Irgendwie hatte man in Europa ja immer so seine Vorstellung von den guten Amerikanern. Gute Amerikaner waren gegen den Vietnam-Krieg und für die Abrüstung, interessierten sich für die Umwelt und kehrten nicht dreimal täglich bei McDonald's ein. Sie sahen eher aus wie Joan Baez und eher nicht wie Nancy Reagan und wussten, dass die menschliche Kultur nicht ausschließlich zwischen der Ost- und Westküste der USA entstanden war.
Klischees sind ein wenig aus der Mode gekommen, aber der Mann, der an einem sonnigen Vormittag in einer kleinen Galerie in der Würzburger Straße in Dettelbach sitzt, scheint sie noch zu erfüllen. Roger Bischoff ist Amerikaner, und hat sich offenbar klar für eine Seite entschieden: das unbotmäßige Haar zum Zopf gebunden, ein bunter Schal um die Schultern und ein freundlicher Blick, der den Schelm nicht verbergen kann. Kein „Ami“, sondern schlicht ein Amerikaner, nicht „God bless America“, eher schon „We shall overcome“. 65 Jahre ist er, man sieht sie ihm seines Outfits wegen nicht unbedingt an. Und der Mann, der seit fast 20 Jahren als Künstler im kleinen Dettelbach lebt, hat auch sonst ein bisschen was zu erzählen.
Den einzigen Stuhl in der Galerie bietet er dem Gast an, nur fürs Foto nimmt er später darauf Platz. „Ich darf doch Du sagen“, fragt er. „Das mit dem Du und Sie im Deutschen habe ich nämlich nie so richtig verstanden“, schiebt er grinsend hinterher. Das Du fällt nicht schwer: Roger Bischoff ist ohnehin kein Typ zum Siezen.
Tja, wie verirrt man sich denn nun um alles in der Welt als Ostküsten-Amerikaner an den beschaulichen deutschen Main? Wie verschlungen muss ein Lebensweg sein, damit er von New Jersey ins fränkische Weinland führt?
Eigentlich hatte es 1970 für den angehenden Lehrer nach einer ganz normalen Durchschnittskarriere ausgesehen. „Die meisten Amerikaner haben einen Traum: Das ist ein kleines Haus mit Auto und Garten davor. Ich habe mich dann gefragt: Brauche ich ein Haus? Brauche ich ein Auto?“ Bischoff blickt kurz zur Decke, als tauche er für eine Sekunde in die eigene Vergangenheit ein. Dann richtet er die freundlichen Augen wieder auf den Besucher: „Ich habe mir gesagt: Was man braucht, das sind Essen, Klamotten und Wärme.“ Womöglich wollte sich der 22-jährige Lehrer für „Gesundheit und Sport“ auch einfach nur ausprobieren, als er seinen Schulleiter um eine Auszeit bat. Bischoff wollte noch ein bisschen mehr sehen von der Welt als die Provinz in New Jersey. „Der Schulleiter fragte mich: 'Wie lange willst Du gehen?' Ich sagte ihm damals: 'ein Jahr'.“
Bei dem einen Jahr blieb es nicht ganz. Statt für Haus und Auto entschied sich Bischoff für einen, nun ja, übersichtlichen Wohlstand: „20 Jahre lang hatte ich nur das, was ich tragen konnte.“ In Fakten: Aus drei Rucksäcken bestand seine Habe, als er 1991 in Dettelbach ankam, die materielle, wohlgemerkt. Was sich kaum in drei Rucksäcken verstauen ließ, war die Summe der Erfahrungen, die er zuvor in zwei Jahrzehnten auf ungezählten Reisen gesammelt hatte.
