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WÜRZBURG
Kiliansdom: Menschliches im Gotteshaus
Die markante Kirche in der Mitte der Stadt erzählt Geschichten vom Streben nach Schönheit und von Kunst. Aber sie erzählt auch von Zerstörung und Krieg. Wie jedes alte Bauwerk ist der Dom ein Denkmal des Menschenmöglichen. Und das Menschenmögliche bestimmt auch seine Ästhetik.
Von unserem Redaktionsmitglied Ralph Heringlehner
 |  aktualisiert: 26.04.2023 14:22 Uhr

 

Der Kiliansdom. Größtes Gotteshaus in der Region. Bedeutendes Bauwerk der Romanik. Errichtet zur Ehre des Allmächtigen. Und doch erzählt die Bischofskirche im Herzen Würzburgs vor allem Geschichten vom Menschen: vom Streben nach Schönheit, von handwerklichem Können und von Kunst. Aber auch von Unzulänglichkeit, von Krieg und Zerstörung. Wie jedes alte Bauwerk ist der Dom ein Denkmal des Menschenmöglichen. Und das Menschenmögliche bestimmt auch seine Ästhetik.

Wer einen der schweren Flügel des Westportals aufzieht, blickt in mittelalterliches Dunkel. Flachdecke, starke Säulen, runde Bögen vermitteln den wehrhaft-trutzigen Eindruck der Romanik. In den Seitenschiffen zeigen Spitzbogenfenster spätgotischen Einfluss und auch, dass an einer Kathedrale dieser Größe (der Dom ist 105 Meter lang) Generationen von Baumeistern und Künstlern schafften, dass Moden kamen und gingen, dass auf Erden nichts von Dauer ist.

Das führt zu Kontrasten. Die mag manch moderner Besucher als Stilbrüche empfinden. Besonders harsch ist der Bruch dort, wo das Langhaus aufs Querhaus trifft. Nüchternes Mittelalter kippt hier, an der Vierung, unvermittelt in prächtigen Barock, der sich in den Querschiffen und ostwärts bis in den Chor fortsetzt. Hier drängen sich Stuckornamente, hier klettern Heerscharen von Engelchen (Putten) an den Wänden. Im Westen: nichts davon. Hier herrscht optische Ruhe. „Manch einen irritiert dieses Nebeneinander“, weiß Alexandra Eck, Referentin für die Besucherpastoral am Kiliansdom.

Doch was der Besucher erkennen sollte, ist Stein gewordene Geschichte. Der Stilwechsel erzählt von der Zerstörung des Doms im Bombenhagel des 16. März 1945. Und vom Wiederaufbau, bei dem bewusst der Westteil im romanischen und gotischen Stil wieder errichtet wurden. Die östlichen Gebäudeteile geben dagegen den Eindruck wieder, den das Gotteshaus vor dem Zweiten Weltkrieg machte. Denn in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts hatte die umgestaltungsfreudige Barockzeit dem Dom ihren Stempel aufgedrückt. Das Innere wirkte danach einigermaßen einheitlich. In den Jahren 1721 bis 1736 setzte Balthasar Neumann die Schönbornkapelle an die nördliche Wand des Querschiffes an. Sie sieht noch heute so aus wie zu Zeiten des Erbauers der Residenz: Der Zweite Weltkrieg hat sie weitgehend verschont.

Die barocke Kapelle – als Grabkirche der Fürstbischöfe aus dem Hause Schönborn gedacht – wirkt auch von außen wie ein Fremdkörper am Kiliansdom. Doch auch das sieht vielleicht nur der heutige Betrachter so. Denn in früheren Jahrhunderten war die Ästhetik des Menschenmöglichen weniger ein Problem. Menschenmöglich, das heißt auch uneinheitlich, unfertig, unvollkommen. Wobei der Begriff „unvollkommen“ nicht zwangsweise negativ besetzt sein muss. Der Dom zu Siena beispielsweise ist gerade deswegen ein faszinierendes Bauwerk, weil er eigentlich „nur“ als Querschiff für einen Nachfolgebau dienen sollte, der nie vollendet wurde . . .

 

Kiliansdom: Menschliches im Gotteshaus

Es ist nicht die Vollkommenheit, die alte Bauwerke spannend macht. Es ist das Streben nach ihr. Auch davon erzählt der Kiliansdom: Der heutige Bau ist der dritte Versuch, sich der Vollkommenheit zu nähern – zur Ehre Gottes (und sicher auch zur Ehre der Baumeister).

