Immer mehr Menschen in Deutschland leiden an einer Allergie. Dabei nehmen Lebensmittel-Unverträglichkeiten an Bedeutung zu. Darüber informieren will der Deutsche Lebensmittel-Allergietag am 21. Juni. Gleichzeitig will er vermitteln, dass das Ziel jeder Ernährungstherapie die Lösung von individuellen Ernährungsproblemen ist, die dem Patienten helfen, mit seiner Lebensmittelunverträglichkeit besser leben zu können. Dies erläutert im Gespräch mit unserer Zeitung das Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Nahrungsmittelallergie der Deutschen Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie Dr. Imke Reese.
Imke Reese: Genaue Zahlen liegen nicht vor, Schätzungen gehen davon aus, dass zwischen zwei und zehn Prozent der Bevölkerung betroffen sind, wobei Kleinkinder häufiger betroffen sind als Erwachsene. Das Problem bei der Bestimmung der Häufigkeit liegt darin begründet, dass für den Nachweis einer Nahrungsmittelallergie in der Regel eine Provokationstestung nötig wäre, um zu beweisen, dass auch tatsächlich Beschwerden auftreten. Allergologische Testverfahren weisen lediglich eine Sensibilisierung, also das Vorhandensein von IgE-Antikörpern (speziellen Proteinen, mit denen das Immunsytem körperfremde Erreger abwehrt), nach. Doch nicht immer führt das Vorliegen von IgE-Antikörpern zu einer allergischen Reaktion. In einem solchen Fall spricht man von einer „stummen“ Sensibilisierung.
Reese: Auch Lebensmittelallergien sind Lebensmittelunverträglichkeiten und zeichnen sich dadurch aus, dass sie immunologisch vermittelte Überempfindlichkeitsreaktionen sind. Daneben gibt es Unverträglichkeiten, die durch einen Enzymdefekt ausgelöst werden (zum Beispiel Laktoseintoleranz). Hinzukommen weitere, die aufgrund einer verminderten Aufnahme zustande kommen (beispielsweise Fructosemalabsorption) und so genannte Pseudoallergien, nicht-immunologisch vermittelte Überempfindlichkeiten, wobei letztere vor allem bei Personen mit chronischem Nesselfieber auftreten.
Reese: Man geht von einer Zunahme aus, allerdings liegen auch dafür wenig aussagekräftige Daten vor.
Reese: Säuglinge und Kleinkinder sind in erster Linie von so genannten primären Lebensmittelallergien betroffen. Sie reagieren auf ein Nahrungsmittel direkt. Im Gegensatz dazu finden sich im Erwachsenenalter viel häufiger pollenassoziierte Nahrungsmittelallergien. Da die Allergie sich ursprünglich gegen die Pollen richtet und die Nahrungsmittel nur im zweiten Schritt ins Visier nimmt, spricht man auch von einer sekundären Allergie.
Reese: Die Entstehung einer Nahrungsmittel-Allergie ist eine Fehlleitung des Immunsystems. Es schaltet auf Abwehr gegenüber harmlosen Stoffen aus der Umwelt. Der Grund für diese Fehlleitung ist nicht bekannt. Diskutiert wird ein Mangel an Training aufgrund unseres hygienebewussten Lebensstils. Nur in der Konfrontation mit Umweltfaktoren kann das Immunsystem lernen, dass Nahrungsmittel, Pollen, Tierhaare und anderes harmlos sind.
Reese: Ja, die Bereitschaft, eine allergische Erkrankung zu entwickeln, steigt, wenn enge Familienangehörige ebenfalls Allergiker sind.
Reese: Im Kleinkinder-Alter sind die häufigsten Auslöser: Milch, Eier, Weizen, Erdnuss, Haselnuss und Soja. Im Jugend- und Erwachsenenalter sind es die pollenassoziierten Lebensmittel wie zum Beispiel Kern- und Steinobst, Haselnüsse, wenig verarbeitete Sojaprodukte, Sellerie und Karotte sowie Fisch und Krebstiere.
Reese: Die Beschwerden können sich als leichte Symptome wie ein Jucken im Mund, ein pelziges Gefühl auf der Zunge bis hin zu Hautreaktionen am ganzen Körper, Schwellungen, Atemwegsreaktionen und im schlimmsten Fall in einem Kreislaufzusammenbruch zeigen.
Reese: Der erste Ansprechpartner ist ein Allergologe, der möglichst in Zusammenarbeit mit einer allergologisch versierten Ernährungsfachkraft einen Verdacht in Richtung Allergie bestätigt beziehungsweise entkräftet. Therapeutisch ist die Ernährungsfachkraft dann in jedem Fall gefragt. Denn in der Therapie einer Nahrungsmittel-Allergie geht es um weit mehr als „nur“ Vermeidung: Wichtige Nährstoffe müssen gegebenenfalls ersetzt werden und die Lebensqualität sollte auf hohem Niveau erhalten bleiben. Der Deutsche Allergie- und Asthmabund DAAB verfügt über ein deutschlandweites Netzwerk allergologisch arbeitender Ernährungsfachkräfte. Adressen in Wohnortnähe sind über den DAAB (www.daab.de) zu erfragen.
Reese: Das wichtigste Instrument ist die Aufnahme der Krankengeschichte. Ohne eine auf Allergie hinweisende Anamnese ist kein allergologischer Test sinnvoll. Erst wenn ein entsprechender Verdacht vorliegt, sollte dieser gezielt durch Haut- und/oder Bluttests bestätigt werden.
Provokationstestung
Aufschluss über die Auslöser der Allergie kann noch der Provokationstest geben, wenn weder der Haut- noch der Bluttest sichere Anhaltspunkte liefern. Dabei bekommt der Patient eine einfache Nahrung, damit die Symptome verschwinden. Dann werden nach und nach weitere Nahrungsbestandteile hinzugefügt, bis die Beschwerden wieder auftreten – und das Allergen identifiziert ist. Ist das Allergen bekannt, besteht die beste Therapie darin, Nahrungsmittel oder Inhaltsstoffe, zu meiden, die das Allergen enthalten. Das ist nicht einfach, da beispielsweise Hühnerei-Allergiker auf Eier in jeder Form verzichten sollten. Da Eier in vielen Fertigprodukten enthalten sind, zum Beispiel als Bindemittel in Teig- und Backwaren, Panaden, Mehl- und Kartoffelklößen, ist es wichtig, beim Einkaufen die Zutatenliste der Produkte zu studieren. Ei-Allergene können sich in „Vollei“, „Eiklar“, „Eigelb“, aber auch hinter Wörtern mit der Vorsilbe „Ovo“ verbergen. Text: Vogel