Salle Fischermann sitzt vor den Schülern der Adolph-Kolping-Schule. Hinter ihm läuft ein Film in dem abgedunkelten Raum. Mit gesenktem Kopf wartet er, während die Schüler diesen Ansehen. Er selbst habe ihn schon oft genug gesehen, erklärt Fischermann.
Für die Jugendlichen ist es ein besonderer Anlass. Fischermann ist ein Überlebender aus dem Konzentrationslager Theresienstadt. Im Alter von 14 Jahren wurde er aus Kopenhagen dorthin deportiert. Der dänisch-jüdische Zeitzeuge erzählt seine Geschichte und präsentiert den Film „Wenn lang die Bilder schon verblassen... KZ Theresienstadt - Propagandafilm und Wirklichkeit“.
Als er seine Stimme erhebt, weicht die Unruhe aus der Schülermenge beinahe augenblicklich. „Für mich war der zweite Weltkrieg eine große Tragödie“, sagt Fischermann einleitend. Er erzählt den Schülern von dem SS-Mann, der seine Familie aufforderte Kleidung und Essen für zwei Tage mitzunehmen, von der Deportation nach Theresienstadt und von dem Tod seines Vaters und eines Bruders bei einem Fluchtversuch nach Schweden. Mit seiner Hand zeigt er die bescheidene Größe eines Brotes, das seiner Familie für drei Tage als Nahrung genügen musste. Ein erstauntes „Boah“, entfährt einem Schüler, sonst ist es absolut Still.
Für die Jugendlichen an der heilpädagogischen Tagesstätte ist es nicht die erste Auseinandersetzung mit dem Thema. Sie haben bereits drei Patenschaften für die Stolpersteine von Edith Schloß, Kunigunde Prager und Fritz Max Zeilberger übernommen. An einem Basar hätten sie in der Vorweihnachtszeit selbst gemachte Plätzchen, Marmeladen und Holzengel verkauft um die Patenschaften und auch den Vortrag finanzieren zu können, erklärt der Klassenleiter Volker Rützel. „Wir haben das Gefühl, dass man die Schüler damit emotional ansprechen kann. Nicht mit einem erhobenen Zeigefinger, sonder durch spürbare Erlebnisse“, so Rützel.
Propagandaaufnahmen
Fischermann zeigt die Propagandaaufnahmen, die er im Film als Erzähler kommentiert. Er habe damals als Kabelträger am Film mitwirken müssen, erzählt der 84-Jährige. Die Kameramänner seien von der SS gewesen. Einmal habe er den Regisseur Kurt Gerron angesprochen. „Du darfst nicht mit ihm sprechen, du Judenschwein!“, kam prompt die Antwort eines SS-Soldaten.
Der Propagandafilm soll zeigen wie gut das Leben in Theresienstadt sei. Ein inszeniertes Fußballspiel und Aufnahmen eines wunderschönen Gemüsegartens - in Wahrheit der der SS - sollen davon überzeugen. Auch sieht man Kinder ein Theaterstück auf einer eigens konstruierten Bühne aufführen. „Das war das letzte Bild das man von ihnen sieht“, so Fischermann. „Nur sechs von 2000 sind wieder zurückgekommen.“ Fischermann erzählt bestürzt vom Abtransport der Kinder. Er habe ihnen in die „Viehwägen“ des Güterzuges helfen müssen. Reden durfte keiner. „Sie waren wie Steine. Keiner sagte ein Wort.“ Direkt in die Gaskammer seien sie geschickt worden, berichtet Fischermann.
Theresienstadt selbst sei nur ein Durchgangslager. Wenn jemand starb sei das für die SS natürlich auch nicht schlimm gewesen. Der Bürgermeister habe regelmäßig entscheiden müssen wer weiter deportiert wird. „Das Furchtbarste war, dass man den Zug schon aus der Ferne gehört hat“, erinnert sich der Zeitzeuge.
Salle Fischermann sieht die Schüler an. „Ihr wisst nicht was Hunger bedeutet“, sagt er. „Hunger ist wenn man etwas zu essen bekommt und nur eine Frage hat: Wann bekomme ich das Nächste?“ Gerade deshalb sei der Durchfall für Sie so grauenhaft gewesen. Auch er hatte sie bekommen. Acht von 16 erkrankten jungen Leuten starben während einer Woche in dem „Krankenhaus“.
Als Vortrag und Film vorüber sind stellen die Schüler ihre Fragen. „Wie sind Sie mit dem Schock fertig geworden?“, fragt einer. „Du hast nur ein Leben! Ich bin weitergekommen und habe heute ein sehr schönes Leben“, meint Fischermann. Die Zeit vergesse man nicht, aber er lebe eben jetzt. Er erzählt auch von seiner jungen und „sogar“ schönen Frau. Den Humor hat er sich trotz allem bewahrt.
Die Schüler waren von der Veranstaltung beeindruckt. Die Spannung im Raum war greifbar. „Bisher hatte man das immer nur aus Filmen gekannt“, sagt ein Schüler der neunten Klasse. „Das jetzt von einem Menschen, der das live erlebt hat zu hören, das ist natürlich was anderes!“
Salle Fischermann hat in den letzten drei Jahren über 650 Vorträge gehalten und drei Filme gemacht. Als er vor 35 Jahren bei einer Veranstaltung gefragt wurde, ob der Holocaust tatsächlich so schlimm gewesen sei, beschloss er den Leuten zu erzählen, wie schlimm es wirklich war.
Salle Fischermann berichtete in Würzburg auch den beiden zehnten Klassen der Gustav-Walle-Mittelschule von seiner Zeit im Konzentrationslager Theresienstadt.