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GAUKÖNIGSHOFEN
„Leben möchte ich hier nie mehr“
Von unserer Mitarbeiterin Hannelore Grimm
 |  aktualisiert: 16.12.2020 12:04 Uhr

„Das ist mein Elternhaus.“ Günther Thalheimer steht vor dem Haus, das seine Großeltern gebaut haben, in dem er geboren und aufgewachsen ist und das er seit über 70 Jahren nicht mehr betreten hat.

Günther Thalheimer ist einer der wenigen ehemaligen jüdischen Mitbürger, die es immer wieder dahin zurückzieht, wo ihre Wurzeln sind. Der 89-Jährige kommt mit seiner Ehefrau Kim, seiner Tochter Renée und deren Lebensgefährten aus Philadelphia. Angeschlossen an die Reise in die Vergangenheit haben sich seine Schwägerin mit ihrem Mann, die in Stuttgart leben.

Der Tochter zu zeigen, wo er aufgewachsen ist, das ist bei diesem Besuch einer der Hauptgründe für Günther Thalheimer. Mit seiner Frau war er schon einige Male in dem Ort, an dem die Stolpersteine vor dem Haus an seine durch die Judenverfolgung im Dritten Reich umgekommenen Eltern und den jüngeren Bruder Walter erinnern.

Das erste Mal als er Gaukönigshofen besucht hat, war es ihm ein Bedürfnis, den zwei Familien zu danken, die, wie er sichtlich bewegt erzählt, seinen Eltern damals beigestanden und geholfen haben. „Es waren nicht alle schlecht, einige Menschen waren auch sehr gut zu den Juden“ sagt er. Damals, das war die Zeit der Nationalsozialisten, die den Hass auf die jüdische Bevölkerung mit unvorstellbarer Brutalität schürten. Am 10. November 1938 eskalierte dieser Hass in Gaukönigshofen in Gewalt und Zerstörung.

Altbürgermeister Paul Lesch und Alfred Betz begleiten die Besucher durchs Dorf. Lesch und Betz, beide Jahrgang 1928, sind noch Zeugen der Zeit, in der das Leben der jüdischen Mitbürger in der Gemeinde zu Ende ging, und die für Günther Thalheimer zu der schmerzlichsten in seinem jungen Leben wurde.

Die Begebenheiten und die Menschen, die Lesch und Betz ihm in Erinnerungen bringen, die Fotos, die er sich in der Synagoge lange anschaut, kommentiert Günther Thalheimer kaum. „Es ist keine Sehnsucht, die mich hierher zieht“, sagt Günther Thalheimer. Wie schwer es ihm fällt, seine Gefühle zu beschreiben und die Gründe zu nennen, warum er an seinen Geburtsort zurückgekehrt ist, wird spürbar, wenn er nach den richtigen Worten sucht. In seiner frühen Kindheit hatte er, wie er ausdrückt, „nichts Gutes erlebt“.

Als 13-Jähriger ging er nach München in ein Internat. Dort befand er sich auch, als seine Familie die Schrecken der Pogromnacht erlebte. Sein Vater Josef Thalheimer, der einen Viehhandel und einen kleinen Kolonialwarenladen betrieb, hatte zuvor vergeblich versucht, ein Ausreisevisum für seine Familie zu bekommen.

Als Kassierer des Krieger- und Schützenvereins und Gründungsmitglied des Gaukönigshöfer Sportvereins, in dem er auch als Vorsitzender fungierte, stand Josef Thalheimer mitten im gesellschaftlichen Leben im Dorf. Günther Thalheimers Mutter Martha, geborene Berliner, flüchtete vor den Horden an dem bitterkalten Novemberabend nur mit einem Nachthemd bekleidet in den Garten des Nachbarn und versteckte sich dort. Sie erkältete sich dabei so stark, dass sie am 2. Januar 1939 an den Folgen der Krankheit gestorben ist. Josef Thalheimer musste im Sommer Am 21. März 1942 begann für Josef Thalheimer und Sohn Walter die Reise ohne Wiederkehr nach Izbica bei Lublin in Polen.

Günther Thalheimer landete durch eine Kinderverschickungs-Aktion in Palästina. Im Jahr 1952 schließlich wandert er in die USA aus, wo zwei Tanten von ihm wohnten. Als Günther Thalheimer älter wurde, wuchs der Wunsch, nach Deutschland und in seinen Geburtsort zu reisen. „So gerne ich jetzt zu Besuch komme, leben möchte ich hier nie mehr, wegen der schlimmen Erinnerungen“ sagt er.

 
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