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WÜRZBURG
Januar, Februar 1945: Der Winter vor dem Sturm
Die meisten Menschen in der Domstadt ahnen, dass der Krieg Würzburg nicht verschonen wird. Auch die Malerin Gertraud Rostosky ist pessimistisch. „Man muss immer ans Sterben denken“, schreibt sie in ihr Tagebuch.
Die Domstraße im Winter: 1944 schuf der Maler Karl Walther dieses Ölgemälde, das sich heute im Besitz des Museums im Kulturspeicher befindet. Anfang 1945 sahen die Gebäude noch genauso aus.
Foto: Museum im Kulturspeicher | Die Domstraße im Winter: 1944 schuf der Maler Karl Walther dieses Ölgemälde, das sich heute im Besitz des Museums im Kulturspeicher befindet. Anfang 1945 sahen die Gebäude noch genauso aus.
Von unserem Redaktionsmitglied Roland Flade
 |  aktualisiert: 16.12.2020 11:49 Uhr

Die meisten Menschen in Würzburg ahnten zu Beginn des Jahres 1945, dass der Krieg die Stadt nicht verschonen würde. Auch die Malerin Gertraud Rostosky war pessimistisch. "Man muss immer ans Sterben denken", schrieb sie in ihr Tagebuch.

Das architektonische Gesamtkunstwerk Würzburg war noch weitgehend intakt. Ein „nach Norden verirrtes Florenz“ hatte der französische Dichter Paul Claudel die Stadt genannt. Lediglich ein größerer Bombenangriff am 21. Juli 1944 hatte Opfer gefordert und einige Häuser zerstört.

42 Menschen waren auf der Löwenbrücke sowie in der Leisten- und Nikolausstraße gestorben. Der 53-jährige Otto Seidel, Hausmeister der Universitäts-Augenklinik am Röntgenring, beschrieb in seinem Tagebuch das Geräusch der fallenden Bomben so: „Als wenn ein starkes, dickes, seidenes Tuch, welches vom Himmel bis zur Erde reichen würde, von einem riesigen Messer durchtrennt würde.“

Die übrige Stadt sah Anfang 1945 fast überall noch so aus, wie der Maler Karl Walther sie im Winter zuvor auf großformatigen Ölgemälden festgehalten hatte. Doch die meisten ahnten, dass Würzburg in diesem Krieg, in dem Deutsche unendliches Leid und gigantische Zerstörungen über die Welt gebracht hatten, nicht verschont bleiben würde.

Aus Erinnerungen und zeitgenössischen Aufzeichnungen ergibt sich ein vielschichtiges Bild jener Winterwochen.

Die 19-jährige Waltraud Glaser arbeitete als Kinderpflegerin für die Familie Haumann, der ein Hutgeschäft im Eckhaus Domstraße/Augustinerstraße gehörte, in dem die Familie auch wohnte. „Wenige Menschen waren an kalten Tagen auf den Straßen zu sehen“, erinnerte sie sich. „Von Autos keine Spur. Nur vor Radfahrern und der Straßenbahn musste man sich in Sicherheit bringen.“

Was der Maler Walther auf seinem Gemälde nicht zeigte, schilderte die 19-Jährige: „An schönen Tagen spazierten viele verwundete Soldaten mit eingegipsten Armen und Beinen und bandagierten Köpfen sowie sehr viele beinamputierte Männer im grauen Rock auf Krücken herum.“

Der Zellerauer Werner Fuchs war 14 Jahre alt. Am Bahnhof half er mit anderen „Jungvolk“-Buben dem Roten Kreuz bei der Betreuung von Flüchtlingen. In einer Baracke auf dem Bahnsteig kümmerten sich Schwestern um die Massen von ankommenden oder durchreisenden Menschen.

„Mit einem vierrädrigen Handkarren schickte man uns in die Augustinerstraße, wo in einer Anstaltsküche warme Speisen, aber hauptsächlich belegte Brote hergerichtet wurden, die wir dann zum Bahnhof bringen mussten“, erinnerte sich Fuchs. „Schon der leere Karren war schwer zu schieben, aber als er erst beladen war bedurfte es der Muskelkraft von einem halben Dutzend Pimpfen so wie uns.“

Am 4. Februar 1945, einem Sonntag, überflogen zwei englische Mosquitos die Stadt, die gegen 20 Uhr mehrere Bomben abwarfen. Der 16-jährige Albrecht Stock, Bruder des späteren Margetshöchheimer Bürgermeisters Günter Stock, erlebte den Angriff in Grombühl: „Mehrere Explosionen erschütterten unser Haus und ließen die Fenster erzittern. Es hatte keinen Luftalarm gegeben; die Sirenen ertönten erst nach den Einschlägen. Natürlich eilten wir sofort in den Luftschutzkeller; mein Vater und ich trugen Günter, der in seinem Babykorb lag; Mutter und mein Bruder Robert brachten die Bündel mit Notvorräten. Neun Menschen starben an diesem 4. Februar, und mehrere Häuser wurden zerstört.“

