Er zählte zu den populärsten Deutschen im Kaiserreich, gleich nach Wilhelm II. und Bismarck. Womöglich war er gar noch einen Tick berühmter als Kaiser und Kanzler: Sebastian Kneipp, Pfarrer und Naturheilkundler, zu Lebzeiten schon beliebt und bekannt im ganzen Land. Die Menschen begannen Wasser zu treten, liefen durchs taufrische Gras. Sie machten kalte Güsse und Wechselbäder, tranken Pflanzensäfte und Tee. Wörishofen, das bayerische Bauerndorf, wurde von Heilungssuchenden überrannt, zu Kneipps Sprechstunde kamen täglich über 150 Patienten.
Fast 150 Jahre später ist der Name des Kräuterpfarrers und Wasserdoktors kaum weniger populär als zu Kaisers Zeiten. 95 Prozent der Deutschen kennen den Namen Kneipp. „Das ist nicht zu steigern“, sagt Dietmar J. Salein, der Geschäftsführer des Unternehmens, das Kneipps Philosophie zu handfesten Produkten macht. Der Pfarrer hat ein gewaltiges Erbe vermacht: eine der bekanntesten Marken Deutschlands. Anno 1890 war Kneipp dem Würzburger Apotheker Leonhard Oberhäußer begegnet. Über die gemeinsame Überzeugung, mit naturheilkundlichen Methoden Gutes tun zu können, wurden sie Freunde – und Partner. Schon 1891 legte Kneipp das Vermächtnis seiner Studien in die Hände des Apothekers: Indem er Oberhäußer nämlich exklusiv für alle Zeiten die Rechte übertrug, pharmazeutische und kosmetische Produkte sowie diätetische Lebensmittel unter seinem Namen zu entwickeln, herzustellen und zu vertreiben.
Auf der Basis von Pflanzenessenzen und anderen reinen Inhaltsstoffen schufen der Pfarrer und der Apotheker jene Rezepturen, die noch heute richtungsweisend für alle Kneipp-Produkte sind. Das erste Mittel, das in der Würzburger Engel-Apotheke mit dem Namen Kneipps hergestellt wurde, waren Pillen gegen Darmträgheit. Schnell folgten Tees, Pflanzensäfte, Pulver, ölige Auszüge und die „Spezialitäten“ Rosmarinwein, Magentrost und Flatuol. Oberhäußer übernahm den Versand, das Geschäft florierte.
Was für eine Tradition. Was für ein starker Name. Doch als Dietmar J. Salein im Jahr 2005 zu Kneipp kommt, steht es mit der Marke aller Bekanntheit zum Trotz nicht zum Besten. Die Sympathiewerte dümpeln bei mageren 28 Prozent. Das Unternehmen hatte sich drei Jahre zuvor mit einem Schlag „verjüngt“. Der Wellnessmarkt boomte, dort wollte man mitmischen. Die aufgepeppten Badezusätze und Wohlfühl-Duschgels aber wurden zu Ladenhütern. Kneipp und Spa? Das brachten die Kunden nicht zusammen. Die junge avisierte Wellness-Zielgruppe griff nicht zu, die treuen älteren Kneipp-Freunde erkannten ihre Marke nicht wieder. Marketing-Spezialist Salein verordnet dem Unternehmen kalte Güsse zur Kur – und eine Rückbesinnung auf Bewährtes. Die Spa-Produkte fliegen aus dem Programm, von Wellness spricht bei Kneipp keiner mehr. Das Sortiment wird strategisch neu ausgerichtet, die Marke mit Blick auf die ursprüngliche Kernzielgruppe 50 plus neu auf dem Markt positioniert. „Kneipp wirkt. Seit 1891“ – das ist der Leitgedanke. Die Wirksamkeit ist Salein immens wichtig: „Selbst für das Entspannungsbad können wir mit einer Studie die Wirkung nachweisen.“ Offensichtlich wirkt auch die Firmenkur: Seit 2006 schreibt Kneipp wieder schwarze Zahlen, 2008 war das erfolgreichste Jahr seit Langem. 85 Millionen Euro setzte das Würzburger Unternehmen um, im Bereich Baden eroberte man die Marktführerschaft zurück. Die Sympathiewerte liegen wieder bei rund 46 Prozent. Ganz im Sinne des Namensgebers will man sich nicht zurücklehnen, sondern in Bewegung bleiben. Mit Lizenzprodukten will Kneipp neue Zielgruppen erschließen. Mineralwasser und Brote mit dem Namen Kneipp sind jetzt auf dem Markt. Balance-Brot neben Badesalz? Wasser treten und Wasser trinken? Für Salein kein Widerspruch. Schließlich sei die Ernährung feste Säule in der Gesundheitslehre des berühmten Markenbegründers.