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SCHWEINFURT
Keiner soll hier verloren gehen
Gottedienst für Demenzerkrankte       -  Lebensweg war das Thema im Gottedienst TrotzDem für Demenzerkrankte und ihre Angehörigen.
| Lebensweg war das Thema im Gottedienst TrotzDem für Demenzerkrankte und ihre Angehörigen.
Katja Glatzer
 |  aktualisiert: 16.12.2020 12:29 Uhr
Ein Paar schwarze Wanderschuhe sind vor dem Kreuz auf dem Altar abgelegt – eingerahmt in das schimmernde Licht der Kerzen. „Ich werde in der Predigt erklären, was es damit auf sich hat“, macht es Diakon Norbert Holzheid spannend. Denn heute wird in St. Johannis ein besonderer Gottesdienst gefeiert: Unter dem Namen „TrotzDem“ (trotz Demenz) sind Demenzerkrankte und ihre Angehörigen eingeladen.

„Unsere Schuhe erzählen Geschichte“, greift Holzheid das Thema Lebensweg im Gottesdienst auf. Auf vergrößerten Fotos zeigt er weiteres Schuhwerk, das auf unserem Werdegang wichtig ist. Angefangen von den Babyschühchen, den Turnschuhen der Kinder über das besondere Paar Hochzeitsschuhe, die orthopädischen Schuhe bis hin zu den Lammfellhausschuhen, „die uns die Füße im Alter warm halten“.

Auch an die Holzschuhe, die in der Landwirtschaft getragen wurden, erinnert er und an die Schuhe, die Menschen an den Füßen hatten, die in Kriegszeiten auf der Flucht waren. Aber auch an die „schwarzen Stiefel, in denen sich Männer an der Front Blasen liefen, und die uns vielleicht dieser Tage an 70 Jahre Befreiung von Krieg und Faschismus erinnern lassen“. Holzheid macht eines klar: Gott ist immer da. „Er wird deinen Fuß nicht gleiten lassen“, zitiert er den Psalm 121,3.

Das Glaubensbekenntnis und das „Vater unser“ sprechen die Demenzerkrankten fehlerfrei mit, auch die Kirchenlieder sind ihnen aus Kindertagen vertraut. Mit glänzenden Augen stimmen sie in den Gesang ein. Beim Abendmahl gehen sie mit ihren Angehörigen nach vorne zum Altar – es ist ein bekannter Weg. „Es ist wichtig, dass man mit den Betroffenen Rituale aufrecht erhält. Denn damit fühlen sie sich sicher“, sagt Holzheid.

Aber auch den Angehörigen wolle man Sicherheit vermitteln. „Niemand muss sich wegen des möglichen, komischen Verhaltens der Erkrankten Sorgen machen oder gar schämen.“ Zwischenrufe oder Umhergehen in der Kirche seien hier tolerierte Begleiterscheinungen der Erkrankung. „Die Betroffenen sollen genauso sein dürfen, wie sie eben sind.“

So ist auch Gudrun Welker mit ihrer 77-jährigen Mutter zum Gottesdienst gekommen. „Es ist schwer, sich mit der Krankheit der eigenen Mutter auseinanderzusetzen und zu sehen, wie sie immer mehr vergisst“, erzählt sie. Umso wichtiger, dass es Hilfe von außen gibt. So zum Beispiel die Johannisstube, ein Betreuungsangebot für Demenzerkrankte, das von der Diakonie Schweinfurt veranstaltet wird. Welker engagiert sich dort ehrenamtlich, auch im „TrotzDem“-Gottesdienst hat sie einen Gesangspart übernommen.  

Schon seit fünf Jahren findet der Demenz-Gottesdienst zweimal im Jahr statt – in Schweinfurt und in Sennfeld. Initiatorin war Tanja Back, die damals in der Fachstelle für pflegende Angehörige in Sennfeld arbeitete. „Ich wollte unseren Demenzerkrankten einen geschützten Bereich bieten, in dem sie erfahren, was sie noch alles können“, erzählt Back.Angetan vom Schweinfurter „TrotzDem“ war auch der Präsident der Diakonie Bayern, Michael Bammessel, der extra zum Gottesdienst nach Schweinfurt gereist kam. „Für die Betroffenen kann ein solcher Gottesdienst ein Moment sein, in dem verschüttetet geglaubte Erinnerungen wieder lebendig werden.“

Bammessel schlug am Rande seines Besuches vor, diese Personengruppe regelmäßiger in den Blick zu nehmen: „Die Zahl der Betroffenen wächst, und damit wächst auch die Herausforderung für die Kirchengemeinden.“ Die Teilnahme an Gottesdiensten in einer Kirche könne für die Erkrankten eine zentrale Form der Teilhabe am Leben sein, so der Präsident der Diakonie Bayern.

Dazu brauche es aber nicht nur gottesdienstliche Formen, auch Pfarrer und Gemeinden müssten sich darauf einstellen. Eine verkürzte Liturgie, einfache Sprache, aber auch der Einsatz von Objekten, die die Betroffenen anfassen können, seien von Nutzen. „Für Demenzerkrankte ist es wichtig, Dinge berühren zu können – und berührt zu werden.“

Nach dem Beispiel von St. Johannis sollten entsprechende Gottesdienste nicht nur in den Einrichtungen der Altenhilfe gefeiert werden. Sie könnten ihren festen Ort im Leben eines Dekanats haben, sagte Bammessel. „Auch wenn den Betroffenen die Welt verloren geht – wir wollen sie nicht verloren gehen lassen.“
 
 
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