Den ersten Dom ließ Berowelf errichten, geweiht wurde er 787 oder 788, womöglich im Beisein Kaiser Karls des Großen. Der Bau brannte am 5. Juni 855 nach einem Blitzschlag ab. Unter Bischof Arn (855 bis 892) wurde ein neuer Dom errichtet. Der dreischiffige Bau mit Querhaus hatte in etwa die Ausmaße der heutigen Kathedrale. Er wurde in den folgenden Jahrhunderten mehrfach verändert. Bischof Bruno (1034 bis 1045) ist der Begründer des heutigen, des dritten Doms. Die Krypta wurde 1045 geweiht. Anlass war die Beisetzung Brunos, der tödlich verunglückt war. Das Grab des Heiligen befindet sich dort noch heute. Brunos Nachfolger bauten weiter. 1187/88 dürfte der Dom fertig gewesen sein. Vorläufig. Denn spätere Generationen gestalteten das Haus immer wieder um.

 

Kiliansdom: Menschliches im Gotteshaus
Wer die Anfänge der Geschichte, die der Kiliansdom erzählt, erleben möchte, muss nach unten steigen. In der Krypta haben Zerstörung und Wiederaufbau zwar auch ihre Spuren hinterlassen, aber das Ursprüngliche ist noch fassbar. Ein gebündelter Lichtstrahl hebt ein schlichtes Steinkreuz aus dem Dunkel. Am Schnittpunkt der Kreuzbalken hebt sich das Relief eines Bärtigen ab – Christus. „Es soll das Kreuz sein, vor dem der heilige Kilian gebetet hat“, erzählt Rüdiger Seyler. Doch das sei nur eine Legende, erklärt der Mann, der regelmäßig Besucher durch den Dom führt. Denn dafür ist das Kreuz nicht alt genug. Es stammt aus dem 9. Jahrhundert und ist somit wohl ein Teil des ersten Doms. Jedenfalls ist es einzigartig. „Das lächelnde Christusgesicht macht dieses Kruzifix so besonders“, sagt Alexandra Eck.

Ein Rest des zweiten Doms verbirgt sich hinter einer Gittertür, die normalerweise verschlossen ist. Dort ist der untere Teil eines Freskos aus dem 11. Jahrhundert zu sehen. Das Bild zeigt Christus in einer Mandorla, flankiert von zwei Heiligen. Der Oberteil des Bildes ist nicht mehr zu sehen, seit Balthasar Neumann 1749 den Chor – und damit die Decke der darunterliegenden Krypta – um knapp drei Meter absenken ließ. Alexandra Eck stößt eine kleine Türe auf, hinter der nach etwa 20 Metern ein niedriger Gang an einer Mauer endet. Beginn der unterirdischen Verbindung zwischen Dom und Festung? „Nein“, wehrt Domführer Seyler ab, der die Existenz eines solchen Geheimgangs ohnehin für eine Legende hält.

Zurück im Kirchenschiff erzählt der Dom wieder seine Geschichten von Neu und Alt, von Werden und Vergehen. Kunst aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts steht neben ursprünglich Mittelalterlichem. Und das runde Loch am Scheitel der Vierungskuppel? „Hier wurde bis ins 19. Jahrhundert hinein zu Pfingsten eine weiße Taube als Symbol des Heiligen Geistes herabgelassen“, erzählt Seyler. Und für die Kinder regneten süße Hostien herab – der Glaube wurde aufs menschenmögliche Maß reduziert.

In der am südlichen Querhaus angebauten Sepultur werden noch heute die Domherren begraben. „An einer der Bodenplatten war früher ein Messingring angebracht“, erzählt Gustl Hostombe, der schon im Krieg Dom-Ministrant war. Einmal, haben er und ein paar andere („wir waren richtige Lausbuben“) daran gezogen und die Platte gelüftet. Sie fanden „einen vielleicht drei mal drei Meter großen Raum voller Knochen, sauber sortiert und gestapelt.“ Die Jungs nahmen einen Schädel mit und erschreckten damit den Bäcker in der Nachbarschaft.

 

Kiliansdom: Menschliches im Gotteshaus
Auch das ist eine menschliche Geschichte, die das Gotteshaus erzählt . . .


Der Würzburger Dom

Der Führungsdienst des Würzburger Kiliansdoms bietet ein reiches Angebot an Führungen für die unterschiedlichsten Interessengruppen. Führungen dauern etwa eine Stunde. Treffpunkt ist jeweils der siebenarmige Leuchter am Haupteingang. Von Dienstag nach Ostern bis einschließlich 31. Oktober gibt es tägliche Führungen, Beginn ist jeweils um 12.20 Uhr. An Sonn- und Feiertagen beginnt die allgemeine Domführung um etwa 12.30 Uhr nach dem letzten Vormittagsgottesdienst. Sonderführungen, die individuell gestaltet werden, gibt es unter anderem für Kinder, Schulklassen, Kommunionkinder und Menschen mit Handicap. Fremdsprachige Führungen gibt es in Englisch, Französisch, Spanisch und Italienisch.

Spezielle thematische Führungen werden außerdem angeboten. Buchungen von Sonderführungen per E-Mail (mindestens 14 Tage vor dem gewünschten Termin) oder telefonisch: Tel. (09 31) 386 628-70., E-Mail: domfuehrungsdienst@bistum-wuerzburg.de Internet: www.dom-wuerzburg.de

   
 
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