat drei Kinder, in Frankfurt.

Frage: Herr Ilgner, die Stiftung Deutsche Sporthilfe hat in diesem Jahr fünf Sportler in ihre Hall of Fame aufgenommen, die vor allem aufgefallen sind durch ihre besonderen Biografien. Entweder in der NS-Zeit und durch die deutsche Teilung oder durch ihren Einsatz für die Werte des Sports und gegen Doping. Wie kam es dazu?

Michael Ilgner: Wir hätten uns die Auseinandersetzung mit diesen Themen sicherlich einfacher machen können. Viele andere Nationen, wie zum Beispiel die Amerikaner, orientieren sich in ihrer Hall of Fame rein am sportlichen Erfolg. Sport ist aber ein Spiegelbild der Gesellschaft, er kann und soll sich nicht lösen, und er muss sich auch mit seiner jeweiligen Zeit auseinandersetzen, wenn er seine Werte bewahren möchte.

Neu aufgenommen wurden die Hochspringerin Gretel Bergmann-Lambert, Ruder-Olympiasieger und Philosoph Hans Lenk, der verhinderte Rad-Star Wolfgang Lötzsch sowie Vater und Tochter Henrich Misersky und Antje Harvey. Sind diese Neuaufnahmen eine Antwort auf jene Kritiker, die sagen, dass der deutsche Sport die Aufarbeitung bisher gescheut hat?

Ilgner: Vorbilder sind notwendig, um junge Talente motivieren zu können. Um nach vorne zu blicken und für die Zukunft zu lernen, ist der Blick zurück eine Grundvoraussetzung. In Deutschland ist die Aufarbeitung sicher eine besondere Herausforderung.

Weshalb fällt die Aufarbeitung so schwer?

Ilgner: Es liegt vor allem an der besonderen Komplexität und Verantwortung für die deutsche Geschichte der letzten 100 Jahre, an den vielen Grenzen und Grenzüberschreitungen. Das ist in anderen Lebensbereichen nicht anders.

Wie kam es zum Umdenken in der Sporthilfe?

Ilgner: Wir haben nicht umgedacht, sondern unsere Gedanken und unser Vorgehen zum Aufbau der Hall of Fame erweitert. Zum einen haben wir alle lebenden Mitglieder der Hall of Fame auch in die Jury aufgenommen und empfinden sie jetzt als gut ausgewogen. Zum anderen erinnern wir mit der Aufnahme von Mitgliedern mit besonderen Biografien an viele, teilweise von Vergessenheit bedrohte Schicksale. Auch wenn wir mit Berthold Beitz oder dem Ringer und Widerstandskämpfer Werner Seelenbinder schon herausragende Persönlichkeit aufgenommen hatten, die sich für die Werte des Sports eingesetzt haben, so wollten wir in diesem Jahr ein explizites Zeichen für besondere Biografien setzen. Die herausragende sportliche Leistung wird aber auch in Zukunft das entscheidende Kriterium für die Hall of Fame bleiben.

Noch ist die Hall of Fame ein virtueller Ort, im Prinzip eine Ehrenliste des deutschen Sports. Könnte ein nächster Schritt die Errichtung eines Museums sein?

Ilgner: Nicht unbedingt. Uns geht es darum, die Institution inhaltlich mit Leben zu erfüllen. Im Übrigen haben wir ja mit dem Forum einer Wanderausstellung die Möglichkeit, Menschen direkt vor Ort anzusprechen und zu Diskussionen anzuregen, wie zuletzt bei der Tischtennis-WM in Dortmund oder jetzt im Augenblick in Heilbronn, wo wir anlässlich des Landesturnfestes noch bis zum 14. Juni mit der Hall-of-Fame-Galerie zu Gast sind. In einer weiteren Stufe der Entwicklung werden wir sicher daran arbeiten, die Hall of Fame im Internet noch anschaulicher zu gestalten. Das alles stellt Erinnerung, Anerkennung und Auseinandersetzen mit sportlichen Vorbildern dar und ist für unsere Förderaufgaben ein wichtiger Aspekt. Die Errichtung und Führung eines Museums geht aus unserer Sicht zur Zeit aber über die Aufgaben unserer Stiftung hinaus.