„Ich wollte nie ein bürgerliches Leben führen", sagt er heute. Stattdessen heuerte er Anfang der 1970er Jahre auf einem „Peace-Ship“ im Mittleren Osten an, später sollten weitere Kapitel als Bootsmann folgen. Um seinen Unterhalt machte sich der angehende Weltenbummler nie große Gedanken: „Wenn man handwerklich etwas kann, kommt man immer durch.“ Das passte: Er war gesund und hatte auch keine zwei linken Hände. Trotzdem keine Ängste, keine Bedenken? Bischoff setzt wieder sein Lächeln auf: „Ich habe meine Ängste immer weggeblasen, mein Motto war: 'Ich will leben, bis ich tot bin.' Klingt wie ein Gag, ich meine es aber so.“
Deshalb machte es ihm auch nichts aus, seinen Lebensunterhalt mal als Dachdecker, als Fischer, Tischler oder Zimmermann zu verdienen. Deshalb war es für ihn auch kein Problem, in Marokko in einer Grashütte zu leben und das Wasser mit einer alten Sardinendose zu schöpfen. Was er erarbeitete, sollte nur zum Überleben reichen: „Ich habe nie wirklich Geld gebraucht.“
Der Wohlstand des Roger Bischoff, das waren die Erfahrungen, die er mit den Menschen machte, und es waren meist keine schlechten. „Ich habe immer Freunde gefunden. Einmal habe ich in Marokko eine Bleiinfektion bekommen. Da hat man mich aufgenommen und mir geholfen. Das hat auch mein Menschenbild geprägt. Damals wusste ich: Wo auch immer, wir sind alle dieselben. Und es gibt immer so viele Türen, die sich einem öffnen.“
Das Einzige, worauf er schon damals nicht verzichten wollte, war eine große Zeichenmappe. Aus dem Weltenbummler wurde über die Jahre hinweg der Künstler, das blieb auch den Menschen in seiner Umgebung nicht verborgen. Der Kapitän eines der Schiffe, auf dem er angeheuert hatte, war von den Bildern seines Bootsmanns so begeistert, dass er Bischoff von der täglichen Arbeit befreite und ihn stattdessen den Schiffsalltag auf Papier festhalten ließ. „Ich habe damals eigentlich nur figürlich gezeichnet. Oder sagen wir es so: Ich war ein guter Zeichner und ein mittelmäßiger Maler.“
So ganz mittelmäßig kann Bischoff schon damals nicht gewesen sein, schließlich erhielt er eine Zulassung zur renommierten Gerrit-Rietveld-Kunstakademie in Amsterdam. Dass er die Aufnahme ausschlug und sich lieber für einen Malkurs auf Mallorca entschied – wieder eine typische Bischoff-Entscheidung. Ein arrivierter Künstler wollte er am Ende doch nicht werden – dann schon lieber die Inspiration in der mallorquinischen Idylle. Später macht er dann doch noch Künstlerkurse, allerdings in New York, ganz nahe der alten Heimat.
In den 80er Jahren wohnte er bei Verwandtschaft in Kanada – und lernte dort eine Frau aus Deutschland kennen – es funkte. Sie musste zurück nach Deutschland, er wollte zu ihr. Nur gab es eine kleine Hürde: Bischoff brauchte Geld für die Reise, und im Geldbeutel war der Boden gut sichtbar. Ein Problem vielleicht für den Durchschnittsbürger, nicht jedoch für den Lebenskünstler. „Ich habe hin und her überlegt, was ich machen kann. Dann kam mir die Idee. Ich habe eine Ausstellung mit meinen Bildern organisiert und in der Galerie ein Schild aufgestellt: ,Künstler braucht Geld für Liebe in Deutschland'. Danach habe ich immerhin Bilder für 1400 Dollar verkauft.“ Problem gelöst.
Was folgte, war eine Zeit in Göttingen und eine Liebe, die allmählich auseinanderging: „Sie wollte vor allem Sicherheit, aber mir war das nicht so wichtig. Ich brauchte kein Wohnzimmer, ich brauchte ein Atelier.“ Das fand Bischoff – noch auf Vermittlung seiner Freundin – schließlich in Dettelbach: Dass das Haus, in das er 1991 zog, in der Sackgasse steht, war keineswegs als Omen für die nächsten Jahre zu verstehen, im Gegenteil. Bischoff entwickelte sich – und seine Kunst. Der Schritt von der Figürlichkeit zur Abstraktion war nicht schnell, aber stetig. „Ich habe gemerkt, dass der Raum außerhalb des Menschen interessanter ist“, sagt er. „1987 hatte ich gehört, dass es bei der Sommerakademie in Salzburg ein Bildhauer-Symposium gibt. Da bin ich hin.“ Zu lernen gab es viel, zum Beispiel, dass man als Künstler die Dinge auch ruhig mal auf sich zukommen lassen kann, dass sich der Inhalt oft aus der Arbeit ergibt. Auch das ein Grund, weshalb seine Plastiken, die längst nicht nur in Dettelbach zu sehen sind, oft keine Titel tragen.
Seine Erfahrung gibt er inzwischen an andere weitere. 2005 feierte Dettelbach 500 Jahre Wallfahrt zu „Maria im Sand“ – einer der Höhepunkte war ein von Bischoff organisiertes Bildhauer-Symposium, an dem sieben Künstler aus Europa teilnahmen. Die steinernen Ergebnisse des Symposiums zieren inzwischen den öffentlichen Raum in Dettelbach. Roger Bischoff, der Zugereiste aus Amerika, prägt das Bild seiner jetzigen Heimat inzwischen ein bisschen mit.
Apropos Heimat: Ist der Amerikaner Bischoff in Franken angekommen? „Na ja, ich hatte schon erst einmal Vorurteile gegenüber den Deutschen. Doch dann haben sich kleine Freundschaften entwickelt, vor allem so in den letzten sieben, acht Jahren. Die Dettelbacher und ich – wir haben einander etwas zu geben, das ist mir klar geworden.“
Eine Beziehung mit Nebeneffekt: Der Weltenbummler ist zwar nicht müde, aber ruhiger geworden. Ein Leben in der Grashütte muss nicht wirklich mehr sein.