Der Angriff weckte starke Gefühle der Verzweiflung bei der 69-jährigen Malerin Gertraud Rostosky, die im Gut Neue Welt lebte. In ihrem Tagebuch schrieb sie am nächsten Tag von ihrer „bitter traurigen Stimmung“: „Alle sind der Überzeugung, unsere Stadt würde nun ganz das Schicksal von Aschaffenburg haben, das völlig zerstört ist, nachdem zunächst auch immer nur einzelne Bomben fielen.“

Die Stimmung in der Stadt änderte sich jetzt radikal, wie Waltraud Glaser notierte: „Erst im Februar wurde den Würzburgern der Ernst der Lage bewusst, vorher wurde alles noch sehr lasch gehandhabt. Saß man in einem Kino und es gab Alarm, musste natürlich der Saal geräumt werden. Doch dann standen die Leute auf der Straße herum, warteten auf Entwarnung, damit sie noch das Ende des Filmes sehen konnten.“ Diese Lockerheit war nun vorbei.

„Alles fragte sich: Wie soll dieses Leben weitergehen?“, steht in Otto Seidels Tagebuch. „Wusste man doch, dass so viele deutsche Städte schon schwer beschädigt wurden und unsere liebe Stadt auch nicht verschont werden kann. Man hoffte aber, wenigstens mit dem Leben davonzukommen. Viele Leuchtzeichen waren oft nachts am Himmel zu sehen. Auch war die Stadt manchmal ringsum vollständig mit Lampen abgesteckt, ohne dass etwas geschah. Aber allmählich wurde es gefährlicher.“

Am 19. Februar verwüsteten Bomben das Juliusspital und das Sparkassengebäude am Kürschnerhof sowie mehrere Häuser in der Domstraße. An diesem Tag waren allein 112 Tote zu beklagen. Die Regierung von Unterfranken riet nun, Wertsachen nach auswärts zu verlagern; Frauen und Kinder täten gut daran, die Stadt zu verlassen.

Werner Fuchs wurde zum Aufräumen abkommandiert: „Wir beförderten die noch brauchbaren Möbel und anderen Inhalt von Wohnungen und Geschäften in den Dom, wo man sie aufbewahren wollte, bis ein anderer Platz dafür zur Verfügung stand.“

Die 17-jährige Ilse Schiborr arbeitete als Funkerin im Bunker der NSDAP-Gauleitung am Letzten Hieb. Einen schweren Angriff erlebte sie am 23. Februar im Bunker mit. Diesmal war das Ziel das Bahnhofsgelände, auf das circa 250 schwere Bomben fielen. Ilse Schiborr: „Die Zerstörung war enorm und legte den Zugverkehr total lahm. Die Schäden schlossen sogar das Postamt ein. Dieser Schlag forderte wiederum 178 Tote. Die Lebensmittelrationen wurden nochmal um elf Prozent gekürzt, das Geld als Zahlungsmittel hatte längst seinen Wert verloren. Es bekam nur noch derjenige etwas, der zu tauschen hatte.“

Albrecht Stock, dessen Mutter und Brüder inzwischen nach Tückelhausen ausquartiert waren, blieb mit seinem Vater in Grombühl: „Jeder war hauptsächlich damit beschäftigt, einen weiteren Tag zu überleben. Viele Menschen misstrauten ihren brüchigen Kellern und verbrachten die Nächte bei Freunden oder Verwandten in Nachbarorten oder in tunnelartigen Luftschutzbunkern, die in einige der umliegenden Weinberge gegraben worden waren.“

Am 25. Februar notierte Gertraud Rostosky resigniert: „Den ganzen Tag Luftgefahr, besonders unter Mittag Kampfverbände über Würzburg – unheimlich! Schreckensmeldungen aus Kitzingen. Man muss immer ans Sterben denken.“

Drei Wochen später existierte Würzburg nicht mehr.

Das Buch zum Thema

Wir entnahmen die Illustrationen und Texte auf dieser Seite dem Main-Post-Buch „Zukunft, die aus Trümmern wuchs. 1944 bis 1960: Würzburger erleben Krieg, Zerstörung, Wiederaufbau und Wirtschaftswunder“ von Roland Flade. Der Band bietet auf 336 Seiten zahlreiche meist unveröffentlichte Farb- und Schwarzweiß-Aufnahmen sowie Augenzeugenberichte und erläuternde Texte. Das Buch ist für 16,95 Euro in den Main-Post-Geschäftsstellen, im regionalen Buchhandel sowie im Internet unter shop.mainpost.de erhältlich.

Ilse Schiborr.
| Ilse Schiborr.
Albrecht Stock.
| Albrecht Stock.
Gertraud Rostosky (Selbstbildnis).
| Gertraud Rostosky (Selbstbildnis).
Werner Fuchs.
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