Herr Ilgner, Sie sind seit 2006 bei der Sporthilfe. Unter Ihrer Führung hat die Stiftung viele Akzente gesetzt. Auffällig ist die Zusammenarbeit mit deutschen Top-Firmen wie Daimler, Deutsche Telekom, Lufthansa und Deutsche Bank.

Ilgner: Ja, wir sind stolz, dass wir diese vier nationalen Förderer und viele weitere herausragende Partner haben, nicht nur aus der Wirtschaft, sondern auch aus dem professionellen Sport, mit der DFL als Initiator und Wegweiser an der Sitze. Immerhin unterstützt die Sporthilfe die Athleten insgesamt mit jährlich zwischen zehn und zwölf Millionen Euro, die wir ohne direkte staatliche Hilfe jedes Jahr neu akquirieren müssen. Im internationalen Vergleich müssen wir in Zukunft mehr leisten, und daher ist es ein entscheidender Schritt gewesen, dass die Deutsche Bank jetzt ihr Engagement in unser Sport-Stipendium verdoppelt. Statt 150 Euro im Monat erhalten 300 Leistungssportler während ihres Studiums nun 300 Euro monatlich. Das ist ein Vorbildprojekt, und die damit verbundenen Fördergelder der Deutschen Bank sind das größte Engagement eines Privatunternehmens in der Geschichte der Sporthilfe.

Dennoch wollen Sie die Richtlinien, nach denen die Sportler unterstützt werden, ändern.

Ilgner: Wir werden das Fördersystem nach London neu ausrichten, weil wir den unterschiedlichen und sich wandelnden Sport- und Wettkampfstrukturen Rechnung tragen müssen, um auch die Vielfalt im Sport zu erhalten. Nehmen Sie Biathlon: Dort wird jedes Jahr eine WM ausgetragen, und ein Athlet kann im Idealfall auf vier bis fünf Strecken an den Start gehen. Im Gegensatz gibt es dann eben Sportarten, in denen es nur alle zwei Jahre eine WM gibt und der Sportler vielleicht nur eine einzige Startmöglichkeit hat.

Haben Sie ein Beispiel?

Ilgner: Judo. Dort haben wir in der Gewichtsklasse von Ole Bischof drei Weltklasseathleten, aber nur einer darf zu den Spielen. Aber auch die anderen müssen wir fördern. Vielfalt ist ein hohes Gut. Aber es darf kein Freibrief für eine Sportart sein, sie muss sich auch nach leistungsorientierten Konzepten richten.

Gibt es in Deutschland Sport und Fußball?

Ilgner: So krass würde ich den Unterschied nicht sehen. Aber es stimmt, Fußball an der Spitze ist sehr professionell und hierzulande ein wirtschaftlicher Faktor mit Umsätzen im hohen Milliardenbereich. Fußball hat darüber hinaus auch eine enorme gesellschaftliche Bedeutung, und ich freue mich, dass sich der Fußball bei der Sporthilfe so solidarisch zeigt mit dem restlichen Sport. Die Kampagne der Deutschen Fußball-Liga und der Bundesliga-Stiftung hat das belegt und uns sehr geholfen. Die Fernsehspots beispielsweise mit Trainer Felix Magath und Fünfkampf-Olympiasiegerin Lena Schöneborn haben unseren Bekanntheitsgrad noch einmal deutlich ansteigen lassen.

Die Neuen in der Hall of Fame

Margaret Bergmann-Lambert (99): Aufgrund ihrer jüdischen Herkunft wurde Deutschlands beste Hoch- springerin von den Nazis aus dem Olympiateam 1936 geworfen.

Hans Lenk (77): Der Ruder-Olympiasieger im Achter 1960 setzte sich als Philosoph stets für die Achtung der Werte im Sport ein.

Henrich Misersky (71) und Antje Harvey (45): Der Ski-Langlauftrainer verweigerte sich in der DDR der Dopinganordnung für seine Athleten. Antje Harvey trat aus der DDR-Sportschule aus und reüssierte nach der Wende als erfolgreiche Biathletin.

Wolfgang Lötzsch (59): Der Radfahrer weigerte sich, in die SED einzutreten, und wurde deshalb aus dem Förderkader geworfen.

 
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